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Dolce vita statt Krisenmanagement in Italien

Mit Italien wankt die drittgrösste Wirtschaftsmacht der Eurozone, inzwischen zahlt das Land über sechs Prozent Zinsen für seine Staatsanleihen. In dieser Situation wollten Italiens Politiker erst einmal in die Sommerfrische - in der letzten Minute hat sie Regierungschef Silvio Berlusconi aus dem Urlaub zurückgepfiffen.

Von Kirstin Hausen | 08.08.2011
    Die Szene wirkte surreal. Während die Börsenkurse abstürzten, die italienischen Banken bis zu zehn Prozent ihres Aktienwertes verloren, stimmten die Parlamentarier in Rom für eine Sommerpause bis Mitte September. So, als ginge sie das alles nichts an. Da platzte FIAT-Chef Sergio Marchionne und einigen anderen Managern und Unternehmern der Kragen. Industriellenverband, Bankenverein und Gewerkschaften unterzeichneten gemeinsam einen Aufruf an die Regierung, zu handeln. So kann es nicht weitergehen, war die Botschaft und Silvio Berlusconi scheint sie in letzter Minute verstanden zu haben.

    "Niemand leugnet die Krise und wir müssen hart arbeiten, um sie zu überwinden."

    Statt Urlaub zu machen, wird nun in Rom gearbeitet. An Gesetzen zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes und an einem in der Verfassung zu verankernden Schuldenverbot. Genau den Dingen, die Frankreich und Deutschland von Italien eingefordert haben. Das Druckmittel bietet die Europäische Zentralbank. Ihr Präsident Jean-Claude Trichet hat angekündigt, italienische Staatsanleihen nur aufzukaufen, wenn die Regierung strukturelle Reformen für mehr Wirtschaftswachstum und den Abbau der Staatsschulden einleitet. Italien, das sich im Laufe des Jahres noch 370 Milliarden Euro am Kapitalmarkt leihen muss, um seinen unmittelbaren Verpflichtungen nachkommen zu können, braucht dringend mehr Käufer für seine Staatsanleihen, weil nur so die Zinsen auf diese Papiere sinken. Noch so eine Börsenwoche wie die vergangene käme Italien teuer zu stehen, meint Massimo Teodori von der Universität Perugia:

    "In diesen Tagen haben die gestiegenen Zinsen auf unsere Staatsanleihen bereits einen Großteil des Geldes, das durch die Haushaltskorrektur in 2012 und 2013 eingespart werden soll, aufgefressen."

    Der positive Effekt des in Rekordzeit verabschiedeten Sparpaktes auf die Märkte ist also bereits verflogen. Ginge es diese Woche an den Börsen so weiter, wie es am Freitag endete, stände Italien Ende September vor dem Staatsbankrott. Silvio Berlusconi macht weiterhin gute Miene zum bösen Spiel und erklärt die Finanzmärkte für irrational.

    "Die Märkte handeln nach ihren eigenen Regeln. Und die haben kaum etwas zu tun mit der Wirtschaft oder der Politik."

    Das sehen viele Wirtschafts- und Finanzexperten anders. Die sinkenden Börsenkurse sind die Quittung für Italiens Versäumnisse, sagt beispielsweise Vincenzo Galasso von der privaten Wirtschaftsuniversität Bocconi in Mailand.

    Nun müssen in aller Eile Reformen her, um den Anlegern wieder Vertrauen einzuflössen. Und Berlusconis Versprechen an die Bürger, keine weiteren öffentlichen Ausgaben zu kürzen, könnte schon bald hinfällig sein. Massimo Teodori:

    "Die Märkte erwarten von Italien einen zweiten Schritt. Die Haushaltskorrektur war der erste Schritt, auf den nun noch weitere Einsparmaßnahmen folgen müssen."

    Während in Griechenland und Spanien massive Proteste gegen Kürzungen der staatlichen Leistungen die Folge waren, scheinen die Italiener der dramatischen Entwicklung mit Apathie zu begegnen. Für Massimo Davì aus Como liegt das nicht allein am Ferienmonat August.

    "Vielleicht haben wir uns einfach daran gewöhnt, dass die Alarmglocken schrillen. Uns ist nicht bewusst, was passiert, auch wenn Panik herrscht. Aber was mich wirklich erstaunt ist, dass es kein Limit gibt, es geht immer noch weiter abwärts in Italien und die Leute passen sich an ohne aufzumucken."

    Vielleicht glauben die Italiener aber auch nicht an das Gespenst der Staatspleite oder sind überzeugt, dass die Europäische Union ihrem Land finanziell unter die Arme greift, wenn es ganz eng wird. Massive Panikverkäufe privater Anleger registrierte die Mailänder Börse bei den Staatsanleihen nicht. Das Sparverhalten der italienischen Familien ist Daten der Bankitalia zufolge konservativ. Fast die Hälfte ihrer Geldreserven liegen auf Sparkonten oder bei der Post. Und wer beim Investieren das Risiko liebt, ist mit den Turbulenzen an der Börse sogar zufrieden, wie dieser Privatanleger betont.

    "Kaufen muss man jetzt, nichts als kaufen."