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Doktor gesucht

Experten schlagen Alarm, denn ihrer Meinung nach droht der Ärztemangel. Im Osten Deutschlands seien bereits in einigen Krankenhäusern ganze Fachabteilungen geschlossen und im Westen könnten selbst leitende Stellen nur noch mit großer Mühe besetzt werden. Die Initiative des "Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands" sucht nach Auswegen.

Von Stephanie Kowalewski |
    "Ich wollte am Anfang meines Studiums nur in die Forschung und nach dem Pflegepraktikum hab ich mir dann gedacht, es wäre doch ganz schön vielleicht in der Klinik"

    Der Kontakt zu den Patienten war das, was Julia Karthein umgestimmt hat. Die Düsseldorfer Medizinstudentin im 5. Semester liegt damit jedoch nicht im Trend, denn nach Angaben des "Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands" landen gut 44 Prozent der Absolventen nicht am Krankenbett, sondern in Laboren oder Büros von Versicherungen und Pharmafirmen.

    Und sie fehlen der kurativen Medizin, sagt Prof. Werner Scherbaum, Präsident der Medica, die heute gemeinsam mit dem deutschen Krankenhaustag in Düsseldorf beginnt. Der Direktor der Klinik für Endokrinologie am Universitätsklinikum Düsseldorf ist sicher, dass das Thema Ärztemangel inzwischen die meisten Beteiligten umtreibt.

    "Das ist ein Hauptthema des Deutschen Krankenhaustages. Es ist in der Tat nicht nur ein Thema der Krankenhäuser, sondern ist ein Thema auch der Niedergelassenen natürlich."

    Es wird langsam eng in unseren Kliniken, beklagt auch Prof. Hans-Fred Weiser. Er ist Chirurg und Chefarzt am Diakoniekrankenhaus Rotenburg und Präsident des "Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands", kurz VLK.

    "Ich denke, bezüglich des Ärztemangels ist es nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf."

    Höchste Zeit also, etwas zu unternehmen, dachte sich der VLK und ruft nun den Initiativpakt ins Leben. Eine Initiative, die alle Beteiligten – vom Bundespolitiker bis zum Hochschuldozenten - an einem Tisch versammeln möchte, um neue Konzepte für das Medizinstudium und die Kliniken zu erarbeiten. Eine gute und längst überfällige Initiative, findet Malte Kohns. Der Düsseldorfer Medizinstudent im elften Semester hat aber gleich einen Verbesserungsvorschlag:

    "Vergessen sie die Studenten nicht. Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland wird da sicher auch gerne mit am Tisch sitzen."

    Schließlich will der Verband der Leitenden Krankenhausärzte das Medizinstudium grundlegend verändern, was dringend notwendig ist, meint Hans-Fred Weiser. Immerhin bricht laut VLK jeder Vierte sein Studium ab und rund 24 Prozent der Medizinstudierenden landen in sogenannten paramedizinischen Berufen, also Bereichen, für die sie das Medizinstudium qualifiziert hat, die aber nichts mit der Patientenversorgung zu tun haben.

    "Das ist auch in Ordnung so. Nur wenn wir das denn so wollen, dann müssen wir entweder die Zahl der Medzinstudienplätze um diese Zahl aufstocken – halte ich für problematisch, weil die Medizinstudienplätze extrem teuer sind. Besser wäre es, neue Ausbildungsgänge und Studiengänge für solche paramedizinischen Berufe zu schaffen."

    Ein Medizinjournalist muss nicht auf der Intensivstation gearbeitet haben, um ein sehr guter Medizinjournalist zu sein, sagt auch Werner Scherbaum. Er kritisiert außerdem die starren Grenzen im heutigen Studiensystem. Wer sein Staatsexamen nicht schafft, verlässt die Uni ohne irgendeinen Abschluss, obwohl er sich bereits viel Wissen angeeignet hat.

    "Und deswegen bin ich schon dafür, dass man da verschiedene Optionen einbaut. Und das kann man in so einem stufenweise Aufbau - etwa Bachelor, Master und Arzt - etwas variabler gestalten."

    Die Studenten Julia Karthein und Malte Kohns schütteln den Kopf:

    "Finde ich keine gute Idee, weil genauso Leute wie mich gibt es ja, die sich umentscheiden wollen. Und es ist halt eigentlich schön, dass man in der Medizin diesen Berufswunsch bis zum Schluss offen hat. Es ist bestimmt keine schlechte Idee Ausstiegsmöglichkeiten irgendwo im Studium zu schaffen, wenn man tatsächlich feststellt, mich interessiert halt nur die Wissenschaft. Aber das sind weniger als fünf Prozent der Leute, die das so klar sagen können, und für alle anderen wäre das eher so eine Schmalspurausbildung."

    Das wolle natürlich keiner, betont VLK-Präsident Hans-Fred Weiser. Es müssten eben neue Curricula und neue Konzepte her, und genau darum wolle sich der Initiativpakt ja bemühen. Ebenso wie um die Abschaffung des Numerus Clausus als alleinige Zulassungsmöglichkeit fürs Medizinstudium, um mehr Studienplätze und um eine bessere Zusammenarbeit mit Lehrkrankenhäusern, damit die Studierenden wesentlich schneller als heute Kontakt zu Patienten bekommen. Die Liste der Änderungswünsche ist lang und gewichtig. Doch auch im Krankenhaus muss sich dringend etwas ändern. Da sind sich VLK-Präsident und Student einig.

    "Hier müssen Konzepte her, die es den Frauen in der Medizin zukünftig mehr als heute ermöglicht, ein sachgerechtes nebeneinander zwischen Beruf und Familie zu gewährleisten. Wir haben extrem lange Arbeitszeiten, sind meistens sehr unflexibel darin, wie die gestaltet werden können, die Arbeitszeiten, ein großer Teil der Arbeit findet nicht tatsächlich am Patienten statt, man ist sehr viel mit Verwaltungsausfgaben belastet – das sind Dinge, die sich ändern müssen."

    Und zwar schnell. Deshalb will der Verband der Leitenden Krankenhausärzte die heute in Düsseldorf startende Medica und den parallel laufenden deutschen Krankenhaustag nutzen, um Mitstreiter für den Initiativpakt zu gewinnen.

    "Wir werden dieses Thema Ärztemangel ganz hoch aufhängen, werden das in vielen Gremien und Sitzungen diskutieren, und ich hoffe, dass wir hier erste Pflöcke in Richtung Initiativpakt einschlagen können."