Samstag, 20. April 2024

Archiv

Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR
"Wie ein verfremdeter oder fremder Alltag"

Erinnern mit Hilfe von Alltagsgegenständen: Das "Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR" sammelt vom Fotoalbum über Kleidung und Spielzeug alles, was an die Zeit im Sozialismus erinnert. Die Menschen würden weiterhin ihre Schätze bringen, sagt Kurator und Kunsthistoriker Axel Drieschner im Dlf.

Axel Drieschner im Gespräch mit Katja Lückert | 14.07.2018
    DOK-Zentrum Eisenhüttenstadt 2013 Dokumentationszentrum Alltagskultur in der DDR in der Erich-Weinert-Alllee
    Blick ins Dokumentationszentrum Alltagskultur in der DDR ind Eisenhüttenstadt (DOK-Zentrum Alltagskultur der DDR / Bernd Geller)
    Katja Lückert: In Eisenhüttenstadt in Brandenburg wurde vor 25 Jahren eine Art Rettungsarchiv für die Alltagsgegenstände der DDR gegründet. Tatsächlich werfen wir ja häufig die Dinge, die wir so im Alltag gebrauchen, vom Kaffeefilter bis zu den Gummistiefeln irgendwann weg, wenn sie ausgedient haben. Doch die allermeisten Produkte, die in der ehemaligen DDR einst hergestellt wurden, gibt es ja heute nicht mehr oder nur in romantisierenden Remakes. Insofern wurden die Gegenstände, die die Menschen im Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR, so der offizielle Name, zusammengetragen haben, zu Trägern der Erinnerung. Und um das Erinnern und Vergessen geht es uns in unserer Sommerreihe bei Kultur heute in diesem Jahr. Axel Drieschner ist Kunsthistoriker und seit zwei Jahren Kurator im Dokumentationszentrum – Herr Drieschner, ist denn das Sammeln jetzt beendet mit rund 170.000 Objekten – oder bringen Ihnen die Menschen immer noch ab und an ihre alten Schätze?
    "Am Ende kommt das Fotoalbum"
    Alex Drieschner: Die Menschen bringen natürlich weiterhin ihre Schätze, auch wenn wir sie nicht mehr in dem Maße aufnehmen können, weil sie sicherstellen wollen, dass die Erinnerung in irgendeiner Form bewahrt und fortgetragen wird. Es gibt dann mehrere Schübe: Zum Teil Schenker, die zwei- oder dreimal Abgaben mit mehreren Jahren Abstand gemacht haben. Da werden zunächst die Dinge abgegeben, an denen sich relativ wenig emotionales Potenzial heftet. Und zum Ende hin, wenn dann die Wohnungen kleiner werden, dann kommt meinetwegen auch das Fotoalbum dran, und das ist natürlich interessant, wenn man einen kleinen Querschnitt durch die materielle Ausstattung dieser Haushalte letztlich in seiner Sammlung mitunter finden kann.
    Lückert: Von über 30 verschiedenen Untergruppierung von Gegenständen habe ich gelesen: Schmuck, Kleidung, Spielzeug. Was stellen Sie noch aus?
    Drieschner: Wir haben zum Beispiel Tonträger, Stücke aus unserer Schallplattensammlung. Wir haben, wenn man mal alphabetisch durchgeht, "Agitation und Propaganda". Das ist unser erster Sammlungsbereich, auch ein sehr großer, ein natürlich unmittelbar politischer, aber doch viele, die auf den ersten Blick unpolitischer daherkommen. Spielwaren ist ein wichtiger Schwerpunkt in unserer Sammlung, weil wir diesen Sammlungsbereich komplett aus dem Depot überführt haben in die Ausstellung, damit man mal erfahren kann, um welche Mengenverhältnisse es geht.
    Lückert: Dann sprechen wir gleich noch mal über die Ausstellung. Die neue Sonderausstellung heißt: "10.000 Kubikmeter Alltag". Wie sind Sie an dieses Konzept herangegangen?
    "Sprechen mit Spendern"
    Drieschner: Uns beschäftigt ja eigentlich seit des Bestehens des Dok-Zentrums die Frage, wohin mit diesen materiellen Hinterlassenschaften der DDR. Wir haben kein eigenes Depot-Gebäude, sondern sind darauf angewiesen, dass uns die Kommune freundlicherweise welche zur Verfügung stellt, oder wir welche anmieten. Und das führt dazu, dass wir noch immer auf der Suche sind nach einer dauerhaften Bleibe und auch gleichzeitig darstellen wollen, welche vielen Arbeiten eigentlich verknüpft sind mit so einem Objekt, von der Aufnahme über die Dokumentation und wissenschaftliche Erschließung, bis es dann vielleicht mal in einer Ausstellung in eine Vitrine gestellt wird.
