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Dokumentation "World of Darkness"
Rollenspiele als Lebenshilfe

Sie entwickelten sich in den 1980er und 90er Jahren zu einem popkulturellen Phänomen und nahmen Einfluss auf Film und Fernsehen: Die Live-Rollenspiele "World of Darkness" und "Vampire - Die Maskerade". Die Dokumentation von Giles Anderson und Kevin Lee erzählt über die Anfänge der Roleplay-Kultur.

Von Hartwig Tegeler | 15.06.2018
    Der Hauptdarsteller des Musicals "Tanz der Vampire", Felix Martin, posiert in Hamburg.
    Der Hauptdarsteller des Musicals "Tanz der Vampire", Felix Martin, posiert in Hamburg. (picture alliance / dpa)
    Andreas schminkt sich vor dem Spiegel. Er wird zum Vampir, seinem Alter Ego im Rollenspiel "Vampire: Maskerade":
    "Ich spiele mit meiner eigenen dunklen Seite."
    Andreas setzt künstliche Vampir-Zähne ein, stülpt Ohr-Vergrößerungen über.
    "Man spielt mit der Not und Gewalt, die es im eigenen Lebe nicht gibt und erlebt diese Gefahren, ohne sich ihnen aussetzen zu müssen. Man bekommt ein besseres Verständnis für die eigenen Gefühle und Handlungen, wenn man eine andere Rolle annimmt."
    Später in der Dokumentation sehen wir den "World of Darkness"-Fan Bryce. Seine Haare orange, im Mund die spitzen Vampir-Zähne.
    "Ich hatte endlich eine Community, die mich so annahm wie ich bin."
    Sie sind eine Gemeinschaft von Männern und Frauen, die sich in einen Vampir verwandeln und eintauchen in eine "Welt der Dunkelheit" - alles aber nach festen Regeln. Giles Anderson und Kevin Lee erzählen in ihrer Dokumentation die Geschichte der Entstehung einer komplexen fiktiven Welt namens "World of Darkness".
    Wer kann hier noch leben? Vampire!
    Alles begann mit einem auf dem Schulkopierer vervielfältigten "White Wolf"-Magazin der Wieck-Brüder aus Atlanta, Georgia. Am Ende wurde daraus ein Live-Rollenspiel, das die Fans ab den 1990er Jahren weltweit als Event inszenierten. Warum aber … Vampire? Giles Anderson und Kevin Lee finden eine aufschlussreiche Antwort, wenn sie nach dem Urknall dieses Universums forschen und die Frage stellen, warum "World of Darkness" in der Rückschau solch großen Einfluss auf die Popkultur genommen hat. Anfang der 1990er Jahre: Auf dem Weg von Atlanta zur Gen-Con, der ältesten Rollenspiel-Messe der Welt, kommen die Wieck-Brüder vom "White Wolf"-Verlag zusammen mit Mark Rein-Hagen durch eine von der Wirtschaftskrise gebeutelte Stadt im Rostgürtel der USA. Wer kann hier noch leben? Wer überleben? Die Antwort von Mark Rein-Hagen: Vampire! So war die Idee geboren, einen Rollenspiel-Kosmos von Unangepassten, Außenseitern, von Verachteten zu entwerfen als Gegenentwurf zum Mainstream. Subkultur!
    "Ich war ein Außenseiter", erzählt Mark Rein-Hagen im Film.
    "Ich wurde gehänselt."
    Der Mann schrieb nun für den "White Wolf"-Verlag das Rollenspiel "Vampire: Die Maskerade", das inspiriert war von Kathryn Bigelows Vampir-Film "Near Dark" oder Tony Scotts "Begierde", das Motive von Anne Rices Roman "Interview mit einem Vampir" von 1976 aufsaugte. Zusammen mit dem später entstandenen Spiel "World of Darkness" konnten sich nun rollenspielende Outsider in einem fiktiven Universum in die Rolle des ultimativen Außenseiters begeben: Sie könnten Vampir werden!
    Wir alle sind Vampire! Genießen wir es also!
    In Parks, an Unis oder in Nachtclubs tauchten diese Vampire – später auch Werwölfe oder Feen – auf und nahmen großen Einfluss auf die Gothic-Punk-Szene, ihre Mode und auf die Clubkultur. Hier vergewisserten sich Aussenseiter in ihren Vampir-Rollen ihrer Identität als Außenseiter. Der Boom der Vampire in Film und Fernsehen, von "From Dusk till Dawn" bis zu "Buffy", von "Blade" oder der "Underworld"-Saga bis zu "True Blood", er nahm diese Botschaft auf: Egal, ob schwarz oder weiß, ob Mann oder Frau: Wir alle sind Vampire! Genießen wir es also! Die Faszination dieser Rollenspiele aber vermittelt sich in dieser spannenden Doku dann am eindrucksvollsten, wenn die Spieler mit Make-up und Masken kunstvoll zu den Figuren der "dunklen Welt" werden.
    "Wenn ich mich verkleide, distanziere ich mich von mir selbst", meint Caroline.
    Um dann noch etwas zu sagen, das einen dann tatsächlich dazu bringen könnte, künstliche Vampir-Zähne und Makeup zu erwerben.
    "Beim Live-Rollen-Spielen kann ich mich kennenlernen, ohne für eine Therapie zu bezahlen."