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Dokumentarfilm "Die Kinder des Kalifats"
Zwei Jahre unter Dschihadisten

Der Filmemacher Talal Derki hat zwei Jahre bei der al-Nusra-Front in Syrien gelebt. Weil er sich als Dschihadist ausgab, konnte er den Alltag einer Familie begleiten. Sein Film kommt nun in die deutschen Kinos. Er zeigt eine kleine Welt voller Hass und Gewalt.

Von Wolfgang Martin Hamdorf | 18.03.2019
Ein Mann mit Bart und kahl geschorenem Kopf sitzt von Kindern umringt auf einer Decke in einem kargen Haus. Alle schauen aufmerksam in Richtung des Betrachters.
"Of Fathers and Sons" ist für den Oscar nominiert (Talal Derki )
"Als ich ein Kind war, brachte mir mein Vater bei, meine Albträume aufzuschreiben, damit sie nicht wiederkommen."
Auch in seinem jüngsten Film setzt sich Regisseur Talal Derki mit einem seiner Albträume auseinander: dem vom Siegeszug der Dschihadisten:
"Ich versuchte meine große Angst zu verbergen, sagte meiner Frau und meinem Sohn Lebewohl und machte mich auf ins Land der Menschen, die sich nach Krieg sehnen. Im Norden von Syrien, Provinz Idlib, die von einem Ableger von al-Qaida kontrolliert wird. Ich stellte mich als Kriegsfotograf vor. Ich gab vor, mit den Dschihadisten und ihrer Ideologie zu sympathisieren, um so zu vermeiden, dass ich entführt oder hingerichtet werde. Und die Rufe ertönten 'Bekehrung zum Islam, Dschihad, Kalifat! - Kalifat, Dschihad, Bekehrung zum Islam!'"
Extremismus als Krankheit
Zwei Jahre lang, zwischen 2014 und 2016, verbrachten Talal Derki und sein Kameramann Kahtan Hasson mit der Familie Abu Osamas, einem hochrangigen Kämpfer der dschihadistischen al-Nusra Front. Talal Derki:
"Ich bin kein religiöser Mensch und wollte verstehen, was sie antreibt wie sie funktionieren, wie sie es schaffen, aus ihren Opfern Soldaten zu machen."
Der Regisseur Talal Derki, aufgenommen am Rande des Sundance Filmfestivals. Dort hat Derki seinen Film "Of Fathers and Sons" vorstellt. 
Talal Derki, Regisseur des preisgekrönten Films "Of Fathers and Sons" (Invision/AP - Taylor Jewell)
Der Film dokumentiert den Alltag der selbsternannten Gotteskrieger: Wenn der Vater fröhlich-blutige Kampflieder trällert, mit dem Präzisionsgewehr Menschen tötet und vom kommenden Kalifat schwärmt, kommt er seinen Protagonisten sehr nahe, ohne sie dabei in irgendeiner Weise zu verharmlosen:
"Natürlich sind sie Menschen, wie jeder von uns. Sie kommen nicht von einem anderen Stern. Aber irgendetwas ist mit ihnen passiert. Vielleicht eine Gewalterfahrung in der Kindheit, irgendein Auslöser hat sie zu Extremisten werden lassen. Das ist eine Krankheit und so wollte ich es im Film auch zeigen."
"Sie glauben an das große Kalifat"
Die Kamera ist immer dabei, wenn die Kinder auf zerschossenen Panzern spielen, Kampftraining erhalten und die Koranschule besuchen. "Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats" erzählt von verlorener Kindheit, ist dabei aber weder reißerische Kriegsreportage noch Islam-Terror-Familiensaga:
"Wenn man einmal den ganzen Hintergrund von Terror, Gewalt und Krieg weglässt, dann ist es eine ganz normale Geschichte: Väter mit völlig verkehrten Wertvorstellungen, Antihelden, die ihren Kindern keine andere Wahl lassen als ihnen zu gehorchen."
Kinder in Kampfanzügen beim Unterricht
Von klein auf werden die Kinder zum militanten Dschihadismus erzogen (Talal Derki / © Basis Berlin Filmproduktion)
Der Dokumentarfilm zeigt, wie die Kinder des Kalifats in der Familie und in den Rekrutierungslagern gleichgeschaltet und so zu Soldaten im angeblich heiligen Krieg geformt werden:
"Sie glauben an das große Kalifat, das nach dem großen Krieg entstehen wird. Sie beschwören die Kreuzzüge und den Kampf der Muslime gegen die Invasion. Ihre Gebete und Rituale führen zum Allerschlechtesten, nämlich zur Gewalt. Sie glauben sich im Recht, Gottes Willen mit dieser Gewalt durchzusetzen."
"Diese Gesellschaft ist ein Gefängnis für Frauen"
Frauen kommen in dem Film nicht vor. Nur einmal, als Abu Osama schwerverletzt ins Haus gebracht wird, hört man seine Frau weinen. Aber barsch befiehlt er ihr zu schweigen. Für Talal Derki sind die Frauen neben den Kindern die größten Opfer des dschihadistischen Systems:
"In dieser Gesellschaft darf die Frau nicht reden, sie darf nicht einmal erscheinen. Fremde dürfen ihre Stimme nicht hören. In dieser Szene ist der Raum voller Fremder und Abu Osama brüllt sie an, sie solle schweigen. Denn sie hat kein Recht, ihre Trauer mitzuteilen, niemandem. Diese Gesellschaft ist ein großes Gefängnis für die Frauen. Und selbst wenn diese Männer friedlich und nicht gewalttätig wären, könnte ich ihre Gesellschaft trotzdem niemals akzeptieren, einfach deswegen, wie sie ihre Frauen behandeln, diese Art, wie sie sie ausschließlich als ihr Eigentum betrachten.
"Of Fathers and Sons – Die Kinder des Kalifats" bietet einen ungewöhnlichen Einblick in den Alltag einer kleinen Welt voller Hass und Gewalt. Abu Osama hat den Film übrigens nie gesehen. Er starb im Oktober 2018 beim Entschärfen einer Autobombe und hinterließ zwei Ehefrauen und zwölf Kinder.
"Of Fathers and Sons - Die Kinder des Kalifats" ist ab 21.03.2019 in den deutschen Kinos zu sehen.