Freitag, 19. April 2024

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Dokumentarfilm "Parallel Planes"
"Viele meiner Protagonisten haben eine innere Wut in sich"

US-Musikerinnen und Musiker jenseits kommerzieller Pfade stehen im Zentrum des Dokumentarfilms "Parallel Planes. "Viele von denen können sich nicht unbedingt von ihrer Musik ernähren", sagte Regisseurin Nicole Wegner im Dlf. Ihr Film ist eine Hommage an Menschen, die ihre Kreativität fern vom Mainstream ausleben.

Nicole Wegner im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 28.10.2017
    Die Filmemacherin Nicole Wegner im Funkhaus Köln.
    Die Filmemacherin Nicole Wegner im Funkhaus Köln. (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Anja Buchmann: "Parallel Planes" – das hat nichts zu tun mit synchron fliegenden Flugzeugen, sondern meint "parallele Ebenen" - "Parallel Planes" ist der Titel eines kunstvoll gestalteten Dokumentarfilms über US-Musikerinnen und Musiker jenseits kommerzieller Pfade. Do-it-yourself-Geist, Punk, Hardcore, Noise, IDM und alles dazwischen. Regisseurin und Autorin ist Nicole Wegner, die unter anderem Bands wie Swans, Minor Threat, Fugazi, Erase Errata, These are Powers. Deerhoof und andere in den USA besucht hat. Nicole Wegner war die Tage bei uns im Dlf-Studio und hat einiges zum Film erzählt, der auch auf der DOK Leipzig läuft. Meine erste Frage war: Warum der Titel "Parallel Planes" – ist ja wohl Teil eines Zitats?
    Nicole Wegner: Das ist Teil eines Zitats, richtig. Also ich habe zu dem Zeitpunkt, als ich die Filmidee hatte, ganz viele Musiker angeschrieben. Und unter anderem wollte ich halt den Musiker Ian Svenonius von der Band Make-Up drin haben. Es hat aber letztendlich nicht geklappt. Ich habe ihn aber dann am Ende gefragt, hey, es gibt diesen Song von euch und da gibt es dieses Zitat "I'm on a parallel plane, can't decide if you're on the same", und mir hat die Idee total gut gefallen, einfach diesen Begriff "parallel planes" daraus zu nehmen. Das ist einfach ein geometrischer Standardausdruck im Englischen, im Deutschen ist das "parallele Flächen".
    Und mir hat das als Metapher ganz gut gefallen und in Zusammenhang mit diesem Zitat, dass es ja auch eigentlich darum geht, dass alle Musiker, die in meinem Film vertreten sind, letztendlich sehr viele Gemeinsamkeiten aufweisen von ihrer Ideologie her, von ihrem kritischen Grundgeist her und, selbst wenn sie relativ verschiedene Musiken machen, also verschiedenste Stile irgendwie ausprobieren und auch irgendwie sich in anderen Szenen bewegen. Generell würde ich auch sagen, dass sie auch nicht unbedingt typisch für eine bestimmte Szene sind, weil sie auch so ein bisschen ungewöhnliche Musik machen, und selbst, wenn sie in einer Szene daheim wären, sind sie da mehr oder weniger schon die Exoten.
    Gegen Mainstream und Langeweile
    Buchmann: Und was ist der kleinste gemeinsame Nenner dieser Musikerinnen und Musiker? Wie würden Sie das zusammenfassen?
    Wegner: Der gemeinsame Nenner ist glaube ich ... Wenn man Musik macht, die jetzt nicht so einfach zu verkaufen ist, die nicht unbedingt zu einem Mainstreamgeschmack passen, dann muss man ja auch irgendwie dieser kritische Grundgeist, also ich glaube, das ist so ein bisschen dieser hauptgemeinsame Nenner glaube ich, den ich in allen irgendwie gefunden hab, den ich dachte, natürlich auch am Anfang in der Musik zu finden und dann natürlich beim Kennenlernen auch. Bevor ich das Interview jetzt gemacht habe, habe ich natürlich mit jedem so ein bisschen kommuniziert, habe ich halt gemerkt, das ist schon das Richtige und dann beim Interview letztlich habe ich halt auch genau danach auch so ein bisschen gefragt.
