Freitag, 29. März 2024

Diskussion
Neues Erzählen von der DDR

30 Jahre nach dem Fall der Mauer gehen Autoren und Filmemacher neue Wege, um von der DDR zu erzählen – jenseits der Klischees von Täter, Mitläufer und Opfer. Können ein neuer Blick und eine spezifisch ostdeutsche Perspektive auf die Geschichte dabei helfen, die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Ost und West zu überwinden?

Mit Ulrike Bajohr, Dörte Fiedler, Mary Fulbrook, Jakobine Motz, Laila Stieler und Johannes Nichelmann | 16.03.2019
Schulalltag in der DDR - Schüler im Unterricht an der 6. Polytechnischen Oberschule Karl-Friedrich-Schinkel in Berlin
Schulalltag in der DDR - Schüler im Unterricht an der 6. Polytechnischen Oberschule Karl-Friedrich-Schinkel in Berlin (Imago / Seeliger)
// Samstag, 16. März, 15.30 Uhr, Foyer
In Politik, Justiz, Verwaltung und Wirtschaft sind Menschen mit ostdeutscher Biographie in den Spitzenpositionen stark unterrepräsentiert. Viele Menschen aus dem Osten fühlen sich benachteiligt und zurückgesetzt. Ein Teil dieses Gefühls rührt aus der Entwertung ihrer Biographien, die viele Menschen in den Jahren nach der Wende erfahren haben.
Diese Entwertung hat womöglich auch eine Ursache darin, wie die Geschichte der DDR erzählt wird. In der Geschichtsschreibung wie in den Medien. Die Geschichte der DDR wird in politischer Hinsicht als zweite deutsche Diktatur, als Unrechtsstaat unter der SED-Herrschaft erzählt, in wirtschaftlicher Hinsicht als vollständig gescheitertes Experiment der Planwirtschaft.
Das Bild prägen TV-Serien wie "Weißensee" oder Filme wie "Das Leben der Anderen". - Ein Bild, das viele Menschen nicht in Einklang bringen mit ihrem ganz normalen und bis zur Wende ganz und gar nicht gescheiterten Leben. Hat die Ausblendung dieser Erfahrungen etwas zu tun mit dem Gefühl des Nichtdazugehörens, mit dem Gefühl, "Bürger zweiter Klasse" zu sein? - Aber auch die Generationen der in den 80ern und der nach '89 geborenen fragen, wie es wirklich war.
Wie könnte man ein differenziertes Bild der DDR zeichnen, das diesen Erfahrungen und Leistungen gerecht wird, ohne die DDR zu verklären oder die verbrecherischen und gewalttätigen Seiten des Regimes zu verharmlosen? Und was könnten die erzählerischen Formen des Radios dazu beitragen?
Zu diesen Fragen diskutieren die Historikerin Mary Fulbrook (University College London), die Filmemacherinnen Laila Stieler (Gundermann) und Jakobine Motz (Adam und Evelyn), sowie die Feature-Autor*innen Dörte Fiedler (Neuland), Ulrike Bajohr und Johannes Nichelmann (Nachwendekinder).
Gesprächsleitung: Wolfgang Schiller
Ulrike Bajohr ist seit 1994 Mitarbeiterin in der Hauptabteilung Kultur des Deutschlandfunks, seit 13 Jahren in der Abteilung Feature/Hörspiel/Hintergrund Kultur. Die von ihr als Redakteurin betreuten Features wurden u.a. mit dem CNN-Award, dem Prix Marulic und dem Deutschen Sozialpreis ausgezeichnet. Gelegentlich betätigt sie sich selbst als Autorin - zuletzt 2017: "Vom schönen Leben. Eine sächsische Rudererfahrung".
Dörte Fiedler ist 1979 in Leipzig geboren und dort auch aufgewachsen; nach dem Studium kam sie mit Umwegen zum Radio – aus Liebe zu Klang und Stimme. Zum Feature aus Liebe zum Zusammenspiel von Klang, Stimme und Geschichte. Seit einigen Jahren ist sie als Hörfunkautorin bei unterschiedlichen Sendern tätig. Zuletzt beim Deutschlandfunk mit der Podcastserie "Neuland"
Johannes Nichelmann ist 1989 in Berlin geboren. Er studierte Politikwissenschaft an der FU Berlin. Seit 2008 arbeitet er als freier Reporter, Autor und Moderator vor allem für Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur sowie zahlreiche ARD-Anstalten, ZDF und ARTE. Für seine Radiodokumentationen und Features erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den "Kurt-Magnus-Preis" der ARD für das "junge Lebenswerk" (2013) und den "Deutschen Sozialpreis" (2018).
Jakobine Motz ist 1967 geboren und in der DDR aufgewachsen, studierte Kamera an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg. Als DAAD-Stipendiatin ging sie für ein Jahr nach Ghana, danach nach Los Angeles, wo sie in Cinematography am American Film Institute 1998 mit dem Master of Fine Arts graduierte. Sie ist vor allem als Kamerafrau, aber auch als Schnittmeisterin, Filmautorin und freie Dozentin tätig. Zu ihren filmischen Arbeiten gehören neben "Adam und Evelyn", "Freedom Bus" (2013), "Kick in Iran" (2012) und "Behauptung des Raums" (2009).
Laila Stieler ist 1965 in Neustadt/Orla, Thüringen, geboren und studierte Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Babelsberg. Seit 1990 arbeitet sie als Autorin, Dramaturgin und Producerin für Film- und Fernsehproduktionen.
Zu ihren bekanntesten Drehbüchern zählen die Kinofilme "Stilles Land" (1992), "Die Polizistin" (2000) und "Willenbrock" (2005), die Andreas Dresen verfilmte, für die sie 2001 den Adolf-Grimme-Preis in Gold für das Beste Drehbuch erhält ("Die Polizistin") sowie den Internationalen Literaturfilmpreis 2005 ("Willenbrock"). Sie schrieb u.a. die Drehbücher zu "Mitten in Deutschland: NSU – Die Opfer – Vergesst mich nicht" (2016; Regie: Züli Aladag), "Die Friseuse" (2010) von Doris Dörrie sowie "Liebesleben" (2007) unter der Regie von Maria Schrader.