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Dissonanz und Auflösung

Mit "Water by the Spoonful" gewann Quiara Alegría Hudes 2012 den Pulitzerpreis. Im Mittelpunkt des Stückes steht eine Generation von Gestrandeten, die versuchen, im Amerika der geplatzten Träume ihrem Leben einen Neuanfang zu geben.

Von Andreas Robertz |
    Yaz Ortiz ist Musiklehrerin in einem guten College, ihr Flügel mit Hypothek kostet 17.000 Dollar, und sie hat sich gerade erst scheiden lassen. Damit ist sie die Einzige in ihrer Verwandtschaft, die es zu einem fast stabilen Leben gebracht hat. An einer Stelle im Stück tritt sie vor das Publikum und erklärt anhand von John Coltranes "A Love Supreme" den Zusammenhang von Dissonanz und Auflösung in der Musik und wie oft ersteres zu letzterem führen kann.

    Dissonanz ist etwas, das alle Figuren des Stückes von "Water by the Spoonful" zu Genüge erfahren haben. Im Zentrum des Stückes mit seinen verschiedenen Handlungssträngen steht Yaz‘ Cousin Elliot Ortiz, der am Bein verwundet aus dem Irak zurückkehrte und nun verarmt und ohne jede Aufstiegschance in einem Sandwichshop arbeitet - und nicht weiß, wohin mit seiner Wut. Er war schon der Held von Quiara Alegría Hudes erstem Stück "Elliot, a Soldier’s Fugue". Als Ortiz‘ Tante, die ihn aufgezogen hat, stirbt, beginnt für ihn eine schwierige Reise durch seine Erinnerungen, immer verfolgt von dem Geist eines Arabers, den er im Irak erschossen hat.

    Parallel spielt das Stück in einem Selbsthilfe-Chatroom für ehemalige Crack-Abhängige, die sich mit obskuren User-Namen wie Orangutan, Haikunan und "Chutes and Ladders" einloggen. Dahinter verstecken sich so unterschiedliche Menschen wie die junge Madeleine, die nach Japan gereist ist, um ihre wahren Eltern zu finden, oder der schwarze Versicherungsbearbeiter Clayton, der isoliert und in Entfremdung mit seiner Familie lebt. Oder der reiche Weiße John, der alles hat und doch ins Dunkel driftet. Allen gemeinsam ist, dass ihre einzige Währung aus den Tagen besteht, an denen sie drogenfrei sind. Scheinbar erst ohne Zusammenhang mit Elliots Geschichte, erfährt man, dass die Administratorin des Chatrooms seine wahre Mutter Odessa ist, die durch ihre Sucht nie für ihn da war und nun den Chatroom wie eine Mutter zusammenhält. Dabei sind die Online-Unterhaltungen wie echte Gespräche inszeniert.

    "Ist dein Dealer männlich oder weiblich?" "Hab alles die Toilette runtergespült, wie du gesagt hast." "Die ursprüngliche Verbindung, die dich angefixt hat?" "Weiblich." "Hattest du Sex mit ihr?" "Du redest nicht um den heißen Brei." "Ich nehm das als ein Ja. Hast du lieber Sex, wenn du high bist oder nüchtern?"

    Das Stück handelt nicht nur vom Kampf gegen Abhängigkeit oder Geister der Vergangenheit, nicht nur von menschlicher Nähe im Cyberspace versus Isolation in der Realität, sondern schlicht und ergreifend davon, wie Menschen nach einem persönlichen Niedergang wieder versuchen, auf ihre Beine zu kommen. Dabei erweist sich das World Wide Web zuweilen als wärmerer Ort als die Realität.

    Hudes erzählt ihre Geschichten feinfühlig und voller Humor und ohne die tieferliegenden Abgründe von Angst, Schuld und hilfloser Wut zu umgehen. Obwohl der erste Akt der zurzeit so modischen Fragmentierung einer Geschichte folgt und dadurch zwar interessant, aber nicht besonders tiefsinnig ist, bringt das Stück die Fragmente im zweiten Teil überraschend stimmig zusammen. Hudes folgt damit ihrem Thema von Dissonanz und Auflösung. Besonders eindrücklich ist die Szene, in der Odessa John trifft und ohne ihn wirklich zu kennen, zu ihrem gesetzmäßigen Paten macht.

    Als sie nach einer Auseinandersetzung mit Elliot einen schweren Drogenrückfall hat, kümmert er sich als einziger um sie. In einer von Regisseur Davis McCallum wunderschön inszenierten Schlussszene sieht man, wie Elliot und Yaz die Asche ihrer Tante in Puerto Rico verstreuen und John liebevoll Odessa aus einer Badewanne hebt. Fallen und Aufsteigen in einem Bild, Dissonanz, die zur Auflösung führt.

    "Water by the Spoonful" ist das zweite Stück von Hudes Philadelphia-Trilogie über die Ortiz-Familie. Der letzte Teil, "The Happiest Song Plays Last”, wird gerade in Chicago geprobt. Alle drei Stücke handeln von Figuren, die aus allen ethnischen Bereichen der amerikanischen Gesellschaft kommen. Damit gehört Quiara Allegría Hudes ähnlich wie Lisa D’Amour oder Katori Hall zu einer neuen Generation von jungen starken Dramatikerinnen in Amerika. Sie alle sprechen die Sprache einer Generation von Gestrandeten, die versuchen, im Amerika nach dem geplatzten Traum und dem langen Krieg ihrem Leben einen Neuanfang zu geben.