Donnerstag, 18. April 2024

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Dokumentationszentrum Obersalzberg
"Über alle Maßen erfolgreich"

Der Obersalzberg hat seit 15 Jahren ein eigenes Dokumentationszentrum für seine NS-Vergangenheit. Magnus Brechtken vom Münchener Institut für Zeitgeschichte sprach im DLF über den großen Erfolg der Einrichtung und darüber, wie man verhindert, dass der Ort zu einem Wallfahrtsziel für Neonazis wird.

Magnus Brechtken im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 20.10.2014
    Eine Besucherin in der NS-Dokumentationsstelle Obersalzberg
    Eine Besucherin in der NS-Dokumentationsstelle Obersalzberg (picture-alliance/ dpa - Peter Kneffel)
    Doris Schäfer-Noske: Seit 15 Jahren gibt es nun auf dem Obersalzberg ein Dokumentationszentrum, das die NS-Geschichte des Ortes aufarbeitet. Von 1923 an war der Obersalzberg nämlich Hitlers Feriendomizil. Auch andere Nazi-Größen hatten hier Ferienhäuser und nach 1933 wurde der Obersalzberg zu einem zweiten Regierungssitz ausgebaut. Das 15-jährige Bestehen der Erinnerungsstätte wird nun heute Abend gefeiert: mit einer Diskussion, einem Rückblick auf die bisherige Arbeit und einem Blick in die Zukunft. Für 17 Millionen Euro soll das Dokumentationszentrum modernisiert und erweitert werden. Magnus Brechtken ist der stellvertretende Direktor des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, das für die inhaltliche Konzeption des Zentrums am Obersalzberg zuständig ist, und ihn habe ich gefragt, wie erfolgreich die Arbeit des Zentrums bisher war.
    Magnus Brechtken: Das Dokumentationszentrum war in den 15 Jahren über alle Maßen erfolgreich. Wider der ursprünglichen Planungen, die von maximal 30.000 Besuchern ausgingen pro Jahr, haben wir jetzt rund 160.000 bis 170.000 Besucher pro Jahr. Wir haben im vergangenen Jahr 2013 den zweimillionsten Besucher begrüßt und wir hatten, um nur ein Beispiel zu nennen, jetzt im vergangenen August 31.000 Besucher allein im August 2014.
    Schäfer-Noske: Deswegen braucht es jetzt auch mehr Platz. 2005 gab es bereits eine erste Erweiterung des Dokumentationszentrums, nun eine weitere. Was soll sich denn dadurch ändern, außer dass es mehr Platz gibt?
    Brechtken: Durch die Vielzahl der Besucher und durch die Zahl derjenigen, die da auch Seminare, Workshops und Ähnliches machen wollen, brauchen wir natürlich mehr Platz, um solche Art von pädagogische Begleitung zu haben. Aber vor allem brauchen wir auch mehr Platz für die Ausstellung selbst. Die ist jetzt auf knapp 300, 350 Quadratmetern untergebracht und Sie können sich vorstellen, wenn da an manchen Tagen bis zu 1.200, 1.400 Besucher kommen, dann ist das überhaupt nicht mehr möglich, da in irgendeiner Weise etwas angemessen zu vermitteln. Dafür gibt es jetzt die Pläne für den Erweiterungsbau, der 2018 fertig sein soll, so dass wir dann auch eine modernisierte Ausstellung zeigen können, denn in 15 Jahren hat sich natürlich auch, was die Medienpädagogik und Digitalisierung etc. betrifft, vieles getan, so dass man das auf den heutigen Stand bringen muss.
    Schäfer-Noske: Welche inhaltlichen Veränderungen wird es denn geben, oder Erweiterungen?
    Brechtken: Wir werden natürlich wissenschaftliche Forschungserkenntnisse aus den letzten 15 Jahren intensiv mit einarbeiten. Eine ganz wichtige Diskussion, die die Forschung geprägt hat, war die Diskussion um die sogenannte Volksgemeinschaft: Inwieweit gab es diese Volksgemeinschaft während des Dritten Reiches? Inwieweit spiegelt die sich auch beispielsweise am Obersalzberg? Wir alle kennen die Bilder mit den Menschenmassen, die an der Auffahrt zum Berg hoch stehen und Hitler sehen möchten. In solchen Repräsentationen spiegelt sich natürlich auch ein Teil des Dritten Reiches, den wir dann angemessen mit der Forschung in Verbindung setzen müssen.
    Schäfer-Noske: Hitler hat sich ja in der Landschaft am Obersalzberg auch inszeniert, das für Propagandazwecke genutzt. Wie stark wird das denn dann in der neuen Ausstellung einbezogen werden?
    Hitlers Selbstinszenierung
    Brechtken: Das ist ein ganz klares starkes Element der neuen Ausstellung, denn diese Idylle auf dem Obersalzberg auf der einen Seite, die Postkartenlandschaft, die immer wieder, wie Sie gesagt haben, inszeniert wurde, um zwischen Schäferhund und blauem Himmel und hohen Bergen so eine Art Kitschlandschaft auch zu produzieren, ist die eine Seite, und die andere Seite ist natürlich, dass das der zweite Regierungssitz des Dritten Reiches war. Hitler hat ein Drittel seiner Regierungszeit auf dem Obersalzberg verbracht und zahlreiche zentrale Entscheidungen bis hin zu zentralen Entscheidungen innerhalb des Holocaust und der Kriegführung im Osten wurden am Obersalzberg getroffen, und das muss man natürlich miteinander verbinden. Jemand hat mal gesagt, am Obersalzberg treffen sich Kitsch und Tod, und das ist im Grunde genau das, was man den Besucherinnen und Besuchern dann deutlich machen muss.
    Schäfer-Noske: Wie schafft man es denn, dass ein Täterort wie der Obersalzberg, also ein Zentrum der Machtausübung, aber eben auch ein Ort, an dem sich Hitler als normaler Nachbar inszeniert hat, nicht zum Wallfahrtsort für Neonazis wird?
    Brechtken: Indem man diesen Ort demokratisch besetzt. Wir klären auf, wir zeigen, was dort geschah, was dort entschieden wurde, und dass die Bilder, die viele in den Köpfen haben, die eine Seite einer viel brutaleren Seite sind, nämlich einer Herrschaft, die darauf ausgerichtet war, nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa mit einem Rassenstaat zu überziehen, Menschen, die nicht in dieses Bild passten, umzubringen, und dass das, was sozusagen als europäischer Krieg dann ab 1939 praktiziert wurde, auch einen direkten Zusammenhang hat mit dem, was am Obersalzberg diskutiert und entschieden wurde. Und diesen Zusammenhang deutlich zu machen, das ist der Kern der Vermittlungsbotschaft, die von der Dokumentation Obersalzberg ausgeht.
    Schäfer-Noske: Das NS-Dokumentationszentrum auf dem Obersalzberg wurde heute vor genau 15 Jahren eröffnet. Das war Magnus Brechtken vom Institut für Zeitgeschichte, das inhaltlich für das Zentrum zuständig ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.