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Dolmetscher im Dienst der Gesundheit

Als das "Ethnomedizinische Zentrum" 1990 in Hannover gegründet wurde, gab es Vergleichbares nirgendwo in Deutschland. Sehr früh richtete das Zentrum einen Dolmetscherdienst für Arztbesuche ein, der auch Vorbildfunktion für die später eingerichteten Zentren in Berlin, Frankfurt oder Köln hatte. Jetzt kommt aus Hannover die Nachricht, die CDU-geführte Landesregierung plane, vom kommenden Jahr an alle Fördermittel in Höhe von 86.000 Euro ersatzlos zu streichen. Für das Ethnomedizinische Zentrum bedeutete dies das Aus.

Von Michael Engel | 23.11.2004
    Anruf beim "Dolmetscherdienst" des Ethnomedizinischen Zentrums in Hannover. Rund 2000 mal im Jahr bitten ausländische Patientinnen und Patienten um den Beistand eines Dolmetschers, zum Beispiel vor einer komplizierten Operation, um über Risiken und Nebenwirkungen in der Muttersprache aufgeklärt zu werden. Auch bei psychischen Problemen werden überdurchschnittlich häufig Dolmetscher eingeschaltet. Für den behandelnden Arzt ist die "Sprechstunde" dann immer etwas komplizierter:

    Arzt: Frau Aydin, was hat Sie in unsere Beratungsstelle geführt. (Dolmetscher übersetzt in türkisch – Patientin antwortet türkisch)
    Dolmetscher: In letzter Zeit fühle ich mich sehr eingeengt. Ich habe Probleme, die ich mir nicht erklären kann. Deswegen wollte ich mich an einen Arzt wenden.

    Özgür Ziyaretci, Jurastudent in Hannover, ist einer von 300 Dolmetschern, die in mehr als 40 Muttersprachen vermitteln können. Für den 30-jährigen, der mit 11 nach Deutschland kam, eine verantwortungsvolle Herausforderung:

    Menschen, die Beschwerden haben, die es aber dem Arzt nicht erklären können, werden oft auch nicht richtig behandelt, weil der Arzt auch nicht richtig erkennen kann, was dem Patienten fehlt. Die Patienten sind sehr oft dankbar, dass wir da sind, dass sie ihre Krankheit schildern können, dass wir dies dem Arzt übersetzen, und dass sie auch verstehen können, was der Arzt ihnen erzählen möchte.

    Viele Krankheiten werden nicht allein medizinisch, sondern auch kulturell wahrgenommen und verarbeitet. Patienten aus dem arabischen Raum zum Beispiel verwenden bei Schmerzen im Bauch- oder Brustraum häufig das Bild von einer Schlange, die durch den Körper zieht. Eine wörtliche Übersetzung, so Beqir Dervishi als Albanien, würde dann eher Verwirrung stiften:

    Da ich aus dem Gebiet komme, kenne ich auch diese speziellen Volksausdrücke über bestimmte Krankheiten und über bestimmte Schmerzen. Die Patienten sind oft sehr einfache Menschen, die sich nicht richtig über ihre Krankheiten ausdrücken können. Ich kann ich auch diese Volkssprache anwenden, und deswegen kann ich die Patienten gut verstehen, wenn sie sagen: "Ich habe Schmerzen."

    Weniger Fehldiagnosen, mehr Behandlungserfolge – das ist die positive Konsequenz aus der Dolmetschertätigkeit, rechnet Ramazan Salman – Geschäftsführer des Ethnomedizinischen Zentrums - vor. Würde die niedersächsische Landesregierung die Fördermittel streichen, gäbe es keine Übersetzungen mehr. Auf der Streichliste stünden auch die rund 200 Aufklärungsveranstaltungen im Jahr, die von Aids bis Zahngesundheit informieren. Hinzu kommen viele Projekte. So entwickelte das Ethnomedizinische Zentrum eine ungewöhnliche Impfstrategie für ausländische Kinder zusammen mit dem Landkreis Stade.

    Die Migranten waren dankbar, sehr sehr dankbar. Sie kamen familienweise zu der Impfstation in ihrem Viertel, vor ihrer Haustür. Und das Gesundheitsamt machte die Erfahrung, das probieren wir bei den Deutschen auch einmal, und schon hatten wir das, was wir uns eigentlich wünschen, dass von den Migrationskonzepten nicht nur die Migranten, sondern auch die deutschen Mitbürger profitieren, dass man dadurch sogar gelernt hat, nicht Erreichbare leichter zu erreichen.

    Würde das Ethnomedizinische Zentrum dicht machen müssen – so Ramazan Salman - wäre der gesundheitsökonomische Schaden am Ende größer als die eingesparten 86.000 Euro. Zur Zeit formiert sich Protest: Die Medizinische Hochschule Hannover appellierte an die Landesregierung, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. Die Ärztekammer Niedersachsen reagierte mit einer Protestnote. Und auch sonst gab es viele Sympathiebekundungen:

    ..... und ich glaube, und ich spüre, dass erkannt wird, auch angesichts der Vorkommnisse in den Niederlanden, dass wir ein wunderbar funktionierendes Instrument der Integration, das wir das nicht aufgeben können, gerade weil es ein Zeichen an Deutsche und Migranten ist, dass wir gemeinsam an eine gemeinsame Zukunft glauben, an eine gemeinsame Gesundheit glauben, und dass wir auch daran glauben, dass Integration nur gemeinsam geht.