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Distanz zu vorgefassten Standpunkten

Marc Thörner ist mehrfach als Journalist in den Irak gereist. Aus diesen Erfahrungen und weiteren Geschichten von Reisen nach Afghanistan, Ägypten, Tunesien, Marokko, Algerien und Pakistan hat Thörner ein Buch gemacht: "Der falsche Bart. Reportagen aus dem Krieg gegen den Terror" heißt es. Lesenswert ist es vor allem deshalb, weil es einen offenen Blick hinter die Fassaden wirft. Ein Buchtipp.

Moderation: Karin Beindorff |
    Auszug Feature "Tee in Tikrit"
    Captain Petermans Patrouille durch Beidschi ist vor einem langgezogenen flachen Gehöft mit Haupthaus und Wirtschaftsgebäuden angelangt.
    Hier wohnt ein wichtiger lokaler Führer, erklärt der irakische Kompaniedolmetscher:

    "Scheich Ziyad, er ist der Chef des al Bin Nasr-Stammes in Beidschi, des Stammes von Saddam Hussein, er ist ein Cousin von Saddam."

    'Winning Hearts.' - lautet der Auftrag des stämmigen, rotnackigen Fallschirmjägeroffiziers: Er soll heute das Herz von Saddams Cousin gewinnen. Oder wenn das nicht gelingt, ihn wenigstens zu einer neutralen Haltung gegenüber der US-Armee bewegen.

    "Diesen Scheich, Scheich Ziyad, haben wir schon dreimal festgenommen. Er gehörte zu denen, die Saddam während dessen Flucht versteckt haben, er war eine der Schlüsselfiguren dabei.
    Außerdem hat er den Aufstand gegen uns finanziert. "

    Um zu zeigen, dass er sich hier unter Freunden weiß, reißt Captain Peterman den Klettverschluss der Schutzweste auf, nimmt den Helm ab und stellt Helm, Gewehr und Schutzweste in eine Ecke. Scheich Ziyad, ein Schnurrbartträger Anfang 50, ähnelt seinem toten Cousin Saddam Hussein auffallend. Zu einem braunen, goldgesäumten Dischdascha-Gewand trägt der lokale Führer der Bin Nasr die rotweißgemusterte Keffieh-Kopfbedeckung der Sunnitenstämme. Mit einer weltmännischen Armbewegung fordert er den Captain, dessen Dolmetscher und einen Sergeant auf hereinzukommen. Auch ich darf eintreten. Am Ende eines Korridors öffnet sich die Majlis - das zweite Wohnzimmer, das in allen arabischen Häusern der Region für den Empfang von Gästen reserviert ist.

    In seinem Feature "Tee in Tikrit", für unser Feature-Programm im Februar 2007 recherchiert, aus dem dieser eben gehörte Ausschnitt stammt, erzählt Marc Thörner von den Schwierigkeiten der US-Armee im Irak das umzusetzen, was ihr Präsident und Oberbefehlshaber in Washington der Welt als Sinn und Zweck des Krieges zu verkaufen versucht. Thörner ist mehrfach als Journalist in den Irak gereist, die US-Armee hat ihn als embedded akzeptiert. Dass das allerdings nicht bedeuten muss, den politischen Absichten der US-Offiziellen nach dem Munde zu reden, belegen seine Beiträge von dort.

    Aus diesen und weiteren Geschichten von Reisen nach Afghanistan, Ägypten, Tunesien, Marokko, Algerien und Pakistan hat Thörner nun ein sehr lesenswertes Buch gemacht: Der falsche Bart. Reportagen aus dem Krieg gegen den Terror heißt es. Lesenswert ist es vor allem deshalb, weil es fern aller anti-islamischen Klischees, wie sie bei uns gerade sehr in Mode sind, einen offenen Blick hinter die Fassaden wirft. Zugute kommen dem Autor seine arabischen Sprachkenntnisse und die Fähigkeit zu allen vorgefassten Standpunkten Distanz zu bewahren. Thörner geht den geistigen Verflechtungen zwischen traditionellem Islam, dem radikalen, politisch gewendeten Islamismus und dem antimodernen westlichen Denken nach, was zu aufschlussreichen Überlegungen und Erkenntnissen führt. Die Mischung aus szenischen Schilderungen, historischen Fakten und Analysen des Erlebten macht das Buch zu einer Lektüre, die man bis zum Ende nicht aus der Hand legen mag. Der falsche Bart. Reportagen aus dem Krieg gegen den Terror von Marc Thörner erscheint in der Edition Nautilus, hat 160 Seiten und kostet 12,90 Euro.