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Diskussion über den Brexit
Britische Hochschulen unter Verdacht

Eine Anfrage des konservativen Abgeordneten Chris Heaton-Harris sorgt an Großbritanniens Hochschulen für Wirbel. Heaton-Harris will wissen: Wie und von wem wird in Oxford und Co. über den Brexit doziert? Lehrende sehen in dem vermeintlich harmlosen Brief einen Angriff auf die freie Lehre und schlagen Alarm.

Von Friedbert Meurer | 30.10.2017
    Das Christ Church College ist eines der größten der britischen Universität Oxford. Hier wurden Teile der Harry Potter-Filme gedreht.
    Ein College der Universität Oxford: Die Anfrage eines britischen Abgeordneten zum Umgang mit dem Brexit hat für Wirbel gesorgt. (CTK/Tereza Supova)
    Der Brief ist nur eine halbe Seite lang. Geschrieben ist er auf dem feinen Briefpapier des britischen Parlaments. Oben prangt das grüne Wappen mit dem Absender: House of Commons, Unterhaus. Britisch höflich fragt der Abgeordnete Chris Heaton-Harris den Vize-Kanzler der Universität Oxford, ob der so nett sein könne, ihm eine Liste mit den Namen der Professoren zu geben, die Veranstaltungen zum Brexit halten. Was die Lerninhalte seien und welche Links es zu Online-Vorlesungen gibt.
    Chris Patton, der Vize-Kanzler der Uni Oxford und Empfänger des Briefes, musste spontan erst einmal lachen.
    "Ich wollte zunächst wissen, ob das jetzt wirklich wahr ist. Der Brief ist so unverschämt, widerlich und dumm. Das ist idiotischer Leninismus. Ich konnte nicht glauben, dass das von einem konservativen Abgeordneten kommt. Ich bin sicher, die meisten Vize-Kanzler werfen den Brief dahin, wo er hingehört: in den Papierkorb."
    Mehr als eine harmlose Nachfrage
    Leninismus, Gedankenpolizei, McCarthy – nicht nur Chris Patton, übrigens selbst ein ehemaliger führender Tory-Politiker, wittert einen Angriff auf die Freiheit der Lehre. Chris Heaton-Harris ist kein einfacher Abgeordneter, sondern gehört zur Fraktionsführung der Tories. Die meisten Unis verstehen es deswegen nicht als harmlose Nachfrage, sondern da wolle ein Politiker die angeblich Brexit-feindlichen Umtriebe an den britischen Hochschulen an den Pranger stellen.
    Bildungsstaatssekretär Jo Johnson musste anschließend in der BBC klarstellen: das war kein Brief der Regierung, auch keiner der Fraktion. Chris Heaton-Harris schreibe lediglich privat an einem Buch.
    "Die Regierung verteidigt uneingeschränkt die Freiheit der Lehre und die Meinungsfreiheit an unseren Universitäten. Ich persönlich denke, so ein Brief, den man missverstehen kann, hätte besser nicht abgeschickt werden sollen."
    Chris Heaton-Harris, der Autor des Briefs, schweigt und gibt keine Interviews. Noch während Patton von der Uni Oxford live der BBC sein Interview gab, twitterte Heaton-Harris lediglich ganz knapp: Er glaube absolut an die Meinungsfreiheit an den Universitäten und an eine offene und lebhafte Diskussion über den Brexit. Eine Entschuldigung, wie viele sie fordern, war das nicht.
    Paul Scully, auch ein konservativer Abgeordneter, sprang dafür seinem Parteifreund bei. Scully postete einen Flyer, den seine Tochter nach Hause gebracht hatte. Sie habe ihn von ihrem Dozenten erhalten, es war ein Aufruf zu einem Marsch gegen den Brexit.
    "Das Ganze hat institutionellen Charakter. Die Dozenten an den Unis haben persönliche Interessen, sie denken an den internationalen akademischen Austausch, an Studierende aus dem Ausland. Das ist aber etwas anderes, als sich an ein demokratisches Mandat zu halten. Es gibt an den Unis eine institutionelle Einseitigkeit."
    Orte des freien Meinungsaustausches
    In der Tat: 80 Prozent der Akademiker an den Unis sind laut Umfrage gegen den Brexit. Auch Bildungsstaatssekretär Jo Johnson, der ansonsten mit seinem Bruder Boris Johnson im Clinch liegt und selbst ein EU-Befürworter war, fordert die Universitäten auf, grundsätzlich ihrer Verpflichtung nachzukommen, verschiedene Standpunkte abzuwägen und auch andere Stimmen zu Wort kommen zu lassen.
    "Die akademische Freiheit und Unabhängigkeit sind in unsere Gesetze eingebettet. Universitäten müssen Orte des freien Meinungsaustauschs sein. Sie sollen bei kontroversen Themen den Studierenden eine Vielfalt von Aspekten präsentieren."
    Dozenten halten entgegen: Eine Vielfalt von Aspekten bedeute nach universitärem Verständnis aber auch, wissenschaftlich zu einem Ergebnis zu kommen, wonach der Brexit beispielsweise dem Land Großbritannien schweren Schaden zufügt. Das Ergebnis eines Referendums könne nicht der Freiheit der Lehre geistig einen Riegel vorschieben.
    Paul Scully, der Parteifreund Chris Heaton-Harris, sieht das komplett anders. Für ihn verweigern sich die Uni-Dozenten bloß den Realitäten.
    "Der Brexit wurde demokratisch entschieden. Die Dozenten sollen uns jetzt lieber dabei helfen, wie wir den Brexit in vernünftiger Auseinandersetzung am besten gestalten."