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"Doctor Atomic"

Nach dem zeitkritischen und ironisch zu deuteten Erstling "Nixon in China" und der Anti-Terroristen-Oper "The Death of Klinghoffer" hat John Adams nun wieder ein politisches Werk hervorgebracht. Die Europäische Erstaufführung fand nun im Rahmen des "Holland Festivals in het muziektheater Amsterdam" statt. Typisches Kennzeichen: Minimal Music, eine Art Edel-Pop aus Loops und Schleifen.

Von Frieder Reininghaus | 11.06.2007
    Zu den erkennbaren Vorzügen und größten Gefahren der Minimal music gehört, dass ihre rhythmischen Grundmuster mit den unterschiedlichsten melodischen Figuren und harmonischen Fortschreitungen aus den verschiedenen Zonen der Musikgeschichte konnotiert werden können. So vermag sie ziemlich eindeutig funktionierende, "bewährte" Affekte zeitigen und sich auf illustrative Weise mit Text und Handlung verbinden. Sogar auf wohlfeile Weise mit durchaus brisanten Stoffen.
    Zu den Fragen, wie sich Wissenschaftler verhalten, die auf prekäre und absehbare Weise in Forschungsprojekte involviert sind, die für die Menschheit überwiegend fatale Folgen versprechen, wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Theaterstücken und Opern geschrieben. Der Wettlauf zur militärischen Nutzung der Kernspaltung, der "Fall Oppenheimer", nimmt dabei eine Schlüsselstellung ein. Erinnert sei in diesem Kontext nur an Heinar Kipphardts berühmtes Fernseh-Dokumentarspiel und Theaterstück von 1964.

    Von Los Alamos ging kein Segen für die Menschheit aus: dort, in der Wüste des US-Bundesstaates New Mexico, war am 16. Juli 1945 der Versuch erfolgreich, spaltbares Uran in großem Umfang zur Explosion zu bringen. Er führte drei Wochen später zum Einsatz der Atombombe auf Hiroshima, der eine halbe Million zivile Opfer hinterließ, sich allerdings durch die Kapitulation Japans als effektiv erwies. "Los Alamos" aber wurde zu einem Mythos für den schillernden "Fortschritt" auch des Kampfes gegen "Schurken", die in der Weltgeschichte bekanntlich stets neu ermittelt und ins Visier genommen werden.

    Auf prekäre politische Fragen lässt sich das Libretto nicht ein, das der Regisseur Peter Sellars für die 2005 in San Francisco uraufgeführte Oper von John Adams entwickelte: da geht es um Auffassungs- und Temperamentsunterschiede zwischen verschiedenen Mitarbeitern am Projekt "Trinity", auch um Reaktionen von Oppenheimers Gattin Kitty, den Druck der militärischen Führung auf die auf Qualitätsarbeit bedachten Ingenieure des Grauens.

    Bravourös versorgte Adams die wechselnden Stimmungen bei den technisch-rational involvierten Männern der angewandten Atomforschung und den emotional aufgewühlten Frauen mit Stimmungsmusik. Doch bleiben die politisch entkernten Konfliktdarstellungen von Peter Sellars in ihrer Holzschnittartigkeit weit hinter dem zurück, was avanciertes Theater mit dem fürwahr zündenden Sujet anfangen könnte.

    Die hurtig-beflissene Choreographie von Lucinda Childs sorgt mit Einlagen, die immer wieder beim rotchinesischen Revolutionsballett Anleihen nahmen, für Auflockerung gegen die rasch aufkeimende Langeweile: das khakifarbene Männer- und Frauenbataillon hüpft und eilt über die Bühne, um das, was die Botschaften von Text und ruheloser Musik ohnedies schon sagen, mit Nachdruck zu unterstreichen. Außerdem blitzt und donnert es so viel wie früher beim Kasperletheater.

    Lawrence Renes sorgt mit dem mitunter prächtig funkelnden Nederlands Philharmonisch Orkest und dem Koor van De Nederlandse Opera für die punktgenaue und stimmungsvolle Umsetzung der Seifenoper für Fortgeschrittene. Eric Owens beschert als General Groves den heiteren Moment des Abends: diese Galionsfigur von "Fat man" berichtet vom Scheitern seines Diätplans. Gerald Finley, der Robert Oppenheimer Stimme und Statur verleiht, darf tief in die Schatztruhe Sebastian Bachs greifen, um seine Zweifel an Gott und der Welt zu veräußern.
    Peter Sellars und John Adams haben noch einmal eine politische Oper kreiert, deren differenzierte Tonlagen so manche anrührt. Tatsächlich erweist sich ihr Produkt als politisch durch und durch - weniger mit dem, was es Botschaft kolportiert als mit dem, was es ausblendet. Milde gestimmt ließe sich sagen, dass der fortschreitende Infantilismus des Dichter-Regisseurs Sellars ein brisantes Thema mit der Strategie der Verlangweilung besetzt und unterläuft. Kritischer wäre die Frage, ob und ggf. in wie weit er in höherem Auftrag handelt - insbesondere aber, warum Theaterdirektoren nicht auf einer inhaltlich angemesseneren künstlerischen Auseinandersetzung mit Oppenheimer, dem Opportunismus der Intelligenz und der Atom-Politik bestehen.