Archiv

Diskussion über Lehrer-Bestseller
Sind Lehrer mit der Integration überfordert?

Die ehemalige Lehrerin Ingrid Freimuth erklärt in ihrem Bestseller "Lehrer über dem Limit", die Integration scheitere, auch weil die Politik Schulen mit den Problemen der Integration allein lasse. Der Zuspruch ist groß - besonders von Lehrern, die sich in dem Buch mit ihren Problemen wiedererkennen.

Von Christian Ignatzi |
    02.07.2018, Hamburg: Eine Lehrerin schreibt in einem Deutschkurs für Ausländer an der Tafel.
    Viele Schüler mit Migrationshintergrund aktzeptieren kein weibliches Lehrpersonal und reagieren mit aggressivem Verhalten - so schildert es Ingrid Freimuth (picture alliance / Markus Scholz)
    Eine Szene während einer Podiumsdiskussion in Saarbrücken. Die Autorin Ingrid Freimuth sitzt mit einer Schülerin, einer Lehrerin und einem Vertreter der mittelständischen Wirtschaft auf dem Podium und diskutiert über Bildungspolitik - ein Lehrer aus dem Publikum richtet sich an die Schülervertreterin Maja Emanuel:
    Was sagen Sie, wenn Ihnen ein 14-jähriger Schüler im Unterricht sagt, den Frauen in der Silvesternacht in Köln wäre nichts passiert, wenn sie Burka getragen hätten?
    Applaus brandet auf, die Landesschülersprecherin des Saarlands antwortet:
    "Wenn man von der Silvesternacht spricht, spricht man nicht von der Bildungspolitik, da muss man immer ein bisschen aufpassen, dass man differenziert. Dass Sie Politiklehrer sind, ist mir bewusst. Aber auch da sollte man differenzieren zwischen der Bildungspolitik und der allgemeinen. Vielleicht möchte ich ja weiter gar nicht drauf antworten, weil das gar keine Frage war, die heute zum Thema passt." "Entschuldigung, aber das ist Bildungspolitik, weil es ist im Unterricht passiert." "Die Silvesternacht ist nicht im Unterricht passiert." "Nein, die Äußerung!"
    Das Buch trifft einen Nerv bei Lehrern
    "Lehrer über dem Limit - warum die Integration scheitert" heißt Ingrid Freimuths Buch. Und die Stimmung an diesem Abend lässt den Schluss zu, dass tatsächlich viele der Zuhörer die Thesen der Autorin teilen. Mit den Aufzeichnungen ihrer Erfahrungen aus rund 40 Jahren im Schuldienst trifft sie einen Nerv. Sie schreibt: Integration könne nicht gelingen, solange von Staat und Pädagogik die in unterschiedlichen Kulturen verschieden ausgeprägten Rangordnungsstrukturen negiert werden. Denn die wirkten sich besonders auf schulisches Lernen negativ aus. Freimuth berichtet von ihren Erfahrungen mit Weigerungen, im Unterricht mitzuarbeiten und völlig inakzeptabel aggressivem Verhalten - das führe bis zum stressbedingten frühen Tod einiger ihrer Kollegen. Die Politik schaue tatenlos zu.
    "Frau Merkel sagt, wir schaffen das. Und wer es schaffen soll, das sind die Lehrer. Weil es bleibt an den Schulen hängen, es bleibt an den Volkshochschulen hängen."
    Das Thema des Buchs, "Lehrer über dem Limit, warum Integration scheitert", scheint brandaktuell zu sein. Dabei entstand die Idee dazu schon Ende der 90er Jahre.
    "Ich habe mir Tagebuchnotizen gemacht, weil ich selber nicht geglaubt habe, was ich da erlebe in der Schule. Weil ich selber zu Hause nicht mehr glauben konnte, dass das so gewesen ist, wie ich es in Erinnerung hatte."
    Sagt Freimuth, die wegen gesundheitlicher Probleme den Schuldienst 1998 verließ und anschließend bis 2017 in der Einzelförderung von Schülern und als Volkshochschullehrerin für Erwachsene arbeitete. Erst als die Bildungsdebatte hochkochte, fand sie einen Abnehmer für ihr Buch, das im März auf den Markt kam. Reaktionen darauf bekam sie viele.
    "Also fast ausschließlich positiv. Ich habe sehr viele Mails bekommen über den Verlag. Sehr viele auch von Lehrern, die sich bedankt haben, dass ich das schreibe. Die mir ihre Geschichten erzählen, wie sie in der Schule gemobbt werden."
    Immer neue Belastungen - auch durch Integration
    Zur Podiumsdiskussion mit der Autorin kommen viele Zuhörer vom Fach. Dass ein Lehrer aktiv wird und ein Buch schreibt, sei notwendig, sagt etwa die Gymnasiallehrerin Gisela Bittelmeier.
    "Und zwar um den Eltern die Augen zu öffnen. Denn das höre ich so oft, dass Eltern da sitzen und sagen: Mein armes Kind, wie das von den Lehrern geärgert wurde und schlecht benotet wurde, dass die das nur von der Seite der Schüler hören.
    Doch Zustimmung gibt es nicht von allen Seiten. Manche Eltern sprechen Ingrid Freimuth die nötige Kraft für den Lehrerberuf ab.
    "Es war emotional, ich habe aber insbesondere auch bei der Autorin den Eindruck gehabt, dass sie mit ihrem Beruf ziemlich überfordert war. Und dann ist das natürlich hart."
    Und Schülervertreterin Maja Emanuel wirft Freimuth vor:
    "Ich glaube schon, dass Passagen aus dem Buch ein bisschen hochgegriffen sind. Wir als Landesschülervertretung nehmen das ein bisschen anders wahr. Wir glauben, dass Inklusion und Integration wirklich ein Problem darstellen. Aber kein so Großes. Also hier war im Raum ein sehr sehr emotionales Aufkommen."
    Emotional ist das Stichwort an diesem Abend. Der Lehrer Jupp Feilen hält es für zu spät, überhaupt noch an die Öffentlichkeit zu gehen.
    "Die haben hier alle den Schuss nicht gehört. Wir sind schon zehn Schritte weiter. Es fehlen dieses Jahr 42.000 Lehrer in der Bundesrepublik Deutschland. Als ich Lehrer geworden bin vor 40 Jahren, habe ich das mit Begeisterung gemacht und es hat alles gestimmt. Seither hat man mir dreimal die Arbeitszeit erhöht und das Gehalt gekürzt und insgesamt immer weitere Belastungen. Jahr für Jahr für Jahr immer weitere Belastungen.
    Lehrer kämpfen um Anerkennung
    Am Ende bleibt der Diskussion bleibt die Kritik am deutschen Bildungssystem, ohne wirkliche Lösungsansätze. Ingrid Freimuth selbst glaubt aber, dass ihr Buch ein Weckruf sein könnte.
    "Das Buch sollte in Regierungskreisen gelesen werden. Von denen, die die Entscheidungen treffen. Die sollten mal in Schulen hospitieren, aber inkognito. Die sind so weit weg. Ich erlebe Menschen in einer Emotion, die sind allein mit Problemen, die die Regierung geschaffen hat. Und es wird weiter delegiert an die Schulen."
    Das Thema ist und bleib emotional: Lehrer kämpfen um Anerkennung und gegen eine zu hohe Belastung in ihrem Beruf. Bei der Veranstaltung in Saarbrücken, die viele in Erwartung einer Lesung besuchen, wird das besonders deutlich: Aus ihrem Buch liest Ingrid Freimuth letztlich keinen einzigen Satz. Zu hitzig verläuft die Diskussion. Sie dauert den ganzen Abend.