    Das findet ja normalerweise im Verborgenen statt, ist nicht Teil der Öffentlichkeitswirksamkeit eines Museums, und um das mal ein bisschen aus dem Vergessen zu reißen, haben wir jetzt mal die Sammlung als solche thematisieren wollen.
    Lückert: Nun klebt die Erinnerung an diesen Gegenständen ja nicht einfach außen dran; eigentlich entsteht sie wohl mit den Geschichten, die die Menschen erzählen. Wie können Sie die Geschichten ausstellen?
    Drieschner: Das ist natürlich jedes Mal die Herausforderung, und das fängt schon damit an: Wir können Geschichten eigentlich nur ausstellen, wenn wir sie dokumentiert haben. Das heißt, wenn wir bei der Übernahme von Objekten versuchen, möglichst viele Informationen zu erlangen. Eine anonyme Übergabe, die bringt uns gar nichts, sondern wir versuchen, mit den Schenkern natürlich über die Erwerbs- und Aneignungsgeschichte zu sprechen, über die Bedeutung, die diese Objekte in ihren Leben hatten. Das können wir nicht immer ausführlich machen, sehr häufig nur sehr kursorisch, stichpunktartig festhalten. Das fließt dann ein in die Ausstellung, natürlich genauso wie gesellschaftliche Kontexte, Ergebnisse von fachhistorischen Forschungen und so weiter, weil durch diese Einbettung in diese verschiedenen inhaltlichen Dimensionen erst die Objekte zu uns sprechen.
    Lückert: Heißt das, Sie machen eine Art von Interview wie wir jetzt gerade?
    Drieschner: Ja. Das machen wir in seltenen Fällen, weil das wie gesagt sehr zeit- und personalaufwendig ist, und da sind wir leider, was das Personal anbetrifft, dünn aufgestellt. Das machen wir zum Beispiel, wenn wir größere Konvolute übernehmen, oder besonders interessante Objekte, die in unserer Sammlung in der Form eventuell nicht vertreten sind, oder die Person auch sonst biographisch interessante Dinge berichten kann und einfach auch gut erzählen kann. Das ist auch sehr unterschiedlich. Der eine möchte eigentlich gar nicht von sich berichten; bei dem anderen sprudelt es praktisch aus ihm heraus, weil er das erste Mal Gelegenheit hat, über sein Leben in dieser Form einer Person Auskunft zu geben. Das sind natürlich dann immer auch sehr spannende und ausführliche Gespräche.
    Lückert: Können Sie vielleicht ein Beispiel bringen für so ein Objekt und seine Geschichte?
    Drieschner: Ja. Interessant zum Beispiel, wenn wir jetzt mal in die Dauerausstellung gehen. Da gibt es einen Badeofen. Das ist auch ein ganz klassisches Objekt, war in vielen Altbauten der DDR aufgestellt. Da kam das warme Wasser nicht aus der Wand, sondern man muss es mühsam erhitzen mit Holz und Kohlen. Da wurde dann ein Badetag festgelegt, an dem die ganze Familie gebadet hat. Da hat dann der Schenker eine Notiz hinterlassen und genau diese Geschichte erzählt und im Grunde genommen schon gewusst, dass das ein interessanter Aspekt ist, der in unserer heutigen Alltagskultur gar nicht mehr so nachvollziehbar ist und deswegen von historischem Interesse sein könnte.
    Lückert: Wenn man jetzt die Sicht auf die DDR betrachtet, ist es ja eigentlich eine persönliche Sicht, nicht kuratiert. Was bedeutet das eigentlich für das Konzept Museum?
    "Fremder Alltag"
    Drieschner: Es geht eigentlich darum, nicht eine auktoriale Geschichte zu erzählen, ein vorgegebenes Geschichtsbewusstsein in immer wieder neuen Ausstellungen zu vermitteln, sondern zu versuchen, einzubeziehen die Erfahrungen der damaligen Akteure, auch der unterschiedlichen Erinnerungsgemeinschaften der DDR beispielsweise, die ja regional und generationell unterschiedlich sind, um dadurch auch eingefahrene Klischees zu durchbrechen, nicht immer dieselben Stereotypen zu reproduzieren, sondern auch mal in andere Richtungen zu gehen und Gewissheiten zu hinterfragen, und zwar nicht nur in Bezug auf die DDR, sondern auch auf unser aktuelles Leben und unsere Alltagserfahrung heute, die wir ja gar nicht so hinterfragen, sondern als naturgegeben hinnehmen, aber in einem solchen Gegenüber wie mit solchen DDR-Objekten, die uns ein bisschen wie ein verfremdeter oder fremder Alltag daherkommen, dann eher zu Bewusstsein bringen.
