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Doku-Drama über Bertolt Brecht
"Ein Denkmal wird lebendig"

"Er war eben ein Genie", sagt Regisseur Heinrich Breloer über Bertolt Brecht. Doch in seinem Doku-Drama über das Leben des Literaten begegne man Brecht nicht in der harten Pose, die dieser für sich ausgedacht habe, betonte Breloer im Dlf. Man sehe ihn auch als leidenden, schwachen Menschen.

Heinrich Breloer im Corsogespräch mit Hartwig Tegeler | 11.02.2019
    Regisseur Heinrich Breloer (Mitte) mit den Schauspielern (von links) Burghart Klaussner, Adele Neuhauser, Mala Emde und Tom Schillingbei einem Fototermin zu dem Doku-Drama "Brecht"
    Regisseur Heinrich Breloer (Mitte) mit den Schauspielern (von links) Burghart Klaussner, Adele Neuhauser, Mala Emde und Tom Schillingbei einem Fototermin zu dem Doku-Drama "Brecht" (picture alliance/dpa/Christian Charisius)
    Hartwig Tegeler: Heinrich Breloer, war Ihnen Bertolt Brecht jemals sympathisch?
    Heinrich Breloer: Das wechselte, das wechselte. Er war sehr aufregend für mich in den frühen Jahren in einem katholischen Internat, wo ich die "Hauspostille" als Primaner bekam, als Geburtstagsgeschenk, und ich mit meinen Freunden, die so ein bisschen die Abtrünnigen waren, Gedichte gelesen habe wie "Lasst Euch nicht verführen", "Es gibt keine Wiederkehr" und auch schauerlich erotische Geschichten, die wir kaum trauten, laut auszusprechen. Man war ja sehr unter katholischem bleiernen Himmel. Und das waren so die ersten Schnitte und Risse. Und da war er spannend! Wie konnte da einer vor so langer Zeit schon sowas sagen. Und man wollte das verstehen und auch so denken oder sprechen können. Da hat mich dann auch in die Universität begleitet. Und da war er mir natürlich noch sympathischer, weil wir seine Stücke machten.
    Aber heute frage ich mich in der Tat – weil er ein ganz guter Lügner war -, wer ist das, der hier "Ich" sagt. Hat er sich erfunden in dem Moment in einer Größenfigur? Wäre er gerne so gewesen? Was stimmt da dran? Da bin ich dann skeptisch geworden. Und dann habe ich natürlich in dem Hineingehen in das Leben gesehen, welche Zumutungen er auch anderen zugesprochen hat. Dass sie bei ihm bleiben. Dass er wütend und eifersüchtig wurde. Was er auch aufgeladen hat an Arbeit. Und da hat er auch Züge gehabt, die nicht sehr sympathisch sind.
    Regisseur Heinrich Breloer posiert am 26.04.2018 in Köln beim Treffen der Fernsehbranche WDR Treff .
    Regisseur Heinrich Breloer (imago stock&people / Horst Galuschka)
    "Er wollte die Menschen in seiner Nähe verändern"
    Tegeler: Sie zitieren in Ihrem Film, also in dem Dokudrama über Brecht wird einmal Theo Lingen zitiert. Mit einem sehr interessanten Satz über Brecht: "Er wollte Besitz haben, aber auch von den Menschen." Das beschreibt so ein bisschen das, was Sie eben auch gerade Ihrerseits auch beschrieben haben?
    Breloer: "Auch von den Frauen", sagt Theo Lingen, "die konnte er nicht loslassen." In dem Moment wusste der Reporter, glaube ich, nicht, dass Theo Lingen Brechts zweite Frau geheiratet hatte. Und dass er da immer auch noch Rechte drauf haben wollte. Und dass er rasend eifersüchtig sein konnte. Natürlich wollte er die Menschen ändern, die in seiner Nähe waren. Die Lutz, die Schauspielerin Regine Lutz, er hat sie zu einem Star, zu einer Schauspielerin gemacht. Der veränderte tatsächlich Leute. Denn Veränderung war ja das Liebste für ihn. Am besten die ganze Gesellschaft.
    Tegeler: Heinrich Breloer, wenn wir jetzt dieses komplexe negative Bild von Brecht mal wieder positiv drehen und ich Ihnen sage, wenn ich aus Ihrem Film herauslese, Brecht war Gier, war Lust, war Rücksichtslosigkeit: Was fehlt da jetzt sozusagen?
    "Brecht konnte man nicht kennen"
    Breloer: Er war auch fürsorglich, er war lieb, er war zärtlich, er war eben ein Genie, er war hochbegabt, er war in vielen Rollen unterwegs. Und nicht umsonst - ich war ihr sehr dankbar - sagt Regine Lutz am Schluss, als ich sie frage: "Sie waren so eine beliebte Schauspielerin, er hat Sie sehr geliebt. Haben Sie ihn gekannt?" Da überlegt sie und sagt: "Er kannte mich, und zwar sehr gut." Dann macht sie eine Pause und sagt: "Ihn konnte man nicht kennen." Das hat mir sehr gefallen: Am Ende eines Films, wenn man Teile seiner Persönlichkeit ausgebreitet hat, es alles in das Kästchen zu tun, zuzuklappen, umzudrehen, den Schlüssel wegzuwerfen. Und nun muss der Zuschauer selber sehen. Ich biete Geschichten, die ich gefunden habe, an, ich montiere sie zu einem lebendigen Bild eines Menschen. Denn man kann ihm hier nicht in der Pose begegnen, die er selber für sich ausgedacht hat. Im Ledermantel, unglaubliche Härte. Oder nachher in dieser Kittelschürze mit den kurzen Haaren …
    Tegeler: … und der Zigarre …
    Breloer: …und der ewigen Zigarre und allen anderen Inszenierungen und Regularien, die er aufgebaut hatte. Auch um in seiner Angst Sicherheit zu finden, die er aber nicht gezeigt hat sozusagen. Es ist doch gut, wenn man diesen so oft als heroisch inszenierten Mann mit Zigarre als leidenden Menschen sieht, als schwachen.
