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Don Carlos
Etwas arg alt und müde

Einen etwas anderen "Don Carlos" hat Stephan Kimmig jetzt am Deutschen Theater Berlin inszeniert. Er orientiert sich dabei an einer späteren, 1805 entstandenen Fassung von Schillers Drama. Von dessen 20 Personen sind dabei nur acht übrig geblieben. Statt als Liebesdrama oder als politisches Tendenzstück interpretiert er es als Beziehungsstück.

Von Hartmut Krug | 01.05.2015
    Müde sind sie alle am spanischen Hof. Still ist es hier und leer: Von Schillers 20 Personen sind in Stephan Kimmigs Inszenierung acht übrig geblieben. Und Philipp agiert weniger als dass er reagiert. Dieser Einsame verwaltet das Bestehende mit müder Macht und ist wie alle vor allem mit sich und seinen Ängsten beschäftigt.
    Am Deutschen Theater wird nicht die frühe, politischere Fassung des Dramas von 1787 gespielt, sondern eine spätere, die wohl 1805 nach den Erfahrungen des Terrors der Französischen Revolution entstand. Die hat der Dramaturg John von Düffel gekürzt und zuweilen auch umformuliert. In Schillers "Lieblingskind des Geistes", das meist als Liebesdrama oder als politisches Tendenzstück interpretiert wird, entdeckt Kimmig das Beziehungsstück.
    Prinz Carlos steckt am Hof in einer emotionalen und gesellschaftlichen Leere. Sein Vater: Ein müder Despot, der sein unterdrückerisches Machtsystem aufrecht zu erhalten sucht. So macht Carlos Liegestütze, springt Seil und betreibt Schattenboxen. Nach der ihm einst als Gattin zugedachten Elisabeth, die ihm als seines Vaters Frau nun unerreichbar ist, verzehrt er sich und vergisst darüber das politische, emanzipatorische Handeln für die Menschen, das Posa für ihn vorsieht.
    Alexander Khuon Don Carlos in Jeans wirkt völlig versteift in seine verzweifelten Gefühle. Posa hat es schwer, den Freund überhaupt noch zu erreichen. Andreas Döhler, wie alle in heutiger Alltagskleidung, argumentiert mit viel Handbewegungen und Armgefuchtel. Doch er spricht, wenn er nicht, wie alle so oft, gerade an der Rampe vor dem Publikum agiert, fast mehr in sich hinein statt nach außen. Immerhin strahlt seine Figur Leben aus und verkörpert ein Wollen, so auch in seiner großen Szene bei Philipp:
    "Geben Sie diese unnatürliche Vergötterung auf, die uns vernichtet. Niemals - niemals besaß ein Sterblicher so viel, so göttlich, es zu gebrauchen. Gehen Sie der Zeit voran. Ein Federzug von dieser Hand, und neu erschaffen wird die Erde. Geben Sie Gedankenfreiheit."
    Ohne Posa liegt über den Szenen meist eine Atmosphäre der Unwirklichkeit und Leblosigkeit. Kein Furor durchweht die Texte, die "untersprochen" klingen und zuweilen auf unfreiwillig komische Weise etwas beschreiben, was die Figuren nun gerade nicht tun. Statt Spannung ein verkündendes Aufsagen, statt psychologischer Figurengestaltung Demonstrationstheater.
    Ullrich Matthes, als Philipp ein grauer König mit viel Bart und nackenlangem Haupthaar, führt seine Figur souverän nahe an die Leblosigkeit. Was Konsequenz des Regiekonzepts ist, macht seinen Philipp aber merkwürdig blass und, ja, uninteressant.
    "Ich heiße der reichste Mann in der getauften Welt; die Sonne geht in meinem Staat nicht unter - Doch alles das besaß ein andrer schon, wird nach mir mancher andre noch besitzen. Das ist mein eigen. Was der König hat, gehört dem Glück - Elisabeth dem Philipp. Hier ist die Stelle, wo ich sterblich bin."
    Katrin Wichmanns selbstbewusste Elisabeth erwidert beim Zusammentreffen mit Carlos dessen Küsse heftig und gönnt sich später mit Posa ein wildes Tänzchen durch die Szenerie. Die hat Katja Hass als eine Variation ihrer sich stets ähnelnden Bühnenbilder gestaltet. Ganz in Kunststoffweiß gehalten stehen viele Wände im offenen, unschönen und wenig überzeugenden Bühnenraum, der von der Drehbühne langsam bewegt wird.
    In den Kathleen Morgeneyers leidenschaftliche Prinzessin Eboli Leben bringt. Sie tritt mit Sekt und hoffnungsvollem Verzweiflungsgrinsen zu Carlos, zieht sich aus, geht dem Verwirrten buchstäblich an die Wäsche und umklammert Carlos, bis sie im Entsetzen über die Abweisung weinend erstarrt
    Wenn sich am Ende Barbara Schnitzler in der Rolle des Großinquisitors im eleganten, hellblauen Kostüm auf hohen Hacken neben Matthes' Philipp stellt und ihren Machtanspruch durchsetzt, dann bleibt die Szene nur ein Regieeinfall. Nichts von dem Erschrecken, keine Abgründigkeit, nur Abwicklung. Stefan Kimmigs sich (allzu) lang dahin ziehender "Don Carlos" sieht doch arg alt und müde aus.