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Domestizierung
Vom wilden Bankivahuhn zum zahmen Haushuhn

Das Bankivahuhn gilt als Urvater der heutigen Haushühner. Wie unterscheidet es sich von unserem heutigen Haushuhn? Um diese Frage zu beantworten, haben schwedische Biologen wilde Bankivahühner im Schnellverfahren domestiziert. Sie fanden heraus, dass die Epigenetik eine größere Rolle spielt als bisher angenommen.

Von Volkart Wildermuth | 13.07.2018
    Gallus gallus -Kaziranga National Park, Assam, India
    Bankivahühner verlassen zur Nahrungssuche am frühen Morgen und späten Nachmittag oft die Deckung und können dann auf Wegen und Schneisen beobachtet werden. (Lip Kee Yap)
    Den blinden Mechanismus der Selektion in der Natur konnte Charles Darwin nur verstehen, weil er vorher die gezielte Zucht der Haus- und Nutztiere genau studiert hatte. Jetzt sieht es so aus, als ob wieder ein solches Haustier, das bescheidende Huhn, hier ganz neue Blickwinkel öffnet.
    Darauf gestoßen ist Per Jensen, als er sich dessen Epigenetik angeschaut hat: Merkmale wie Gemüt, Größe oder Gefiederfarbe werden nicht nur über die Gene weitergegeben.
    Jedes Huhn erbt von den Eltern zusätzlich auch Markierungen an der DNA, die Gene frei oder stumm schalten können.
    Die Epigenetik prägt das Erscheinungsbild also mit.

    "Wir haben die Epigenetik des Haushuhns verglichen mit der seines Vorfahren, des Bankivahuhn aus Südostasien. Es gibt massive Unterschiede in den Markierungen, vor allem bei Genen, die etwas mit Stress, Gedächtnis und der Vermehrung zu tun haben. Das passt", findet Per Jensen, denn Haushühner müssen mit dem Stress der ständigen Nähe zum Menschen zurechtkommen und sie sollen natürlich viele Eier legen.
    Domestizierung im Schnellverfahren
    Der schwedische Biologe von der Universität Linköping hat festgestellt, dass sich Haus- und Bankivahuhn deutlich mehr auf der Ebene der Epigenetik unterscheiden, als bei der DNA Sequenz selbst.
    Und: Besonders viele Markierungen finden sich beim Bankivahuhn heute dort, wo das Haus-Huhn sich auf Ebene der Gene verändert hat. Tatsächlich vermutet Per Jensen: Die Epigenetik ist der Vorläufer der genetischen Veränderung.

    "Vielleicht gibt es deshalb so wenige Nutztierarten. Die Steinzeitmenschen haben vor allem Hirsche gejagt und gegessen. Aber das Tier, das sie auf den Hof geholt haben, war das Schaf. Irgendwie ließ sich ein Schaf leichter zähmen als ein Hirsch, und ich wäre nicht überrascht, wenn das mit der Epigenetik zu tun hatte."

    Per Jensen wollte seine Idee testen und hat wilde Bankivahühner sozusagen im Schnellverfahren domestiziert, indem er jeweils die zahmsten Individuen weiter vermehrte.
    Schon nach fünf Generationen veränderte sich die Epigenetik.
    Es ist bekannt, dass Regionen im Genom mit vielen Markierungen zu Mutationen neigen. Und so könnten über hunderte und tausende von Jahren die ursprünglich flexiblen epigenetischen Markierungen in stabile DNA-Unterschiede umgesetzt worden sein.
    "Man kann sich vorstellen, dass ein Tier auf Stress oder eine plötzliche Änderung des Selektionsdrucks mit epigenetischen Veränderungen in den dafür relevanten Genen reagiert. Wenn das über Generationen weitegeht, gibt es dort mehr Mutationen. So könnte die Epigenetik die Evolution vorantreiben."
    Zeit alte Vorbehalte abzulegen
    Das Ganze klingt verdächtig nach der Vererbung erworbener Eigenschaften, mit der Jean Baptiste Lamarck lange vor Darwin die Evolution erklären wollte.
    Lamarck ist für Biologen ein Unwort, sie setzten über hundert Jahre ausschließlich auf die natürliche Selektion von Charles Darwin.
    Dabei hatte Lamarck mit seiner Theorie zumindest teilweise Recht, betont Per Jensen.
    Es sei Zeit alte Vorbehalte abzulegen.
    "Die moderne Epigenetik zeigt: ja, genau das passiert. Wir müssen uns das Genom viel dynamischer vorstellen. Die DNA ist bei der Geburt da, aber über die Lebensspanne passiert viel mit ihr und einiges davon wird weiter vererbt. Und das kann wieder Mutationen begünstigen. Die Details kann ich nicht erklären, es ist sehr komplex, aber es macht wirklich Spaß, heute Biologe zu sein.