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Doch kein Held

Der italienische Journalist Indro Montanelli lebte von 1909 bis 2001. Man nennt ihn den Doyen des italienischen Journalismus. Seine Meinung war Gesetz, er galt als aufrechter Antifaschist, als moralisches Vorbild und als Held. Zu Unrecht, wie sich jetzt herausstellte.

Von Thomas Migge | 30.09.2007
    "Es scheint so, dass es ein perfektes Verschweigen einer Realität gegeben habe, die den Biografen doch hätte aufgefallen müssen. Die hätten doch in Erfahrung bringen können, dass Montanelli nicht der antifaschistische Held gewesen war, als der er immer wieder dargestellt wird. Haben seine Biografen denn nicht den Lebenslauf genau kontrolliert?"

    Eine Frage, die sich inzwischen viele Italiener stellen. Für die römische Historikerin Antonella Biraghini ist es fast schon ein Skandal, worauf jetzt eine Schweizer Kollegin die Italiener aufmerksam macht: Indro Montanelli, der Doyen des italienischen Nachkriegsjournalismus, sei ganz und gar kein antifaschistischer Partisan gewesen.

    Wie kein anderer italienischer Journalist nach 1945 verkörperte Montanelli die Figur des aufrechten liberalen Bürgers, der die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats hochhielt. So legte er sich mit den Roten Brigaden an, die in ihm den gefährlichsten Journalisten des kapitalistischen Systems sahen und in dafür anschossen. Für Silvio Berlusconi, gegen dessen Präsenz auf der politischen Bühne Montanelli anschrieb, war er der, so der Medienzar, "Erzfeind Nummer eins".

    Immer wieder beschrieb sich Montanelli als überzeugten Antifaschisten, als jemanden, der während der deutschen Besetzung Norditaliens, nach dem Sturz Mussolinis 1943, aktiv mit Partisanen zusammengearbeitet habe. Nichts von dem sei wahr, weist nun die Schweizer Historikerin Renata Broggini nach:

    "Das lässt sich anhand der Dokumente nachweisen, die Verhöre wiedergeben, die nach Kriegsende von britischen Soldaten unter Antifaschisten durchgeführt wurden. In diesen Aufzeichnungen ist nicht ein einziges Mal die Rede davon, dass Montanelli mit Partisanen zusammengearbeitet habe. Sie nennen nie seinen Namen. Sofort nach seiner Ankunft in der Schweiz aber schrieb Montanelli für lokalen Zeitungen und beschrieb sich dort als jemanden, der mit Partisanen kooperiert habe"

    Die Historikerin hat sich in Italien mit wissenschaftlichen Untersuchungen über italienische Flüchtlinge während des Faschismus einen Namen gemacht.
    Mit ihren neuesten Rechercheergebnissen stürzt sie einen der wichtigsten antifaschistischen Götter vom Sockel nationaler Verehrung. Renata Broggini studierte dafür Originaldokumente in italienischen, britischen und Schweizer Archiven - Material, das bis dato nicht komplett ausgewertet werden konnte, weil es sich in Militärarchiven mit Sperrfrist befindet.

    Renata Brogginis Forschungsergebnisse sorgen in Italien für großes Aufsehen.
    Sie liefert eine Vielzahl von Quellenangaben, die in den Biografien zu Montanellis nicht auftauchen. So weist sie unter anderem nach, dass Montanelli nicht, wie er Zeit seines Lebens behauptet hatte, 1944 aus dem faschistischen Gefängnis San Vittore in Mailand geflohen ist:

    "Bei seiner Flucht in die Schweiz erklärte er dem Grenzposten, dass er verhaftet wurde, weil er antifaschistische Partisanen unterstützt habe und die Deutschen ihn deshalb zum Tode verurteilt hätten. Ich kann Dokumente vorlegen, die beweisen, dass Montanelli von dem faschistischen General Graziano auf deutsche Bitte hin freigelassen wurde"

    Indro Montanelli habe also, so Renata Broggini, mit den deutschen Besatzern gekungelt, um freizukommen. Seine eigene Frau, eine Deutsche, blieb auch weiterhin hinter Gittern - er kümmerte sich nicht weiter um sie. Auch die Geschichte mit den Partisanen entspreche, so die Zeithistorikerin aus der Südschweiz, in keiner Weise der Wahrheit. Die von ihr ausgewerteten Zeitdokumente seien da eindeutig.

    Viele nach dem Krieg sich selbst als aufrechte Demokraten gebende Italiener kollaborierten während des Faschismus. In der italienischen Nachkriegszeit war das nie ein Thema. Erst seit einiger Zeit tauchen in den Tageszeitungen die Fälle von Medizinern und Hochschulprofessoren auf, die nachweislich Faschisten und Antisemiten waren und diese Realität nach 1945 schnell unter den Tisch kehrten. Kleine Fische im Vergleich zum "Fall Montanelli". Seine wahre Geschichte könnte nun zum Fanal eines neuen Umgangs mit vermeintlich antifaschistischen Helden werden, meint Enzo Gigante, Zeithistoriker an der Universität Rom:

    "Man will endlich Klarheit schaffen. Nach Kriegsende wurde bei den Selbstauskünften vieler Persönlichkeiten nicht richtig nachgehakt. Die jetzt vorgelegten Dokumente im Fall Montanelli sind eindeutig. Hier muss eine Vita berichtigt werden. Das sollte ein Anreiz dafür sein, auch andere berühmte Antifaschisten historisch genauer als bisher unter die Lupe zu nehmen."