    Wir haben noch länger mit Heinrich Breloer gesprochen – hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Tegeler: Heinrich Breloer, wenn man so etwas macht, ein Dokudrama über Brecht, Sie haben das eben schon andeutet, dann ist das immer auch ein Stückweit eine Dekonstruktion eines Denkmals. Was ist denn Ihr Interesse gewesen? Was das ein psychologisches, war das ein kunsttheoretisches, war das ein schlicht biographisches? Oder läuft das alles zusammen in Ihrem Motiv, diese Arbeit gemacht zu haben?
    Breloer: Es ist erst einmal der Literaturdetektiv, der losmarschiert und will rausfinden, wer war dieser Mann, wie sieht die dunkle Seite des Mondes aus, von der wir nichts wissen. Und diese Fragen habe ich dann seinen Mitarbeitern gestellt. Und letztlich ist das: Es gibt zwei Formen von Wissen - der Kunst und das der Wissenschaft. Sind zwei Formen. Und das ist eine künstlerische Annäherung auch an Brecht, nicht nur eine Dokumentation, wo man sagt, das ist so, das war so. Sondern ein Denkmal wird lebendig, es kommt runter vom Sockel. Aber es wird ein Mensch, dem man als Mensch begegnen kann.
    Kontakt-Vermeidung zur Wirklichkeit
    Tegeler: Heinrich Breloer, im ersten Teil Ihres "Brecht"-Films wird der junge Brecht gespielt von Tom Schilling, im zweiten Teil wird Brecht ab der Rückkehr aus dem Exil gespielt von Burghart Klaußner. Und ich hatte so ein bisschen den Eindruck, als ob der ersten Teil so etwas wie der Prolog zum zweiten Teil ist, wo alle Themen sich andeuten und dann im zweiten Teil quasi ihr Vervollständigung erfahren. Ihr erster Teil endet in gewisser Weise mit dem Satz, da steht der junge Brecht am Fenster und fragt: "Wie wirklich das mit einem Mal ist?!"
    Breloer: Schriftsteller stehen oft wie hinter einer Scheibe zur Wirklichkeit. Sie formen sie zu Personen. Die Geliebte wird zu einer Figur aus einem Roman. Und hier bricht die Wirklichkeit durch die Scheibe, sie splittert, und er steht vor den Toten. Und davor hat er sich immer gehütet, wenn es geht, den direkten Kontakt mit der Wirklichkeit zu haben.
    "Mit der Lupe von Marx und Engels hat er die Gesellschaft gesehen"
    Tegeler: Aber die Auseinandersetzung mit der Realität, die eben mit der Abschlussszene von Teil 1 letztendlich Thema wird, die geht ja in Teil 2 Ihres Dokudramas weiter, Heinrich Breloer, und dann wird er ja auf eine ganz andere Art und Weise mit der Realität, und nämlich auch mit der Realität der Partei konfrontiert. Ist er jemand, der dann scheitert?
    Breloer: Nein, er hat sich taktisch verhalten. Er hat durchgesetzt, dass seine Proben und Stücke weitergehen bis zu seinem Tod. Er musste schweigen. Vier Wochen später sind die Sowjets in Ungarn einmarschiert. Was er dann gesagt hätte, das wäre die Frage gewesen, ob er noch mal geschwiegen hätte, denn wenn Brecht weggegangen wäre, dann wären viele andere auch aus der DDR weggegangen. Er war schon ins Exil gefahren mit dem Werkzeug des Marxismus, des historisch dialektischen Materialismus. Mit dieser Lupe von Marx und Engels hat er die Gesellschaft gesehen. Und daraus die Hoffnungen entwickelt, eine neue Gesellschaft unter der sowjetischen Besatzung mit Hilfe der Roten Armee usw. zu entwickeln. Und das ging immer weiter schief. Er hat aber dagegen gehalten mit seinen Stücken und versucht, auf seine Weise im Theater die Leute anders anzusprechen. Ob die "Morxisten", wie er sie nannte, da oben in der Führung, das wollten oder nicht.
    Tegeler: Die letzten Worte von Bertolt Brecht, in Ihrem Film zitiert: "Lasst mich doch in Ruhe!" Ich finde, das wirkt unendlich nüchtern. Ist der Satz auch ein Kommentar zu, ja, all diesen Widersprüchen?
    Breloer: Na ja, ich fand diese lakonische Bemerkung, ich fand, das war an der Stelle der richtige Ton, um nicht jetzt in einer Weihefeier zu kommen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.