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DNA am Tatort
Beweis oder Trugspur?

DNA-Spuren galten in der Kriminologie bisher als eindeutiger Beweis, dass die Person, zu der die DNA gehört, am Tatort war. Doch das wird nun infrage gestellt: Denn DNA lässt sich offenbar auch über andere Gegenstände oder Personen an den jeweiligen Ort transferieren. Das haben erste Studien gezeigt. Rechtsmediziner warnen vor falschen Rückschlüssen.

Von Michael Stang | 08.10.2015
    Ein Mitarbeiter der Kriminaltechnik der Polizei sichert DNA-Spuren an einer Flasche.
    Können DNA-Spuren in die Irre führen? (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    "Ausschlaggebend war eigentlich eine Frage aus dem Gerichtssaal."
    Bei einer Gerichtsverhandlung ging es um einen Tatort, an dem genetische Spuren mehrerer Personen entdeckt wurden. Der Verteidiger wollte wissen:
    "Ob es überhaupt sein kann, dass ein Angeklagter eventuell gar nicht am Tatort gewesen sein muss?"
    Mischspuren an Türklinken oder Fernbedienungen
    Diese Frage beleuchtet ein Dilemma der heutigen Rechtsmedizin, so Janine Helmus vom Universitätsklinikum Essen. Genetische Untersuchungsmethoden sind mittlerweile so sensitiv, dass bereits wenige Hautschuppen ausreichen, um den genetischen Fingerabdruck einer Person zu bestimmen. Der Umkehrschluss, dass diese Person automatisch auch am Tatort gewesen sein muss, muss damit nicht zwangsläufig zutreffen.
    "Und das war eine ganz interessante Fragestellung. Es gibt tatsächlich viele Wege, wie es zu Mischspuren kommen kann und dem wollten wir mal auf den Grund gehen, weil richtig Literatur dazu gab es nicht. Man kennt verschiedene Wege und es gibt sicherlich Möglichkeiten, aber es gibt halt keine Daten dazu."
    Mischspuren sind genetische Hinterlassenschaften mehrerer Personen. Diese findet man etwa an Türklinken oder Fernbedienungen. Die Frage also war, zu wie viel Prozent ist es möglich, dass Hautschuppen von Dritten übertragen werden? Oder einfacher: Ist folgendes Szenario denkbar:
    "Person eins hinterlässt auf Gegenstand 1 ihre DNA. Und diese Zellen können durch eine Person zwei aufgenommen werden und an einem Gegenstand - eventuell dann Tatort - hinterlassen."
    Janine Helmus und ihr Team vom Institut für Rechtsmedizin wollten bei ihrer Studie herausfinden, ob und wenn ja, zu wie viel Prozent ein sogenannter tertiärer Transfer möglich ist. Sechs Freiwillige waren sowohl Spender als auch Empfänger. Die Forscher rieben mit einem Tuch zunächst einem Spender über den Nacken, danach wischten sie das Tuch über die Hand des Empfängers. Der Empfänger musste danach einen zweiten Gegenstand anfassen.
    "Es ging ums Portemonnaie, also die Außenseite des Portemonnaies und auch um Geldscheine."
    Blindes Vertrauen kann zu falschen Rückschlüssen führen
    Anschließend kontrollierten die Experten, ob an Gegenstand Nummer zwei noch Hautspuren von Person eins nachweisbar sind, obwohl diese den zweiten Gegenstand nie berührt hatte. Nach 180 Versuchen mit verschiedenen Utensilien und Versuchsaufbauten waren die Resultate eindeutig:
    "Unsere Ergebnisse waren, dass ein tertiärer Transfer tatsächlich möglich ist und das sogar zu einem hohen Prozentsatz."
    In bis zu 40 Prozent der Fälle wurden genetische Spuren übertragen. Die ursprüngliche Frage aus dem Gerichtssaal: "Kann die DNA einer Person, die nie am Tatort gewesen ist, mittels Übertragung durch den Täter an den Tatort gelangen?" muss mit "Ja" beantwortet werden. Zwar sei dieses Experiment nur eine erste Studie, versichert Janine Helmus, aber die Ergebnisse zeigen eines deutlich. Blindes Vertrauen in die Genetik kann theoretisch zu falschen Rückschlüssen führen. Dieser Gefahr sollten sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung bewusst sein. Die Molekulargenetik ist lediglich eine Untersuchungsmethode, die angibt, ob DNA von einer bestimmten Person vorliegt oder nicht. Die Urteile aber werden weiter im Gericht und nicht im Labor gefällt.