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Diskussionen um die Reform der Arbeitsämter

Zurheide: Die Hartz-Kommission zur Reform der Bundesanstalt für Arbeit hat gestern getagt und sicherlich war das eine oder andere Mitglied überrascht, denn morgens stand in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, was man zumindest aus einigen Papieren zusammen getragen hatte. Und wie das in Deutschland so ist, ist da eine umfangreiche Diskussion los gegangen, und darüber wollen wir reden. Ich begrüße ganz herzlich ein Mitglied dieser Kommission, der allerdings gleichzeitig auch in anderen politischen Funktionen tätig ist, Harald Schartau, den Arbeitsminister des Landes Nordrhein-Westfalen und SPD-Landesvorsitzenden. Schönen guten Morgen, Herr Schartau!

    Schartau: Schönen guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Schartau, jetzt liegen die Vorschläge der Hartz-Kommission sowieso noch nicht auf dem Tisch, es sind ja bisher nur Zwischenergebnisse, und schon geht eine Debatte los. Horst Seehofer hat sich heute morgen gemeldet und hat gesagt, das ginge ja nun gar nicht, dass man an bestimmte Leistungen bei der Arbeitslosenhilfe und sonstwo rangeht. Die Gewerkschaften sind ziemlich mächtig gestern schon aufs Dach der Hartz-Kommission gestiegen. Ist das eine typisch deutsch Krankheit, dass man erstmal schimpft, bevor man die Ergebnisse kennt?

    Schartau: Ja, und dass man auf ganz bestimmte Reize sofort reagiert. Die Art und Weise, wie Zwischenergebnisse bzw. einzelne Vorschläge oder einzelne Meinungen, die aus der Hartz-Kommission herausgetragen worden sind, gleich kommentiert werden, die deutet ja für die Art und Weise des Umgangs mit Arbeitslosigkeit in der Republik nichts Gutes an. Zumal von den Dingen, die gestern zu lesen waren, auch überhaupt nichts in der Hartz-Kommission abschließend beraten wurde.

    Zurheide: Das ein oder andere ist natürlich im Laufe des Tages dann doch bekannt geworden, weil Herr Hartz sich dann wohl entschieden hat, dies und jenes nach draußen zu tragen. Jetzt lassen Sie uns doch mal versuchen, drei Dinge ins Blickfeld zu nehmen. Zunächst einmal: Ein wesentlicher Eckpunkt in den insgesamt 13 Modulen soll wohl die schnellere Vermittlung von Arbeitslosen sein. Das dürfte unumstritten sein, sehe ich das richtig?

    Schartau: Ja, die Ansätze, die in der Hartz-Kommission diskutiert werden, die sich ja mit der ganzen Breite von Arbeitslosigkeit befassen, befassen sich natürlich auch mit der Frage: Wann beginnt eigentlich der Vermittlungsprozess, wenn Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren? Erst dann, wenn teilweise nach Monaten die Kündigungsfrist abgelaufen ist, oder ist das nicht verschenkte Zeit, muss da nicht sofort angepackt werden. Ein Punkt, der mir auch sehr am Herzen liegt, weil ich glaube, dass die zum Teil noch Wochen und Monate zur Verfügung stehende Zeit bis ein Arbeitsverhältnis abgelaufen ist so nutzen kann, das möglichst eine Anschlussbeschäftigung gefunden wird.

    Zurheide: Dann ist ein weiterer Punkt, der natürlich politisch eher umstritten ist: Wie können Zumutbarkeitskriterien geschaffen werden für Menschen, die arbeitslos sind? Sie als Arbeitsminister, aber auch als Landesvorsitzender NRW und als IG-Metaller haben ja immer darauf hingewiesen, dass diejenigen, die öffentliche Hilfen bekommen auch Angebote annehmen müssen. Können Sie sich damit anfreunden, dass Zumutbarkeitskriterien auch verschärft werden?

    Schartau: Ich komme vielleicht auf den Anfang des Interviews zurück. Es gibt in der Republik seit Jahrzehnten eine Diskussion, die schon eingespielt ist, wenn das Thema Zumutbarkeit aufgerufen wird, dass dann von verschiedenen Seiten bekannte Kommentar abgegeben werden. In der Hartz-Kommission wird nicht über ein Thema alleine geredet, sondern es wird vor allen Dingen darüber geredet: Wie kann man den Menschen schnell eine neue Perspektive geben? Und an diesen Instrumenten wird so gearbeitet, dass die Frage der Zumutbarkeit in einer - ich würde mal sagen nach dem, was ich auch in der Kommission mitbekomme - außerordentlich abgewogenen und auch den Menschen an sich im Auge behaltenden Art und Weise gesprochen wird. Vor allen Dingen ist es kein Punkt, der allein auf die Reise geht.

