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Dokus "Die letzten Gigolos" und "Die Böhms"
Die Unruhe des Alters

Von Christoph Schmitz | 29.01.2015
    Wie leben alte Menschen, sehr alte Menschen? Wie kann man im hohen oder gar sehr hohen Alter richtig oder gut oder irgendwie sinnvoll leben, wenn uns die Gebrechen einigermaßen verschonen? Der solvente Rentier, genauer die solvente Rentiers-Witwe hat eine allgemein bekannte Lösung parat: Sie geht auf Kreuzfahrt. Regisseur Stephan Bergmann begleitet die Damen in seinem Dokumentarfilm zwei Wochen lang auf der MS-Deutschland. Das schwimmende Luxushotel verfrachtet die adrett aufpolierten Gäste mit ihren toupierten Frisuren, viel goldenem Gehänge und üppiger Galagarderobe von Lissabon aus über die Kanaren zu den Kapverden und nach einem Strandnachmittag an den Küsten Afrikas wieder zurück nach Europa. Und was treiben die Frauen den lieben langen Tag auf hoher See so? Sie liegen auf dem Sonnendeck, machen etwas Gymnastik, kleiden sich permanent um, stoßen mit Sektkelchen an, plaudern über Nichtigkeiten und warten auf den Gigolo. Denn mit der MS-Deutschland sind auch "Die letzten Gigolos" unterwegs, so der Filmtitel. Man könnte diese Gigolos auch Eintänzer nennen, Ausgehherren, Kavaliere oder Hosts, wie sie an Bord offiziell genannt werden, ebenfalls ältere Herren, gepflegt, gute Manieren und scheinbar ganz offiziell als Unterhalter der überzähligen Witwen engagiert:
    "Grundsätzlich ist ja nichts verboten, nur manches ist nicht erlaubt. Das ist ein Unterschied. Und sicherlich findet Sexualität bis ins hohe Alter statt, aber nur dann, wenn man einen sympathischen Partner hat, der mit einem da auch gut kommuniziert."
    Die Hosts betreiben ihre geriatrische Animation locker, charmant, elegant, ohne die Grenzen des guten Geschmacks je zu überschreiten. Gentlemen der alten Schule sind sie, was die Damenwelt goutiert. In zahllosen Einstellungen mit statischer Kamera fängt Regisseur Bergmann das gediegene Ambiente samt Kundschaft ein. Ruhe, Lähmung, Stillstand, Endzeit im goldenen Käfig macht sich breit, was Bergmann aber mit keiner einzigen Silbe kommentiert. Er lässt die Bilder sprechen und seine Protagonisten, die ihm ihr Kreuzfahrtleben mit Genuss vorspielen. Inbilder der Weltflucht und der Müdigkeit sind das. Mitunter jedoch hat man den Eindruck, dass Bergmanns Film selbst von der Schläfrigkeit des Schiffs angesteckt wird. In den Bauch von MS-Deutschland, dorthin, wo die Scharen asiatischer Köche, Wäscherinnen und Zimmermädchen für alle Genüsse und Bequemlichkeiten schuften, wirft Bergmann nur kurze Blicke. Da unten aber lauern, das spürt man gleich, die spannenderen Geschichten.
    Unterschied zwischen Kunst und Unterhaltung, Freude und Spaß
    Gegenüber den "Letzten Gigolos" von Stephan Bergmann sind die Langsamkeit, die Entschleunigung, der momentane Stillstand in Maurizius Staerkle-Druxs Film "Die Böhms" von ganz anderer Art:
    "Die Farbe Rot bedeutet natürlich die Liebe, aber schon toll, dass es so was gibt, so ne Farbe, die einen auch warm macht oder heißt - unter Umständen."
    Alles ist hier reine Meditation, Einkehr, Sinnieren über architektonische Träume. Der Untertitel suggeriert das Porträt eines Architektenclans: "Architektur einer Familie". Aber eindeutige Hauptfigur ist der inzwischen 94-jährige Gottfried Böhm, der einst in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, dessen drei Enkel wiederum ihrem Vater folgten. Der alte Mann und seine Fantasien der Baukunst - so könnte man diesen kleinen sehr poetischen Film auch überschreiben, der weniger ein Film über die realisierten Arbeiten Gottfried Böhms und seiner Familie ist, obwohl die kristallinen, teils pyramidenartigen Betonskulpturen von Gottfried Böhm immer wieder ins Bild rücken, meist, wenn ihr Erfinder sich schweigend in ihnen umschaut. Wir sehen aber vor allem einen uralten und doch hellwachen Menschen, dessen Existenz nur einem gewidmet ist, der Imagination bewohnbarer Großskulpturen. Die zeichnenden Finger in Großaufnahme sieht man, über Stadtfantasien wandert das suchende Kameraauge, viel geredet wird nicht, geschweige, dass kunsttheoretische Diskurse verhandelt würden. Im Wandel der Jahreszeiten in Köln am Rhein wachsen die Träume der Böhms unbeirrt von den Aufregungen und Ablenkungen des Tages. Die Böhms bleiben auch im Alter bei der Arbeit, auf der Suche, nach der richtigen Form. Besser als die beiden Filme "Die Böhms" und "Die letzten Gigolos" kann man den Unterschied zwischen Kunst und Unterhaltung, Freude und Spaß nicht sinnfällig machen.