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Doku-Theater über Zwangsarbeiter und Arbeitssklaven

Einer der wichtigsten Vertreter des Dokumentartheaters ist der Regisseur Hans-Werner Kroesinger. Er recherchiert aufwändig zu historischen oder politischen Themen. Sein neues Stück heißt "Wellenartillerie Telefunken", das im Berliner Hebbel am Ufer Premiere hatte..

Von Hartmut Krug | 06.01.2012
    Die Bühne wirkt wie ein Ausstellungsraum. Hier stehen Vitrinen mit Dokumenten, ein altes Radio, ein Tonbandgerät mit Spulen sowie drei Schauspieler, die in Mikrofone aus den dreißiger Jahren sprechen. Wie immer zeigt uns der Dokumentartheater-Regisseur Hans-Werner Kroesinger keinen bewegten Spielort, sondern eine beredte Installation.

    "Ich hab´ kein Auto, ich hab´ kein Rittergut, das einzige was ich hab´, ich hab´ dich lieb ... .."

    Ende des Jahres 1925 sind etwa 435.000 Industrieempfänger und etwa 500.000 Bastelgeräte in Deutschland vorhanden.
    Wer Rundfunk hört, hört Telefunken.
    Wer Rundfunk hört, hört Telefunken, denn wer noch keinen Rundfunkapparat besitzt, verwendet sicherlich Telefunkenröhren.


    Die Schauspieler tragen uns die Entwicklungsgeschichte der Firma Telefunken vor. Um etwas Bewegung in diese Folge von geschichtlichen Texten und Daten zu bringen, wechseln sie immer wieder unmotiviert von Mikrofon zu Mikrofon. Zuweilen nehmen sie Dokumente aus den Vitrinen oder erläutern uns an der Rückwand mit Zeichnungen technische Beschreibungen. So die der 1906 von Telefunken errichteten Großstation Nauen, deren Turm nächst dem Eiffelturm mit 200 Metern das höchste Bauwerk der Welt war. Die Geschichte der Firma Telefunken und die ihrer technischen Erfindungen bestätigt in Kroesingers Darstellung eindrücklich die These Virilios, dass die Entwicklung der Medien durch die Bedürfnisse des Krieges ermöglicht wurde. Telefunken, 1903 auf Bestreben des Kaisers gegründet, besaß 1911 eine Empfangsantenne in Togo und bezog von der Kolonialverwaltung sogenannte Pflichtarbeiter, die es mit Minimallöhnen abspeiste. Mit solchen kritischen Anmerkungen bewegt sich der Abend gemächlich durch die Historie Telefunkens. Wenn Kriegslärm grummelt und die Lampen zum Schwingen gebracht werden, ist 1914 erreicht und wir erfahren über Telefunkengeräte im Krieg. Dann hören wir das erste Rundfunk-Konzert 1923 und lauschen launigen Aussagen von Hörern, die 1924 bei der 1. Deutschen Funkausstellung in Berlin vor das Mikrofon gebeten wurden. So erfahren wir viele, viele Fakten: auch von Verbreitung und Preis des sogenannten Volksempfängers im Jahr 1933 und von Aufrufen, nur Adefa-Waren, also Waren aus arischer Hand zu kaufen. Schließlich macht uns ein Quiz mit einem Text von Goebbels die damalige Propagandafunktion des Radios deutlich. Jetzt endlich bekommt der Abend bestürzenden Informationswert. Denn Telefunken, das seine Produktionsräume direkt im Bereich der heutigen Hau-Theater besaß, brauchte für die Röhrenmontage Menschen mit Fingerfertigkeit und Sehschärfe. Erst wurden Arbeiter aus dem besetzten Frankreich geworben und in Deutschland noch "relativ" gut behandelt:

    "Tempelhofer Ufer Nummer 10. Das ist hier, auf diesem Gelände. In einem Mietshaus, Quergebäude, älterer Bauart, befinden sich in leer gemachten Kleinwohnungen zurzeit noch 119 französische Arbeiterinnen, die im Werk von Telefunken arbeiten. In einem Zimmer normaler Größe sind sechs bis acht Notbetten aufgestellt, je zwei übereinander stehend."

    Das wegen der großen Verluste an der Ostfront verstärkte Zwangsarbeiterprogramm hatte für diese entsetzlichen Folgen. In rund tausend Wohnungen und Holzbaracken, deren Orte in einem Stadtplan an der Wand markiert werden, vegetierten und starben nun russische Zwangsarbeiter. Sie wurden als Untermenschen angesehen und behandelt und mussten das Abzeichen Ost tragen. Die Schauspieler berichten von Zuständen, die an KZ-Situationen gemahnen. Ob von diesen entkräfteten Zwangsarbeitern allerdings auch welche bei Telefunken arbeiteten, macht der Abend nicht deutlich. Der nach seinem eher betulichen ersten Teil und manch wohlfeilen Klischees (natürlich muss "Kauf dir einen bunten Luftballon" gesungen werden) mit seinen Berichten über die Zwangsarbeiter in der zweiten Hälfte den Zuschauer wieder erreicht und erschüttert. Dass abschließend türkische Telefunken-Arbeiterinnen berichten, die in den 60er-Jahren in einem Frauenwohnheim gegenüber dem Hebbel-Theater wohnten, behauptet eine Kontinuität, die bei der Unvergleichbarkeit der beiden Lebenssituationen recht unangemessen wirkt.

    Insgesamt ist dies aber einmal mehr ein sogenannter Theaterabend des klugen Dokumentaristen Hans-Werner Kroesinger, der vor allem als Hörspiel überzeugt.