    Buchmann: Und dieser kritische Grundgeist, wie Sie ihn nennen, für mich klingt das manchmal so ein bisschen wie - also die Musik - wie ein bisschen in Sound gegossene Wut. Da frage ich mich, Wut, wogegen eigentlich? Gegen den Mainstream, gegen das Establishment, gegen ... ?
    Wegner: Gegen das Sich-einfach-Machen. Auch ein bisschen gegen die eigene Langeweile. Natürlich, glaube ich, haben viele meiner Protagonisten so eine innere Wut in sich. Aber ich meine, es sind ja auch alles immer noch Amerikaner und so schlecht geht es denen nun auch nicht, aber ich meine, viele von denen können sich nicht unbedingt von ihrer Musik ernähren und machen auch andere Sachen. Und auch, glaube ich, einfach um das Leben auf eine andere Art und Weise zu erforschen. Die Langeweile, nicht die gleichen Töne zu hören, die man sowieso die ganze Zeit hört und auch im Grunde genommen selber so ein bisschen auszuprobieren. Ganz viele meiner Protagonisten sind ja auch, haben auch selber so ein bisschen ihren Weg gefunden, wie sie ihre Art von Musik machen können. Und das ist halt noch nicht unbedingt der Standardweg.
    Also viele haben auch nicht unbedingt professionell angefangen, haben natürlich irgendwann eine gewisse Professionalität gewonnen, aber halt dieser DIY-Gedanke, der halt so typisch für die nordamerikanische Musik - ich kann noch nicht mal Industrie sagen - aber für die Musikszene ist, dass man halt auch einfach erst mal macht und einfach erst mal anpackt und halt auch irgendwie einen schäbigen Keller Venues irgendwie spielt. Zur Not sein eigenes Label einfach gründet, damit man halt irgendwie seine Musik machen kann. Und ob das letztendlich einen gewissen Erfolg hat, das ist dann erst mal egal, aber man muss erst mal machen. Und ich glaube auch, dieser Drang und diese Bereitwilligkeit, ohne auch so ein bisschen nachzudenken, also auch einfach mal so ein bisschen unreflektiert einfach zu machen und das zu machen, was man fühlt, was richtig ist.
    "Es geht um Musik, aber auch sehr viel anderes"
    Buchmann: Was dann auch mit sich bringt, dass zum Beispiel, wie einmal Gitarrist Mick Barr war es, glaube ich, der sagte er insgesamt bisher an die 65 verschiedene Jobs nebenher gehabt hat, um sich irgendwie noch zu finanzieren. Bei allem schönen DIY-Gedanken muss man ja auch irgendwie essen und seine Miete bezahlen. Das ist ja schon eine Diskrepanz, einerseits das Ding machen, das eigene Ding machen und andererseits, wie verdiene ich mein Geld. Also irgendein Publikum gibt es schon dafür, für diese durchaus anstrengende Musik?
    Wegner: Also er ist jetzt auch ein besonderes Beispiel. Ich glaube, er ist auch der mit Erfolgloseste aus den ganzen Filmen. Ganz tolle Musik, aber ist halt auch wirklich nicht für jedermann was.
    Die Filmemacherin Nicole Wegner im Funkhaus Köln.
    Die Filmemacherin Nicole Wegner im Funkhaus Köln. (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Buchmann: Aber welche Musik von denen ist denn was für jedermann?
