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Dokumentarfilm "El Viaje"
Suche nach musikalischen Wurzeln

Rodrigo Gonzalez ist besser bekannt als Rod, der Bassist von Die Ärzte. 1974 floh er als Sechsjähriger mit seiner Familie aus Chile nach Deutschland. 40 Jahre später ist er nach Chile zurückgekehrt, um sich auf eine Suche nach den Spuren der Musik seiner Kindheit zu geben: die chilenische Protestmusik der "Nueva Cancion Chilena". Eine Dokumentation über diese Reise kommt jetzt in die Kinos.

Von Kerstin Poppendieck | 06.08.2016
    Rodrigo Gonzalez und Eduardo Yañez an einer Gedenkstätte für die Opfer der Diktatur in Santiago de Chile
    Rodrigo Gonzalez und Eduardo Yañez an einer Gedenkstätte für die Opfer der Diktatur in Santiago de Chile (mindjazz pictures)
    "Mein Name ist Rodrigo Gonzalez. Ich bin Musiker und Mitglied in der deutschen Rock-Band Die Ärzte. Geboren bin ich in Valparaíso. Als Sechsjähriger musste ich aber mit meinen Eltern aus Chile flüchten und landete in Deutschland. Was mir aus meiner Kindheit in Chile blieb, waren Momentaufnahmen und verschwommene Bilder. Vor allem aber der Canto Nuevo, die chilenischen Musik."
    So beginnt der Dokumentarfilm "El Viaje": Rodrigo Gonzalez auf dem Weg zu seinem Vater. Die Begeisterung für die Musik hat er von ihm. Als die Familie noch in Chile lebte, gehörte der Vater zu ersten Generation chilenischer Protestmusiker. Sie sangen gegen das repressive Regime von Augusto Pinochet an. So wurde die Musik der 70er-Jahre zum Soundtrack seiner Kindheit und sie begleitet ihn bis heute. Wie Rodrigo Gonzalez selbst sagt, habe die Musik in Chile seither Quantensprünge gemacht: mit Hip-Hop, Metal, Punk und Rock. Aber das war es nicht, was ihn bei seiner Reise nach Chile interessiert hat.
    "Ich wollte eher gucken, was machen die Musiker heute, die dieselbe Wurzel ungefähr haben, also die auch aus diesem Cantor Autore rauskommen. Der Texter, der einen Inhalt hat, der das auf seinem Instrument irgendwie so rüberbringt. Ich habe eigentlich eher gesucht, wo ist die Brücke von der Musik, mit der ich als Kind groß geworden bin zu den Musikern, die heute diese selbe Brücke mitbenutzt haben oder sich von der inspiriert fühlen, Musik zu machen."
    In den folgenden anderthalb Stunden der Doku reist Rodrigo Gonzalez von Hamburg nach Santiago, San Antonio und in den chilenischen Teil von Patagonien. Dort trifft er Musiker, die bereits während der Zeit der Protestbewegung nach dem Militärputsch von Pinochet aktiv waren, aber vor allem jüngere Musiker. Wie Aldo Asenjo, Spitzname Macha. Ein charismatischer Typ mit grauem Vollbart, der einem sofort sympathisch ist. Macha ist der Bandleader von Chico Trujillo.
    Haltung und Mut bewahren - durch die Musik
    "Die sind gigantisch, die sind riesig. Die haben irgendwann aus Gag so alte Cumbias, so Coverversionen auf ihre Art gemacht, weil das eine Punkband war halt. Heute ist diese Band der Anführer der Nueva Cumbia Chilena. Also das heißt, sie haben im Endeffekt die Cumbia der alten Generation auf die jüngeren Leute zurück gebracht. Die feiern dazu ab, die gehen dazu tanzen, die Musik läuft im Radio, die spielen auf Festivals, Macha wird überall erkannt. Der ist wie so ein kleiner Nationalheld da."
    Später lernen wir zusammen mit González Camila Moreno kennen, eine der bekanntesten Musikerinnen der neuen Generation chilenischer Liedermacher. Als sie das erste Mal ein Lied von Violeta Parra hörte, wusste sie, das ist die Richtung, in die sie auch selbst gehen wollte. Parra war die Begründerin der chilenischen Protestmusikbewegung. Und so wie sie hat auch sich auch Camila Moreno der Folk-Musik verschrieben.
    Was Camila Moreno an Violeta Parra so schätzt, ist deren Haltung und ihr Mut, sagt sie. Und das wolle sie mit ihrer Musik bewahren. Ungerechtigkeiten und Nöte gibt es auch heute in Chile genug. Landenteignungen zum Beispiel oder Lohndumping.
    Wir sehen Landschaftsaufnahmen wie aus einem Werbeprospekt und hören von der bedrückenden Situation der Menschen vor Ort. Rodrigo Gonzalez ist der musikalische Reiseleiter durch diesen Film, lässt aber den Musikern und vor allem ihrer Musik den nötigen Raum, und gibt uns als Zuschauer die Chance eine kaum bekannte Welt kennenzulernen. Die Reise, die Rodrigo Gonzales mit seinem Film "El Viaje" angetreten hat, hat sich gelohnt. Obwohl er in Chile geboren wurde, war er lange nicht dort und wusste kaum etwas über die aktuelle Musikszene. Er fand heraus, wie Musiker in Chile heute leben, worüber sie singen, welche Bedeutung sie haben. Überwältigt von den Erlebnissen dort hat er aber auch festgestellt, dass es für ihn nicht in Frage kommt, nach Chile zurückzugehen. Seine Heimat ist Deutschland. Ärzte-Fans, die die Band allein für die Musik lieben, werden mit dem Film wahrscheinlich wenig anfangen können. Fans, die die Band aber für ihre Toleranz, ihr Engagement und ihre Weltoffenheit mögen, werden ganz sicher spannende 90 Minuten erleben.