    Lückert: Allerdings verraten die Objekte ja oft etwas über privates Freizeitverhalten, über Konsum, über Wohnkultur. Sie haben die Spielwaren jetzt in der neuen Ausstellung schon erwähnt. Wie könnte man Situationen des Arbeitslebens, Repression, wie könnte man das darstellen?
    Drieschner: Wir haben natürlich für fast alles, was Sie jetzt aufgezählt haben, Objekte. Was jetzt die Seite der Repression anbetrifft, ist unsere Sammlung sehr dünn, weil es da andere Häuser gibt, die darauf spezialisiert sind, und die Schenker dann, wenn sie solche Dinge hatten, das eher dann dort abgegeben haben.
    Bei uns ist es so, dass wir Fragestellungen, die auch sonst die Öffentlichkeit beschäftigen, versuchen aufzugreifen. Zum Beispiel gab es 2012 eine Ausstellung zum Thema Plasta in der DDR, und ich denke, das ist jetzt auch ein Aspekt, der immer stärker uns heute beschäftigt, weil wir ja auch wieder in einer Zäsur sind im Umgang mit diesem Material, was unseren Alltag eigentlich sehr massiv beherrscht. Und wenn man sich anschaut, wie das in der DDR auch politisch und ideologisch überhöht wurde, als neues Konsumversprechen Ende der 50er-Jahre, euphorisch begleitet wurde in der öffentlichen Kommunikation, und heute sieht man es sehr kritisch, und ich denke, dieses Spannungsfeld, was sich da aufmacht, ermöglicht es uns auch heute, über unsere Konsumgesellschaft und die Konditionen nachzudenken.
    Lückert: Ich las zuletzt einen Artikel, in dem es darum ging, die Sprache der DDR und die Sprache der Bundesrepublik zu vergleichen. Da sind ja auch einige Worte, an denen Erinnerungen kleben.
    Drieschner: Ja, natürlich! Wir sind natürlich eher an der materiellen Kultur dran, aber das verbindet sich natürlich auch mit Sprache. Das ist ein Aspekt, den man auch untersuchen könnte. Es gab zum Beispiel mal eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum zur Wendezeit, zum 20. Jubiläum, glaube ich, wo die Besucher auch aufgefordert waren, untergegangene Begriffe an einen Baum zu hängen, ein partizipativer Aspekt, und so was Ähnliches haben wir auch jetzt in unserer Sonderausstellung im Augenblick, wo die Besucher und Besucherinnen Objekte aus den Regalen nehmen können, natürlich unter Beaufsichtigung, und ihre eigene Geschichte dazu erzählen können und die Bedeutung, die sich für sie daran knüpft – in diesem Fall Spielzeuge.
    Lückert: Wie arbeitet man eine solche riesige Sammlung auf? Sie haben es schon erwähnt. Platzen Sie ein bisschen aus den Nähten und wie kommt man da zu einer Erinnerungs-Essenz?
    "Alltagskultur erfordert viel Raum"
    Drieschner: Das ist sehr schwierig. Die Essenz, die wir jetzt herausfiltern wollten, die würde natürlich sehr stark durch eine zeitbedingte Perspektive geprägt sein und durch Vorlieben des Kurators und so weiter. Deswegen versuchen wir schon, eine große Breite und Vielfalt von Objekten auch für die Zukunft vorzuhalten, auch für Fragestellungen, die uns heute überhaupt noch nicht beschäftigen. Das bedeutet natürlich eine große Herausforderung in der Unterbringung dieser Objekte.
    Auf der anderen Seite müssen wir natürlich ein wenig aussortieren, im Rahmen von Ausstellungsprojekten schauen, wie unsere Bestände beschaffen sind. Das eine und andere Objekt wird dann anderen Museen beispielsweise angeboten. Aber insgesamt ist es natürlich so: Wenn man Alltagskultur sammelt, dann ist das was anderes, als wenn man jetzt meinetwegen Münzen sammelt. Das ist natürlich per se ein Sammlungsbereich, der ein großes Volumen fordert, in unserem Falle die erwähnten 10.000 Kubikmeter Depot-Raum, die wir benötigen, um diese Objekte unterzubringen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.