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Disneyland der Religionen

Gotteshäuser und Tempel unterschiedlichster Kulte: In Bussy Saint-Georges bei Paris ist ein gigantisches interreligiöses Zentrum mit Vorzeigecharakter entstanden. Kritiker halten nicht viel vom dortigen Dialog auf Augenhöhe.

Von Suzanne Krause |
    Bussy Saint-Georges zählt 25.000 Einwohner: Franzosen, aber auch viele Einwanderer. Die Stadt entstand auf dem Reißbrett. Das inspirierte den Bürgermeister zu einer –weltweit- einmaligen Idee: dem Aufbau eines multireligiösen Zentrums inmitten einer Neubausiedlung.

    Im weiträumigen Speisesaal des buddhistischen Zentrums sitzen 80 Kinder, zwischen sechs und 15 Jahre alt, vor Tellern mit Spaghetti und Gemüse. Sie nehmen teil am einwöchigen Ferienlager der buddhistischen Gemeinde, der ihre Eltern angehören. Gruppenleiterin Emily Dephilippe stimmt das Leitmotiv der Veranstaltung an.

    Als da wären die drei Werte: gute Worte, gute Taten, gute Gedanken. Aus vollem Herzen rezitieren die Kinder sie im Chor. Zur sichtlichen Freude der ehrwürdigen Manchien Shih: Die Äbtissin ist verantwortlich für die europäischen Tempel der Fo Guang Shan, des chinesischen Buddhismus-Zweigs. Das neue Zentrum in Bussy Saint-Georges öffnete seine Pforten vor vier Monaten. Und ist schon ausgelastet.

    "Jeden Samstag und Sonntag kommen über 300 Leute zu uns, um Mandarin-Chinesisch zu lernen. Ich zeige Ihnen mal unsere Klassenzimmer."

    Im langen Betongang hängen farbenfrohe Schilder mit buddhistischen Sinnsprüchen. Beidseits gehen kleine helle Unterrichtsräume ab. Angeboten werden Sprach- und Computerkurse, Meditation, Tai Chi. Das Herzstück des buddhistischen Zentrums ist jedoch der Tempel: ein hoher großer Saal für über 400 Gläubige. Stirnseitig thront ein Buddha aus birmanischer Jade, drei Meter hoch, acht Tonnen schwer. Die Wand dahinter zieren mehr als 600 Darstellungen von Buddha auf einem Lotusblatt. Zwei weitere kleinere Tempel gehören zur weiträumigen Anlage, ebenso ein Ausstellungsraum und drei Dutzend Schlafzimmer, für Nonnen und Besucher. Und ein kleiner Zen-Garten mit unzähligen steinernen Mönchsfiguren. Das Fa-Hua genannte Zentrum ist die größte Anlage von Fo Guang Shan in Europa.

    "Der Bürgermeister hat uns eingeladen, uns in Bussy Saint-Georges niederzulassen. Er wollte, dass hier alle Religionen vertreten sind. Acht Jahre dauerte die Planung, zwei Jahre der Bau, finanziert von den Gläubigen. Von einem solchen Zentrum träumte unser Großmeister Hsing Yun seit 20 Jahren."

    Rund um das buddhistische Zentrum ist immer noch eine Baustelle. Gegenüber werden neue Wohnhäuser hochgezogen. Linkerhand wächst eine Pagode aus dem Boden: neue Heimat für Buddhisten-Mönche aus Laos – und die 1000 laotischen Familien in Bussy Saint-Georges. Daneben steht ein fast fertiges Gebäude mit kühn geschwungenem Dach: die künftige Moschee. Hugues Rondeau, Bürgermeister und Initiator dieser "Esplanade des Religions", weist sichtlich stolz auf die Bauten:

    "Auch der Moschee-Bau ist sehr originell. Denn er nimmt Elemente der muslimischen Architektur auf und überträgt sie in unsere Breiten, also in den Großraum Paris. Das Minarett ist lediglich angedeutet, in Form eines himmelwärts gehenden Pfeils. Denn es soll zwar der islamischen Tradition gerecht werden, ohne jedoch bei uns Abwehrreaktionen zu provozieren. Wir wollten keinen Abklatsch traditioneller Kultusbauten, keine buddhistische Pagode wie in Laos, mit gigantischen Steinlöwen vor dem Eingang und grellen Farben an den Wänden. Wir wollten Bauten, die sich an das hiesige Umfeld anpassen, die zeitgenössisch sind."

    In Planung sind außerdem: eine armenische Kultstätte, eine Kirche der chinesischen Protestanten. Und in direkter Nachbarschaft der Moschee entsteht eine Synagoge: Rabbi Guy Benarousse hat das Projekt des interkonfessionellen Viertels mit angestoßen. Momentan sucht er noch händeringend nach Geldgebern: Zur jüdischen Gemeinde in Bussy Saint-Georges gehören gerade mal 120 Familien.

    "Das Projekt zielt nicht darauf ab, einen proselytischen Supermarkt zu schaffen. Sondern wir wollen einen Ort des gegenseitigen Austauschs aufbauen. Und wir wollen der Welt beweisen: es ist alles andere als etwas Spektakuläres, wenn Menschen unterschiedlichster Religionen friedlich zusammenleben."

    Die Nähe zum europäisch-amerikanischen Freizeitpark brachte manchen Kritiker dazu, das interkonfessionelle Zentrum in Bussy Saint-Georges als Disneyland der Religionen zu verspotten. Auch die Katholische Kirche beäugte die "Esplanade des Religions" anfangs mit großer Skepsis. Pierrick Lemaître steht der Gemeinde Notre Dame de Val vor, einer modernen Kirche mitten im Stadtzentrum der Kommune:

    "Es reicht nicht, einfach Kultstätten Seite an Seite zu erbauen, damit die Religionen miteinander in Kontakt kommen. Wichtig ist, dass jeder Gläubige seiner Tradition treu bleibt, damit wir miteinander in Dialog treten können. Es geht nicht darum, alle Religionen miteinander zu vermengen. Für einen Dialog muss vielmehr jeder wissen, wer er ist und woran er glaubt."

    Ein positives Zeichen der Öffnung: Ein erster interkonfessioneller Austausch wird am 1. Dezember stattfinden – da treffen katholische Studenten aus ganz Frankreich im buddhistischen Zentrum die Gemeindevorstände der anderen Religionen.

    Hugues Rondeau wurde unterstellt, mit seinem Projekt das republikanische Laizitätsprinzip zu verraten. Unsinn, wehrt sich der Bürgermeister und praktizierende Katholik: auf der "Esplanade des Religions" seien alle Konfessionen gleichgestellt, Finanzierungshilfen von der Gemeinde gab es für keinen. Gerade in einer multikulturellen Gemeinde wie Bussy Saint-Georges sei es eine absolute Notwendigkeit, Menschen miteinander zu verbinden, um den sozialen Frieden zu erhalten.

    "Wir ermöglichen den Gläubigen unterschiedlichster Couleurs, ihrer Religion Ausdruck zu geben. Und somit gut zusammenleben zu können. Wenn eine Religion unterdrückt wird und dies ist in Europa häufig der Fall beim Islam, dann entstehen Frustrationen und Spannungen. Wir hingegen wollen solchen Spannungen vorbeugen. Wir wollen zeigen: In Bussy Saint-Georges darf jeder seinen Glauben leben. Und das ermöglicht ihm, ein zufriedener Bürger zu sein."