    Zurheide: Dann gehen wir noch mal zu einem anderen Themenfeld, was ja auch politisch diskutiert wird, auch umstritten ist: Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, um den Menschen am Ende besser zu helfen. Auf der anderen Seite gibt es die Gefahr und die Sorge zum Beispiel bei den Gemeinden, dass damit Lasten weiter gereicht werden. Wo sehen Sie da das Blickfeld?

    Schartau: Der allerwichtigste Punkt ist, dass wir zwei Systeme in der Bundesrepublik haben, die sich mit der Unterstützung von Menschen in prekären Situationen auseinandersetzen. Das ist die Arbeitslosenhilfe, das ist die Sozialhilfe. Sinnvoll ist es, die Kompetenz der Menschen in diesen Bereichen, die sich darin auskennen, wie man Menschen wieder auf die eigenen Beine hilft, so zusammen zu führen, dass nicht aus finanziellen Gründen nur ein Hin- und Herschieben zwischen den einzelnen Systemen stattfindet, das zum einen von den Kommunen und zum anderen von Bund getragen wird. Diese Frage halte ich für sehr entscheidend und NRW, insbesondere ich in meiner Person, hat natürlich ein Auge darauf, dass das nicht eine Kostenverschiebung zu Lasten der Kommunen bedeutet. Das hindert aber mich zumindest nicht daran, an einer notwendigen Zusammenführung zu arbeiten. Es kommt darauf an, Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe dadurch zu senken, dass man mehr Leute aus dieser schlechten Situation heraus bekommt und sie wieder auf ihre eigenen Beine bekommt.

    Zurheide: Wie kann man denn zum Beispiel Unternehmen besser motivieren, mit den Arbeitsämtern zusammen zu arbeiten. Da ist ja auf Seiten der Arbeitsämter noch viel Formbedarf. Erwarten Sie da Impulse?

    Schartau: Ja, wenn die Perspektive ist, zu einer modernen Dienstleistung am Arbeitsmarkt zu kommen, dann muss die Zusammenarbeit zwischen dem modernen Dienstleister und den Unternehmen auch eine vollkommen andere werden. Sie darf zum Beispiel nicht davon bestimmt sein, dass die Unternehmen verpflichtet werden, den Arbeitsämtern freie Stellen zu melden, sondern dass die Unternehmen, weil sie merken, das ist ein effektiver guter Dienstleister, von sich aus die Zusammenarbeit suchen und mit den Arbeitsämtern kooperieren.

    Zurheide: Wenn wir das jetzt mal parteipolitisch betrachte die Ergebnisse der Hartz-Kommission. Sie sind auch Landesvorsitzender der SPD in NRW und im Wahlkampf hat die SPD bisher das eine oder andere Problem. Man hat gelegentlich den Eindruck, Sie schauen doch stärker auf die linke Seite des politischen Spektrums und geben damit die Mitte frei. Können die Ergebnisse der Hartz-Kommission das korrigieren? Sind da auch Angebote für die neue Mitte, die 1998 dafür gesorgt hat, dass Gerhard Schröder gewonnen hat?

    Schartau: Die Frage ist ja, was wir bei einer zwar langsam gesunkenen, aber trotzdem noch massenhaften Arbeitslosigkeit, was wir uns in dieser Gesellschaft vornehmen. Denn diese Arbeitslosigkeit ist ja nicht die Arbeitslosigkeit der Bundesanstalt für Arbeit, sondern es ist eine Arbeitslosigkeit dieser Gesellschaft. Und wenn wir sie verändern wollen, wenn wir wirklich Erhebliches tun wollen, um mehr Menschen wieder eine Beschäftigungsperspektive zu verschaffen, dann muss an diese Frage auch ganz anders rangegangen werden als das bisher geschah. Bisher wurde im Prinzip auf bestimmte Reize reagiert, aber es ist eine Frage des Gesamtzusammenhangs von der anderen Form der Vermittlung, von einer frühzeitigen Einschaltung von Experten, wenn jemand seinen Arbeitsplatz verliert, von der Überlegung, wie kann man möglichst unmittelbar eine neue Beschäftigung hinkriegen, zur Frage der Betreuung der Unternehmen: Wie kann dieser Gesamtkomplex so angegangen werden, dass es nicht mehr möglich ist, dass einzelne Teile der Gesellschaft diese Vorschläge nur benoten, anstatt sich selbst verpflichtet zu fühlen, an diesem Gesamtwerk mitzumachen? Es ist ein Problem - wie gesagt - unserer gesamten Gesellschaft.

    Zurheide: Herzlichen Dank. Das war Harald Schartau, der Arbeitsminister von NRW.

    Link: Interview als RealAudio