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Dokumentarfilm
Liebe in Zeiten des Internets

Es geht um Liebe, um Sex und um menschliche Abgründe: "Love & Engeneering" ist jedoch kein Hollywoodthriller, sondern der neue Dokumentarfilm des slowenischen Regisseurs Regisseur Tonislav Hristov. Er erzählt von Nerds mit viel technischem Know-how, aber ohne soziale Kompetenz.

Von Rüdiger Suchsland | 05.06.2014
    Im ersten Moment glaubt man, wieder einmal Slavoj Zizek zuzuhören, dem so modischen wie genialischen slowenischen Philosophen, der bereits in zwei Filmen als überaus schräger "Pervert's Guide" durch seine ganz persönliche Geschichte des Kinos und der Ideologien führte. Mit Zizek aber haben diese hier vorgestellten Wissenschaftler vor allem den osteuropäischen Akzent gemeinsam.
    In vieler Hinsicht ist auch "Love & Engineering" ein merkwürdiger Reiseführer ins Reich der Liebe, des Sex und beider Abgründe. Vor allem diese Abgründe stehen im Vordergrund.
    Vorgestellt werden ein Dutzend Männer zwischen Ende 20 und Anfang 50. Sie alle sind gut ausgebildet, arbeiten zumeist in der IT- oder der Finanzbranche und verdienen anständig. Gemeinsam ist ihnen aber vor allem eines: Sie suchen verzweifelt eine Frau, wissen aber gar nicht, wie das geht? Wie spricht ein Mann Frauen an? Wie flirtet man, und was macht man dann mit ihnen, wenn die ersten Schritte nicht gleich ein Totaldesaster waren?
    Es geht also um die klassischen Nerds, einen Männertyp, der sich in virtuellen Welten aus Technik, Computerspielen und Comics brillant bewegt, im analogen menschlichen Alltagsdasein aber vollkommen gestört ist.
    Eine sehr lustig-groteske Passage des Films besteht denn auch aus den Selbstpräsentationen der Betroffenen:
    Der da spricht, heißt Markus, ist Informatikstudent, und weil er einen Reinigungsroboter habe, sagt er, müsse ein Mädchen nicht mal putzen. Außer die Toilette, weil da der Roboter nicht hinkommt.
    Bei solchen Sätzen schlägt das Herz einer jeden Frau gleich höher.
    Ja - man kann Regisseur Tonislav Hristov vorwerfen, dass er sich über seine Figuren ein bisschen lustig macht. Dass er sie dem Spott und den - vielleicht gar nicht mal so berechtigten - Überlegenheitsgefühlen der Zuschauer preisgibt.
    In erster Linie ist sein Film aber durchaus empathisch. Eher eine teilnehmende, mitunter gar mitleidige Beobachtung, die bei allen absurd-komischen Szenen sich erkennbar Mühe gibt, die Menschen nicht vorzuführen, sondern in ihrem Leiden zu verstehen.
    Die Wissenschaftler, die der Dokumentarfilm vorstellt, versuchen mit Zahlenkolonnen, Mathematik und viel Statistik das Unfassbare zu fassen, dem Chaotischen namens Liebe zu Leibe zu rücken. Und das "System Frau" zu verstehen, das als Bedrohung des "männlichen Systems" begriffen wird:
    Der Film begleitet eine Gruppe bei Kursen über die Macht der Hormone und zur Bedeutung des Körpergeruchs und schließlich beim Versuch, ihre Flirttechnik per Coaching aufzubessern und das "System Frau" zu "hacken", also auf der freien Wildbahn des Lebens per Bar- und Discobesuchen, Dates und Speeddating zu wildern.
    Das ist einerseits informativ, jedenfalls in gewissen Grenzen: So ist etwa die Rede von den "drei Stadien der Liebe": an Beginn pure Lust, geprägt durch die Hormone Testosteron bzw. Östrogen. Dann die Phase der Anziehung, bei der die drei Neurotransmitter Adrenalin, Dopamin und Serotonin die Hauptrolle spielen. Schließlich die Zuneigung - auch da scheint die Körperchemie wichtiger zu sein als Willensfreiheit. Der Film präsentiert derlei Weisheiten, ohne sie zu bewerten.
    Stilistisch ist er größtenteils konventionell, also ein bisschen brav. Er präsentiert Wissenschaftliches in unterhaltsamer, aber leider auch sehr unparteiischer und distanzierter Form, bildet seinen Gegenstand ab, lässt Menschen zu Wort kommen, reist dann wieder zu technoider Musik durch Labore und Krankenhäuser.
    Daneben besitzt "Love & Engineering" deutliche Elemente einer absurden Komödie. Das kann doch alles gar nicht wahr sein! Gibt es wirklich Menschen, die so leben? Sich so verhalten?
    Oder sollte es sich hier am Ende gar um eine "Mockumentary" handeln, einen vorgetäuschten Dokumentarfilm, dem auch die erfahrensten Kritiker auf den Leim gehen?
    Das ist es aber nicht. Das Faszinierende dieses Films liegt gerade darin, dass das, was er zeigt, allzu wahr ist. Mitten aus dem Leben gegriffen.