    Wegner: Wahrscheinlich keine. Vielleicht ist für jeden auch was dabei, für jeden besonderen Geschmack so ein bisschen was dabei. Aber ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass viele den Film sehen würden und auch gar nicht die Musik mögen. Aber ich glaube, dass der Film halt auch einen anderen inhaltlichen Wert hat, wo vielleicht auch mehrere Leute - die vielleicht nicht unbedingt der Musik was abgewinnen können - ja vielleicht sich inhaltlich da auch irgendwie wiederfinden. Also dass halt schon sehr viele, allgemeine Grundaussagen gestellt werden, die... Also mein Vater zum Beispiel - das war für mich das schönste Kompliment - als er irgendwann mal den Film geschaut hat, als ich ihm die DVD geschickt habe, sagte er: "Sag mal, der Film, der ist ja toll und das geht ja gar nicht so richtig um die Musik. Es geht ja mehr da drum, was die für eine Haltung zum Leben haben so." Und ich so, ja genau, das hast du genau richtig erkannt. Und mein Vater interessiert sich im Grunde genommen gar nicht so richtig für Musik und konnte vielleicht mit dem ein oder anderen was anfangen, aber, es geht um die Musik, aber es geht auch um sehr viel anderes
    "Mich hat das Warum und das Dahinter interessiert"
    Buchmann: Also einfach auch um Fragen über Lebensmodelle und die Aussage, Projekte einfach selbst in die Hand zu nehmen und voller Energie umzusetzen ohne immer im Blick zu haben, ob das jetzt klappt oder nicht. Und Sie wollen damit auf jeden Fall nicht nur spezielles Hardcore-Noise, wie auch immer, Szenenpublikum erreichen, sondern durchaus auch andere Menschen?
    Wegner: Ich wollte im Grunde genommen einen Film machen - ich habe irgendwie eine Zeit lang sehr viele Musikdokus geguckt, die mir alle filmisch auch so überhaupt nicht gefallen haben, die ich mir auch einfach nur aus eigenen Recherchegründen angeschaut habe - und mich das halt aber einfach filmisch, als Filmliebende und als Filmemachende, mich das überhaupt nicht befriedigt hat. Und ich dachte auch immer, viele suhlen sich auch immer so ein bisschen in ihrer eigenen Bestätigung auch, wenn wieder einmal ein neuer Film über Punkrock gemacht wird. Und dann gucken sich das halt auch die Leute an, die das alles auch irgendwie schon kennen und dann wollen sie irgendwie noch ein bisschen mehr Details wissen und mal wieder Videomaterial sehen irgendwie, was sie vielleicht noch nicht gesehen haben von irgendeiner Band oder irgendeinem Künstler.
    Und ich fand das immer so ein bisschen eindimensional und auch so langweilig und dann wird auch viel heroisiert. Das hat mich überhaupt nicht interessiert und mich hat das Warum und das Dahinter irgendwie interessiert, was letztendlich ja auch viele mutige Künstler aus einer ganz bestimmten, rohen Energie etwas erschaffen wollen, in dem Fall halt eine Musik erschaffen wollen und das halt auch irgendwie schaffen und was besonderes kreieren. Und wie es dazu kommt, das dahinter und wie man dabei bleibt, diese Vertreter haben mich im Grunde genommen interessiert. Da war es mir total wichtig, dass ich da im Grunde genommen so ein Kern herausfinde, der nicht nur was für die Musiknerds ist, und ein Film kann ja auch einfach so eine Wirkung erzielen, die auch wirklich tatsächlich vielleicht ein größeres Publikum ansprechen könnte, was sich nicht unbedingt nur für Musik interessiert.
    "Ich wollte einen Dialog zwischen Musik und Bildmaterial"
    Buchmann: Und der Film selbst ist natürlich, wie ich finde, auch ein Kunstwerk. Er ist auch sehr musikalisch mit Videoclip-Ästhetik, mit Cut-Up Elementen und schnell geschnitten und mit Handkameras und mit einem Plattenspieler, den Sie an verschiedenen Orten, in Los Angeles, in New York aufstellen. Also, es ging Ihnen auch um ein Gesamtkunstwerk?
