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Doku-Serie "Wild Wild Country"
Von Cowboys und Sannyasins

Anfang der 80er wollten der indische Guru Bhagwan Rajneesh und einige seiner Anhänger eine Stadt im ländlichen Nordwesten der USA gründen - gegen heftigen Widerstand der Anwohner. Die Serie "Wild Wild Country" beleuchtet ein spektakuläres und gleichzeitig wenig beachtetes Kapitel junger Geschichte.

Von Kai Löffler | 06.04.2018
    Der umstrittene indische Guru und Sektenführer Bhagwan Shree Rajneesh 1984 mit Anhängern in seiner Kommune "Rajneeshpuram" in Antelope im US-Bundesstaat Oregon.
    Der umstrittene Guru Bhagwan Shree Rajneesh gründete in der Stadt Antelope seine Kommune (dpa/Dieter Klar)
    Viele Münder stehen offen, als ein paar Hundert Anhänger des indischen Gurus Rajneesh Bhagwan in ihren roten Gewändern durch die Straßen der verschlafenen Kleinstadt schlurfen. Es ist ein Kulturschock, auf den die rund 40 Bewohner von Antelope im Staat Oregon nicht vorbereitet sind - erst recht, als Bhagwans Anhänger kurz darauf eine komplette Stadt aus dem Boden stampfen und der Guru schließlich höchstpersönlich anreist.
    "...und man fragte sich, was wird denn hier verehrt? Aber als Bhagwan kam, war alles klar."
    "Mit jeder Krone kommt die Guillotine"
    So beginnen die ereignisreichen Jahre, die die Serie "Wild Wild Country" sorgfältig dokumentiert. Wenn im Teaser der ersten Folge von Mordanschlägen, dem größten biologischen Terrorangriff und dem größten Immigrations-Schwindel in der Geschichte der USA die Rede ist, klingt das schwer vorstellbar. Im Laufe der sechs Folgen allerdings verschiebt sich diese Wahrnehmung: Unglaublich ist jetzt vor allem, dass die meisten Akteure dieses Dramas heute noch am Leben und auf freiem Fuß sind. Und dass die Regisseure Chapman und Maclain Way sie tatsächlich vor die Kamera bekommen haben.
    "Mit jeder Krone kommt die Guillotine. Ohne Guillotine kann man keine Krone tragen. Und das war mein Schicksal..."
    Das gilt besonders für Ma Anan Sheela, Bhagwans ehemalige Sekretärin und Pressesprecherin. Die damaligen Bewohner von Rajneeshpuram beschreiben Sheela als charismatisch, intelligent und leidenschaftlich; die andere Seite - in diesem Fall die Staatsanwaltschaft - findet andere Worte:
    "Das hatte nichts mit Gier zu tun ... es war Niedertracht."
    "Ein ganzer Ort wurde vergiftet"
    Langsam eskaliert der Konflikt zwischen Rajneeshis und Anwohnern. Und so bekommt die Geschichte bald eine ganz andere Dimension.
    "Ich habe eine erschreckende Geschichte zu unterbreiten. Ein ganzer Ort wurde vergiftet."
    Die ersten Folgen von "Wild Wild Country" erzählen von der wundersamen Geburt der Stadt in der Wüste. Die zweite Hälfte der Serie, die die Hauptpersonen unter anderem nach Deutschland führt, zeigt dann die Eskalation und die Auswüchse des Konflikts - und den letztendlichen, unvermeidlichen Absturz.
    "Er begann, wirres Zeug zu reden. Sein Verhalten änderte sich. Es ging abwärts mit ihm. Bhagwan beschwor gegenüber Sheela den Weltuntergang."
    Ein mediales Lehrstück
    Nur eine Seite kommt zu kurz: Die der "gewöhnlichen" Sannyasins. Warum haben diese Menschen ihr Leben hinter sich gelassen, das rote Gewand angezogen und sind nach Rajneeshpuram gekommen? Wie sah der Alltag in der Kommune aus? Zwischen all den spektakulären Ereignissen und rasanten Wendungen der Geschichte hätte ein solches Kapitel sicher den Erzählfluss ausgebremst - und doch wäre dadurch das Puzzle wirklich komplett gewesen.
    "Alle dachten, wir stehen am Beginn eines großen Experiments. Wir sahen das Potenzial, das Bewusstsein des Planeten zu verändern. Wir dachten tatsächlich, wir wären das auserwählte Volk."
    "Wild Wild Country" ist auch ein mediales Lehrstück für die Gegenwart, in der viele Menschen - nicht nur in den USA - in ihrer eigenen Blase leben und keine anderen Perspektiven zulassen. Chapman und Maclain Way bringen allen Beteiligten viel Empathie entgegen und haben nicht nur ausführliche Interviews geführt, sondern sich durch tausende Stunden Archivaufnahmen, Nachrichten und Sannyasin-Videos gearbeitet - denn die Bewohner von Rajneeshpuram scheinen jeden Moment ihres Lebens dokumentiert zu haben. Das Ergebnis ist herausragender Journalismus in Form einer Serie, die gleichzeitig Augen öffnet und Kinnladen herunterklappen lässt.
    Die sechs Folgen von "Wild Wild Country", jede etwa eine Stunde lang, kann man ab sofort auf Netflix sehen.