Wenn unsere Eltern nicht soundsoviele Juden vergast hätten, würde es den Staat Israel so nicht geben und dann könnten die Palästinenser jetzt bei uns in den Bussen sitzen und nicht umgekehrt. Will sagen, ich finde es in gewisser Weise fair, dass unsere Gesellschaft einbezogen wird in den Krieg, den es sowieso gibt. Für sich ist dieser Krieg total zu sehen: Dass wir die Ressourcen dieser Welt verschleudern, seit vielen Jahrzehnten, und die Frage ist immer, auf welcher Seite stehen wir. Also für mich ist das keine überraschende Sache, dass das jetzt passiert.
Doch der Mühe einer Definition von Krieg oder zumindest des zu verhandelnden Themas unterzog man sich lieber nicht. Jeder der sechs Befragten bekam hier seine eigene Bühne: Wolfgang Schäuble erzählte zu Beginn von der Bombendrohung im Hotel Adlon und wie nahe die Bedrohung einem Berliner Politiker tatsächlich rücken kann. Gregor Gysi sprach von palästinensischen Kindern, die Frieden langweilig finden und pflegte seinen am DDR-Theater geschulten Begriff, Theater müsse gesellschaftliche Defizite sichtbar machen, heute etwa die der Globalisierung:
Eine Welt, die so zusammenrückt, kann doch nicht im Ernst glauben, dass Milliarden in Armut weiter leben und ein kleiner Teil in Reichtum schwelgt und die anderen machen nichts dagegen. Wenn das wahr ist, dann könnte mir das Theater dieses Zusammenrücken doch wirklich zeigen. Und mich darauf stoßen, dass ich das nicht so belassen kann, wie es ist, wenn ich Kriege und was immer zurückdrängen will.
Cornelie Sonntag-Wolgast, Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, tat zwar so, als wolle sie Armin Petras das Feld der Provokation nicht allein überlassen, hatte letztendlich aber nur mütterlich wirkende Ratschläge und Kultur-Rezepte der allgemeineren Art mitgebracht:
Ich glaube, das Spannende am Theater ist: vorzufühlen, mit größerer Antenne als andere das machen, oder dahinter zu gucken.
Alain Platel wurde ausführlich zur belgischen Debatte über seinen choreografisch-musikalischen Abenteuerspielplatz "Wolf" befragt, der nächste Woche auf dem Theater-Treffen zu sehen sein wird, obwohl diese Debatte sich an fünf Sekunden von zweieinhalb Stunden aufhängte und größtenteils von Leuten geführt wurde, die das Stück nie gesehen hatten; es ging um das Verbrennen einer amerikanischen und einer israelischen Flagge. Einzig Regisseur Johan Simons sprach vom WIE. Mit seiner Münchner Inszenierung des Heiner Müller-Stücks "Titus Andronicus. Fall of Rome. Ein Shakespearekommentar" hat er den ebenso unblutigen wie eindringlichen Auftakt des Theatertreffens geliefert; er findet, dass den Gewaltexzessen im Fernsehen nicht noch Schlachtereien auf dem Theater folgen müssen. Und plädiert für Menschenfreundlichkeit, etwa mit seinem neuen "Richard III.", den er aus der Perspektive der Mutter erzählt:
Am Ende sitzt Richard III. mit einer Bombe auf der Bühne, als Selbstmordattentäter. Und seine Mutter sitzt daneben und sagt Nein, Nein. Das ist ein Bild der Unmenschlichkeit und eins der Menschlichkeit, und ich wollte die Menschlichkeit zeigen.
Armin Petras wurde ein bisschen ungeduldig und probierte es noch einmal. Er hat in Schillers "Johanna" für Hamburg das Bild eines vom World Trade Center stürzenden Terror-Opfers gezeigt und setzt auf den kalkulierten Tabubruch:
Ich finde es wichtig, Gewalt auf der Bühne zu zeigen, und zwar in einer extremeren Form als es das Fernsehen kann, in einer Form nämlich, die uns etwas angeht. "Im SPIEGEL stand dann zum Beispiel dass Petras nächstes Mal hoffentlich nicht ganz so zynisch ist. Für mich ist das eine gute Frage, die ich diskutieren möchte: Was ist denn eigentlich zynisch: Kriege zu machen, oder das zu zeigen, was in diesen Kriegen passiert.
Da war es wieder, das Thema. Kann man über Krieg reden, ohne Schuldige zu benennen? Kann man über Terror in Europa so geschichtsvergessen reden, dass er überhaupt als eine politischen Hausaufgabe für Theaterleute in Frage kommt? Für solche Fragen war die Runde natürlich viel zu nett zueinander, und mit der als Provokation gemeinten Frage: "Wer inszeniert denn besser, das Theater oder die Politik?" haben die Moderatoren das Heft dann vollständig aus der Hand gegeben und ließen Schäuble, Gysi und Sonntag-Wolgast sich auf den Feldern Strafverfolgung, Demokratieexport oder der Schuld von Ruanda tummeln. Petras hatte es versucht. Die Politiker aber bewiesen einmal mehr: sobald eine Kamera läuft, sind sie die besseren Schauspieler.