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Doch keinen Schuss getan

Geologie. - Die Anden gehören zu den größten Gebirgen der Erde, seit einer Veröffentlichung im Jahr 2006 galten sie auch als eines der besonders schnell wachsenden. Doch jetzt haben Wissenschaftler das damalige Bild des in Sprüngen emporsteigenden Gebirges in Frage gestellt. Damals vorgebrachte Indizien sprächen eher für einen rapiden Klimawechsel.

Von Dagmar Röhrlich |
    Wie Gebirge im Lauf der Jahrmillionen entstehen, ist wichtig, erklärt Todd Ehlers vom Institut für Geowissenschaften der Universität Tübingen:

    "Gebirgsketten wie die Anden oder der Himalaja verändern vieles. Weil durch ihre Entstehung große Mengen an Steinen hoch hinauf gehoben werden und verwittern, beeinflussen sie die Chemie der Meere. Bei dieser Verwitterung holen sie auch Kohlendioxid aus der Atmosphäre und verändern das Klima."

    Gebirge greifen tief das System Erde ein, und ihre Höhe ist dabei ein entscheidender Faktor. Also suchen Geologen nach geochemischen Höhenmessern. Einer dieser Höhenmesser sind Sauerstoffisotope, also verschieden schwere Sauerstoff-Varianten. Eingebaut in Minerale, die sich in Bergseen bilden, konservieren diese Sauerstoffisotope über Jahrmillionen hinweg Informationen über den Regen, der einst gefallen ist. Denn ein Tropfen aus Wasser mit schwerem Sauerstoff wiegt mehr als ein normaler. Er fällt schneller aus den Wolken, die am Gebirge aufsteigen, weshalb im Regen die schwere Sauerstoffvariante mit der Höhe abnimmt. Also verrät die Analyse der Mineralen, wie hoch der See lag, in dem sie entstanden:

    "Eine Gruppe von Geologen hat diese uralten Isotopen in den Anden gemessen und entdeckt, dass in ihnen der schwere Sauerstoff vor zehn Millionen Jahren abrupt abnahm. Ihre Interpretation war, dass die Anden damals in kurzer Zeit um zwei, drei Kilometer in die Höhe geschossen sind. Das war ein überraschendes Ergebnis, und wir glaubten nicht so recht daran."

    Christopher Poulsen University of Michigan in Ann Arbour. Zusammen mit Todd Ehlers suchte der Geologe deshalb nach alternativen Erklärungen. Ihre Idee: Da Regentropfen mit der schweren Sauerstoffvariante als Erstes aus den Wolken fallen – sinkt der Anteil dieser schweren Tropfen, je länger und heftiger ein Regenguss andauert, ganz unabhängig von der Höhe in der der Regen fällt. Poulsen und Ehlers simulierten mit Klimamodellen zuerst die Verhältnisse in den Anden heute. Dann ließen sie die Anden im Computer schrittweise kleiner werden. Das Ergebnis: Als die Anden in den Simulationen rund zwei Drittel ihrer heutigen Höhe erreichten,veränderte sich plötzlich der Gehalt an schwerem Sauerstoff im Regen. Poulsen:

    "Wir schlagen deshalb vor, dass sich damals nicht die Berge schnell gehoben, sondern die Regenfälle stark zugenommen haben."

    Die Veränderungen in den Sauerstoffisotopen spiegelten wieder, dass die Anden ab einer gewissen Höhe das Klima drastisch beeinflussten, so Poulsen:

    "Heute bringt ein Windband Wasserdampf aus dem Amazonas in die Zentralanden. Als die Berge flach waren, war diese Strömung sehr schwach, blieb im Amazonas stecken. Als die Berge aufstiegen, wurde das Windband stärker. Es verlagerte sich nach Westen und schaffte schließlich Wasserdampf heran, der in den Anden starke Regenfälle auslöste. Durch die Gebirgsbildung regnete es in den Anden viel mehr, wodurch im Niederschlag der Gehalt an schweren Sauerstoffisotopen stark sank."

    Die Anden wären also stetig und langsam aufgestiegen, nicht sprunghaft. Davon ist der Geologe David Rowley von der University of Chicago noch nicht überzeugt:

    "Einmal haben diese doch recht groben Klimamodelle Probleme, den komplexen Zusammenhang zwischen Gebirge, Isotopen und Regen widerzuspiegeln. Außerdem deuten nicht nur die Sauerstoffisotope auf einen schnellen Aufstieg der Anden hin, sondern auch die Paläotemperaturen, die an den gleichen See-Mineralen gemessen worden sind."

    Den Paläotemperaturen zufolge entstanden die See-Minerale vor zehn Millionen Jahren bei warmem Klima auf Meeresniveau, während sich die vier Millionen Jahre jüngeren in der Kälte bildeten - so kalt wie im Hochgebirge. Die Debatte um den schnellen Aufstieg der Anden geht also in die nächste Runde.