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Doch nur reine Chemie?

Paläontologie. – Der Kalifornier Bill Schopf entdeckte in den 80er Jahren winzig kleine fadenförmige Strukturen in westaustralischen Gesteinen. Er identifizierte sie – und darin folgten ihm die meisten seiner Fachkollegen – als die mit 3,5 Milliarden Jahren ältesten Fossilien der Welt. Doch seit gut zwei Jahren tauchen immer mehr Zweifel an diesem Fund auf. In der aktuellen "Science" stellen Forscher jetzt einen chemischen Prozess vor, der ebensolche Strukturen hervorbringt, ohne dass die Biologie eine Rolle spielt.

Dagmar Röhrlich | 14.11.2003
    Am Anfang stand ALH84001, also jener Meteorit, in dem NASA-Forscher 1996 glaubten, Spuren fossile Lebens gefunden zu haben. Bei genauerem Hinsehen erwiesen sich die sogenannten Fossilien als schlichte Minerale. Das weckte das Misstrauen einiger Forscher gegenüber irdischen Fossilien, die älter sind als 2,7 Milliarden Jahre. Der Grund: Die Kandidaten sind zum einen winzig und zum anderen schlecht erhalten. Um nachzuweisen, dass sie einmal gelebt haben, setzte man bislang erstens auf Kohlenstoffisotope. Allerdings weiß man inzwischen, dass die als charakteristisch angenommene Verschiebungen keinesfalls charakteristisch ist: Pure Gesteins-Chemie kann genau die gleichen Resultate erzielen wie Lebewesen. Der zweite Säule der Erkenntnis ist im Grunde eine schlichte Alltagserfahrung: Kristalle sind hart, kantig und regelmäßig, Biologisches ist weich und vielfältig geformt. Aufgrund solcher Indizien sind die mikroskopisch feine Fäden, die primitiven Cyanobakterien ähneln, von dem amerikanischen Paläontologen William Schopf als 3,4 Milliarden Jahre alte Fossilien eingestuft worden. Vielleicht etwas voreilig, erklärt Martin van Kranendonk vom Westaustralischen Geologischen Dienst in Perth:

    In der Vergangenheit haben wir uns in diesen uralten Gesteinen auf diese ein oder zwei Nachweislinien für Leben verlassen. Sie reichen aber nicht für den Nachweis aus, dass da etwas in einer fernen Vergangenheit gelebt hat. Denn Gesteine sind ein extrem komplexes System, nicht nur bei ihrer Entstehung, wenn die Fossilien eingebettet werden, sondern auch später in ihrer Geschichte, wenn sie unter anderen Gesteinen vergraben, aufgeheizt, durchgeknetet, zerbrochen und von Flüssigkeiten durchdrungen werden.
    Nachdem vor zwei Jahren die berühmten Fossilien aufgrund von Geländebefunden und neuen mikroskopischen Untersuchung erstmals angezweifelt worden sind, kommt jetzt ein neuer Beschuss aus dem Labor. Spanischen und australischen Forschern ist es gelungen, künstliche Strukturen herzustellen, die den ältesten biologischen Überresten aufs Haar gleichen. Kranendonk:

    Einige sehen aus wie kleine Würmer und haben genau die Segmente, die für die Fossilien beschrieben worden sind. Wir konnten sogar zeigen, dass Strukturen entstehen, die an DNA-Moleküle erinnern. Die von William Schopf beschriebenen Strukturen könnten also ohne biologisches Lebens auch durch rein anorganische Prozesse entstanden sein. Wir haben einfach unter normalen Druck- und Temperaturbedingungen und mit primitiven Kohlenwasserstoffe in einer kohlendioxidhaltigen Atmosphäre zwei Flüssigkeiten - gelöstes Bariumchlorid und gelöste Kieselerde - gemischt. Die Form der Kristalle, die entstehen, gleicht den beschriebenen Mikrofossilien.

    Der Trick sind dabei die gelösten Silikate, führt der Physiker Stephen Hyde von der National University in Canberra aus. Sie sorgen dafür, dass sehr komplexe Bariumkarbonate kristallisieren, die von einer Silikathaut wie von einer Zellmembran umgeben sind. Alle Ingredienzien aus dem Labor sind an der Fundstelle vorhanden.

    Der attackierte Forscher William Schopf hat per Email auf die Experimente eingewandt, dass Mineral und Fossil zwar äußerlich gleich aussähen, aber dass die Minerale aber nicht hohl seien wie die Fossilien und keine internen Strukturen besäßen. Die anderen kontern: Wenn im Lauf der 3,5 Milliarden Jahre nur einmal eine leicht saure Lösung durch die Gesteine dringt - wird das Bariumkarbonat gelöst und übrig bleibt die Silikathülle. Und sie führen aus, dass das Eisen im Fundgebiet das mineralische Plagiat noch perfekter macht. Kranendonk:

    Wir konnten in der Fortsetzung des Experiments zeigen, dass sich diese Silikathaut innen und außen mit einer Haut aus Graphit überzieht, wenn Eisen im Gestein vorhanden ist. Das sieht aus wie ein organischer Überzug. In diesem Stadium unseres Experiments waren die Resultate fast nicht mehr von dem Material aus Westaustralien zu unterscheiden.
    Das Mineral gleicht einem durch die Jahrmilliarden mitgenommenen Cyanobakterium. Die Forscher aus Australien und Spanien betonen: Beweisen können sie nicht, dass diese Strukturen anorganisch sind, aber auch der Nachweis des biologischen Ursprungs ist derzeit unmöglich. Genau darauf kommt es ihnen an: dass Kriterien fehlen, um uraltes Leben zu identifizieren. Hier schließt sich der Kreis zu ALH84001 und den gerade laufenden Marsmissionen: Wenn wir noch nicht einmal uraltes Leben auf der Erde sicher erkennen können - um wie viel schwieriger ist es auf dem Mars mit seinen vollkommen anderen Umweltbedingungen. Kranendonk:
    Nachzuweisen, dass etwas einmal gelebt hat, ist ein extrem schwieriges Unterfangen.