Archiv


Disneyland am Tiber

Rom, Piazza del Quirinale. Hier lebten die Päpste des Barock während der Sommermonate. Heute residiert in dem über 1000 Räume zählenden Palazzo Quirinale Italiens Staatspräsident. Der immense Palast strahlt im Sonnenlicht. Das Weiß seiner langen Fassade zieht alle Blicke auf sich. Ein Weiß, das zum Gegenstand heftiger Diskussionen geworden ist. Wurde bei den erst kürzlich beendeten Reinigungsarbeiten des Gebäudes etwa die falsche Farbe angewendet? Sicherlich, meint Adriano La Regina, Roms oberster Hüter der städtischen Kulturgüter:

Von Thomas Migge |
    Allen, ob sie Römer sind oder Rombesucher, fällt doch sofort ins Auge, dass das historische Zentrum seine, ja wie soll ich sagen, Hautfarbe wechselt. Es wird immer pastellfarbiger. Paläste und Kirchen werden mit Farben angestrichen, die nicht die historisch verbürgten Farben sind. Das betrifft das gesamte Zentrum Roms.


    Adriano La Regina spricht von einem Skandal und zahlreiche Kunsthistoriker denken ähnlich. Der so genannte Superintendent Roms verweist auf jene Gemälde in römischen Museen, auf denen Gebäude zu sehen sind. Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts. Deutlich ist zu erkennen, welche Farben die Fassaden hatten. Es waren fast ausschließlich kräftige Farben, die mit der Zeit stellenweise vergilbten, heller wurden. Das, so La Regina, waren die echten Farben der ewigen Stadt und nicht die Bonbonfarbtöne, die sich immer mehr ausbreiten und Rom, so seine Kritik, wie eine bunte Kopie aus Disneyland erscheinen lassen:

    Wenn man durch Rom bummelt, hat man nicht mehr den Eindruck, dass man es mit einer Bausubstanz zu tun habe, die Jahrhunderte alt ist. Es wird immer mehr Wert darauf gelegt, dass die Fassaden perfekt und wie neu aussehen. Da fehlen eigentlich nur noch Blumenkästen mit Plastikgeranien vor den Fenstern. Entsetzlich! Immer mehr Paläste sehen wie Nachbildungen ihrer selbst aus.

    Immer mehr Kritiker weisen darauf hin, dass sich die Mode der Pastellfarben über die Stadt ausbreitet. Hellrosa, hellblau, hellgelb und hellgrün scheinen in zu sein - wie im späten 18. Jahrhundert. Diese Farben sollten aber nur dann benutzt werden, so La Regina, wenn ein Gebäude auch tatsächlich aus dieser Zeit stammt. Palazzi der Renaissance und des Frühbarock dürften aber nicht zu Opfern der Pastellmode werden. La Regina, dessen Stimme besonderes Gewicht zukommt, wirft dem Kulturministerium vor, mit seinen Anstrich-Genehmigungen den historisch gewachsenen Anblick des Zentrums zu zerstören. Jeder Besitzer eines historischen Gebäudes muss, wenn er dessen Fassade restaurieren und neu anstreichen will, eine Genehmigung einholen. Diese wird von einer Behörde des Kulturministers erstellt. Sie hat die Aufgabe, die Originalfarbe des jeweiligen Gebäudes zu ermitteln. Ein Gesetz schreibt diese akribische Sucharbeit vor. Diesem in Europa einmaligen Gesetz ist es bis vor einigen Jahren zu verdanken gewesen, dass kunsthistorisch wichtige Bauten nicht durch Modefarben verunstaltet wurden. Seit einiger Zeit aber, so Adriano La Regina in seiner Philippika gegen die Flut der Pastellfarben, scheinen die Verantwortlichen es mit ihrer Aufgabe nicht mehr ernst zu nehmen:

    Roms Polychromie bestand früher immer aus vielen sehr unterschiedlichen Farben. Selbst Ihr Goethe hat diese verschiedenen Farben geschätzt. Jetzt werden die noch existierenden Farbreste an alten Gebäuden, die uns Informationen darüber geben, welche Farben man nehmen sollte, mit Pastelltönen radikal übermalt. Erst werden die Fassaden restauriert, also vom Schmutz gereinigt, und anstatt sie dann so zu belassen oder die Originalfarben zu nehmen, wird einfach darüber gepinselt.

    Italien verfügt über die schärfsten Bestimmungen zum Erhalt historischer Bausubstanz. Nicht einmal auf das Dach eines Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert darf ein noch so kleines neues Dachfenster gesetzt werden. Dank dieser rigorosen Bestimmungen besitzt Italien Innenstadtkerne, die nahezu komplett erhalten sind. Dieser Schatz, so Roms oberster Kunsthüter, ist jetzt in Gefahr. Die Pastellfarben-Mode macht vor nichts halt: noch nicht einmal vor mittelalterlichen Gebäuden. Selbst sie, die einmal dunkelfarben waren, wirken nach der Generalüberholung wie aus dem Rokoko. Was kann gegen diese Mode unternommen werden? Adriano La Regina ist ratlos. Italiens bärbeißigster Kunstkritiker Vittorio Sgarbi weiß eine Antwort. Seiner Meinung nach sollten die pastellfarbenen Fassaden mit Grafitti und Farbbeuteln so stark besudelt werden, dass sie neu gestrichen werden müssen. Solche Farbenattentate sollte man Sgarbi zufolge solange wiederholen, bis die Verantwortlichen kapieren würden, dass es nur einen Ausweg gibt: die Originalfarben.