    Wegner: Also ich habe sehr viel ausprobiert. Und ich habe vorher Animationsfilm gemacht hier an der Kunsthochschule für Medien und ich habe vorher noch gar nicht dokumentarisch gearbeitet und habe auch viel Musikvideos gemacht. Also es ist schon ein Einfluss und natürlich hat mich die Musik auch sehr beeinflusst und ich habe natürlich auch überlegt, wie kann ich irgendwie filmisch was dagegen setzen. Also nicht, dass ich die Musik ausbooten wollte und irgendwie was viel Stärkeres machen wollte, als die Musik. Aber im Grunde genommen wollte ich halt so einen kleinen Dialog zwischen der Musik und dem Bildmaterial. Und so halt nur Interviews immer so zu haben so nacheinander ist halt auch irgendwann so ein bisschen langweilig.
    Dadurch, dass ich auch gerne immer ausprobiere, habe ich auch einfach so ein bisschen, mehrere, schöne kleine Episoden da so reingesetzt. Und, genau, einen Plattenspieler mitgenommen beim Drehen in den USA und halt einfach die Platten mitgenommen auch und an den jeweiligen Stellen einfach hingestellt und einfach abgefilmt. Also es sind so kleine Bilder wie diese mit drin, genau.
    Neugier als Antrieb
    Buchmann: Was haben Sie selbst persönlich aus dem Film und aus den Gesprächen gelernt für sich?
    Wegner: Das ist eine sehr gute Frage, die habe ich noch nie so gehört. Weil ich sehr, sehr viel daraus gelernt habe, auch gerade, weil der Film so lange gedauert hat. Ich habe tatsächlich jetzt so sechs Jahre dafür gebraucht. Also in dieser Zeit hatte ich so oft die Möglichkeit, mir nämlich auch genau so eine Frage zu stellen. Ich glaube, ich brauchte auch diese Erfahrung und ich hatte diese Neugierde, diese Menschen kennenzulernen und herauszufinden, also genau diese Fragen, die ich in dem Film gestellt habe, waren Fragen, die ich mir selber gestellt habe. Also was ich gelernt habe zum Beispiel: Ich war neugierig drauf, wie die einzelnen Leute in dem Film herausgefunden haben, ihren eigenen Weg zu bestreiten. Und das will ich natürlich auch wissen, das will ich auch immer noch wissen. Und was gibt es da tolleres, als sich einfach mit Menschen - ich habe sie so inhaliert in ihren Aussagen - also ich meine, letztendlich habe ich selber irgendwie ein kleines DIY-Venue hier jetzt in Köln gegründet. Das wär nicht passiert, ohne dass ich diesen Film gemacht hätte. Ich wäre vorher nicht auf die Idee gekommen, Konzerte zu veranstalten, wie halt auch einige in dem Film machen oder ihr eigenes Label gegründet haben.
    Ich mache selber keine Musik, ich mache Filme, aber einfach Sachen in die Hand zu nehmen und sie trotzdem irgendwie mit einer bestimmten Gründlichkeit zu tun, obwohl man nur geringe Möglichkeiten hat. Also ich hatte hier zwar jetzt Möglichkeiten, ich war an einer Filmhochschule und ich habe auch Förderung bekommen. Da waren schon finanzielle Möglichkeiten da, aber ich musste sehr, sehr, sehr viel Eigenenergie und auch Geld reinstecken. Und ich glaube, ich habe ziemlich viel auch in dem Film, in dem Projekt, in der Produktion so verwirklicht, wie vielleicht auch einige der Protagonisten, wie sie vielleicht in ihrer Musik und ihrer Verwirklichung und in der Vermarktung ihrer Musik arbeiten. Ich kann das nicht kurz beantworten, glaube ich.
    Buchmann: Aber es ist angekommen.
    Wegner: Okay.
    Buchmann: Vielen Dank, Frau Wegner.
    Wegner: Bitteschön. Ich danke für die Einladung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.