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Diskussion um Renteneinstiegsalter

Frankreichs Sozialversicherungen sind - wie die jüngsten Zahlen dieser Woche gezeigt haben - derart pleite, dass in Paris laut über eine Erhöhung des Renteneintrittsalters nachgedacht wird. Noch kann jeder Franzose, wenn er will, mit 60 in Rente gehen - eine Regelung, die jetzt offenbar zu teuer wird.

Von Burkhard Birke |
    Das Ganze liest sich wie die Chronik eines angekündigten Todes: Des Todes der Rente ab 60 - der offiziellen, und nur der! Denn auch dieses Alter steht in Frankreich nur auf dem Papier: Der durchschnittliche Erwerbstätige hört einer Studie zufolge nämlich bereits mit 58,8 Jahren auf zu arbeiten! Im öffentlichen Dienst gehen die meisten sogar schon mit 57 einhalb in den Ruhestand.

    Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel und der Trend schwächt sich etwas ab. Dennoch schien im Grunde klar, dass Präsident Sarkozy über kurz oder lang die allgemeine Lebensarbeitszeit anheben würde oder man sollte besser sagen müsste, nachdem er das Privileg einiger Berufsgruppen wie der Lokführer gebrochen hatte, die ab 50 oder 55 in den Ruhestand treten konnten!

    Zwar arbeiten die Lokführer jetzt länger. Da sie aber als Kompensation höhere Gehälter ausgehandelt haben, kommt diese erste Rentenreform den Staat teuer zu stehen, denn die Kosten übersteigen die erwarteten Ersparnisse, wie zwei Ökonomen unlängst in einem Buch über Sarkozy's Reformen vorgerechnet haben.

    Nun folgt also der zweite Streich. In einer Art Salamitaktik gab es zunächst Gerüchte aus dem Elysée, dann ein Zitat und Erklärungen von Sozialminister Hortefeux und dann die Erklärung des Premierministers, der auch einmal Sozialminister war und in dieser Zeit die Renten reformiert hatte. Francois Fillon:

    "In allen Ländern um uns herum wurde das gesetzliche Rentenalter angehoben. Deshalb ist diese Frage nicht tabu, aber sie muss breit diskutiert werden - etwa im Rahmen einer Präsidentschafts- oder Parlamentswahl. Wir warten ab, was uns die Sozialpartner nächstes Jahr vorschlagen, um das Rentensystem zu verbessern. Aber: Nichts ist tabu!"

    Ist die Entscheidung schon gefällt oder wird nur das Terrain vorbereitet? Die nächste Präsidentschaftswahl wäre ja erst 2012!?

    Offenbar nutzt die Regierung die Ungunst der Stunde, in der gerade ein 20 Milliarden Euro Defizit in der Sozialversicherung verkündet wurde, um sich die Position der Arbeitgeber zu Eigen zu machen. Das mutmaßt jedenfalls Bernard Thibault, der Chef der mächtigen Gewerkschaft CGT, der Ausnahmen für Berufe mit besonders harten Belastungen will.

    "Wir haben es stets als Recht und nicht als Verpflichtung angesehen, mit 60 in Rente zu gehen. Gerade in der derzeitigen Krise wird es aber schwer sein, der jungen Generation, den 650.000 jungen Menschen, die im September auf den Arbeitsmarkt drängen, zu sagen: 'Tut uns leid, für Euch gibt es keine Jobs, weil diejenigen, die arbeiten, länger für die Rente arbeiten müssen'."

    Niedriges Rentenalter beibehalten - Junge einstellen? - oder länger arbeiten, um endlich das strukturelle Defizit in der Rentenkasse anzugehen? Ein 7,7 Milliarden Euro Loch wird allein Ende dieses Jahres in Frankreichs Rentenkasse klaffen: Nur ein Drittel davon kann der Krise und der damit verbundenen rückläufigen Beschäftigung angelastet werden.

    "Die Renten sind eine mathematische Gleichung: Sie müssen Renten zahlen und haben die Beitragshöhe und - zeit als Variable. Da muss die geeignete Formel gefunden werden. Da die Renten nicht gekürzt, die Steuern und Abgaben nicht erhöht werden sollen, da bleibt nur noch die Beitragszeit ... "

    Glaubt denn der Sozialökonom Claude Le Pen von der Université Dauphine.

    Dabei gilt es noch ein anderes Problem zu lösen: Nach Verfassungsbedenken müssen Erziehungszeiten für Männer eingeführt werden: Das wird teuer, so dass künftig wohl generell keine zwei Jahre mehr gutgeschrieben werden!

    Das Thema Rentenalter indes bleibt ein heißes Eisen, obwohl dieses schon leicht geschmiedet ist. Denn das 1982 eingeführte Recht auf Rente mit 60 wurde 2003 ausgehöhlt. Wer die volle Rente beziehen will, muss mindestens 40, ab 2012 sogar 41 Beitragsjahre nachweisen, legte damals Sozialminister Fillon fest. Vielleicht wird der jetzt als Premierminister die Beitragszeiten auf 42 oder 43 Jahre anheben - und das formelle Renteneintrittsalter auf dem Papier bei 60 belassen!?