Mittwoch, 15. Mai 2024

Archiv


"Don Chisciotte in Sierra Morena"

Bei den Innsbrucker Festwochen wurde die erste Barockoper vor 25 Jahren gezeigt, auch die Karnevalsoper "Don Chisciotte in Sierra Morena" vom Wiener Hofkomponisten Francesco Conti aus dem Jahr 1719 wurde vor 13 Jahren schon mal aufgeführt. Nun jährt sich in diesem Jahr das Erscheinen des Romans "Don Quixote" von Miguel de Cervantes zum 400. Mal. Grund genug das Werk zu wiederholen, in einer Neuinszenierung, mit demselben Hauptdarsteller.

Von Susanne Lettenbauer | 14.08.2005
    Eigentlich konnte man vorab vermuten, das Stephen Lawless seine Gigantomanie auch in Innsbruck ausleben würde, seine hohen Wände von Bühnenbildner Benoit Dugardyn aus dem Nürnberger Ring, das riesige Schiff aus seiner Siegfried-Inszenierung und die Farben, mit denen er schon des Öfteren Gefühle auf das Bühnenbild malte. In Innsbruck sind es nun Bücher. Riesige Bücherstapel, gut vier Meter hoch, eine beeindruckende Perspektive tut sich da auf, in der dem fahrenden Ritter Don Chischiotte der Anfangssatz in den Mund gelegt ist: "Hier sind wir verloren." Plötzlich ist man mittendrin in der erdrückenden Fülle von Romanen, Geschichten, Illusionen, Traumgespinsten. Fühlt sich wie Don Chischiotte ergriffen von der Last der Klassiker, die bedrohlich ins Rutschen kommen, je mehr der eingebildete Ritter an seiner Bestimmung zweifelt. Da schieben sich Grimms Hausmärchen verwegen nach vorne, ebenso Mérimées Carmen-Schmöker und müssen gewaltsam zurückgeschoben werden. Um den Blick auf Miguel des Cervantes Wälzer freizugeben. Auf dem aufgeschlagenen Buch verkündet Don Chischiotte seine Heldentaten ehe er herunterklettert und ihm die Phantasiegestalten eines Dante, Karl May, Nabokov, Alexandre Dumas oder Prosper Mérimée gegenüberstehen. Die drei Musketiere, ein Indianer, das Rotkäppchen, Lolita. In dieser verwirrenden Welt wirkt die Marotte des Don Chischiotte wie das einzige verlässliche Kontinuum. Das hat nichts Lustiges, Amüsantes, erinnert eher an die klassische Rolle des Hofnarren, dem die Wahrheit zu sagen zugebilligt wird.

    In Stephen Lawless Innsbrucker Inszenierung dominiert weniger das Komische, Slapstickhafte eines verrückten spanischen Möchtegernritters, als vielmehr das Nachdenkliche: Wer ist dieser fahrende Ritter eigentlich? Warum sieht er mehr als alle anderen neben ihm? Warum gibt er sich nicht zufrieden mit den Realitäten seiner Welt in La Mancha? Warum interessieren ihn Lumpen und Dreck nicht bei seiner Angebeteten Dulcinea, nur das Faszinierende einer einfachen Bäuerin? Für Lawless ist Cervantes Romanfigur kein Tölpel oder armseliger Spinner. Er hat etwas, was der Knappe seines Freundes Lope nur mit einem hoch dosierten Schuss erreicht. Die Vorstellung einer Welt voller Romangestalten: Lope und Ordogno verwandeln sich in Sherlock Holmes und Dr. Watson, Lucinda ist Alice aus dem Wunderland, Dorotea eine Märchenfee, Maritorne die Carmen und Cardenio mutiert zum Westernscout. Die konsequente Weiterentwicklung dieser Inszenierungsidee beeindruckt denn auch bis fast zum Schluss. Doch bis dahin schickt Opernschöpfer Conti das Publikum noch durch eine Parallelhandlung, die die Hauptfigur mit Bartschüssel gefährlich nah an den Rand drängt: Dort entscheidet sich Regisseur Lawless für das Lächerliche, für urkomische Dialoge. Wie anders geht es denn auch zu, wenn sich zwei befreundete Paare gegenseitig die Frauen ausspannen? Leonardo und Lucinda, Cardenio und Dorotea. Hier schwingt sich Contis Musik auf zu schmachtenden Melodien, nicht immer vollkommen durchsichtig von René Jacobs dirigiert. Hier bekommt das Publikum psychologisch fein gezeichnete Porträts. Auch wenn die vier durchweg in Innsbruck debütierenden Sänger den hohen Ansprüchen einer Premiere teilweise nicht genügen konnten.. Doch darum geht es René Jacobs nicht. Er holte sich schon immer viel versprechende Nachwuchssänger. Bernharda Fink, Vivica Genaux, Dorothea Röschmann begannen hier, ob die Lettin Inga Kalna, die Schwedin Maria Streijffert oder die Koreanerin Sunhae Im in ihre Fußstapfen treten werden, bleibt abzuwarten. Nicolas Rivenq als Festwochen-Chischiotte, erheitert vor allem durch sein theatralisches Talent, begleitet von Kastagnettenklänge, Waldhörner und eine Windmaschine der Akademie für Alte Musik Berlin.
    Auch wenn René Jacobs die ursprünglich fünfstündige Oper auf vier heruntergekürzt hat, merkt man der Karnevalsoper von Francesco Conti seinen Unterhaltungszweck an. In seiner Zeit als Hofkomponist beim Kaiser in Wien schuf Conti 14 solcher Karnevalsoper, zusammen mit Pietro Pariati, einem für seine witzigen Reime bekannten Librettisten Anfang des 18. Jahrhunderts. Zwischen die fünf Akte wurden üblicherweise musikalische Einlagen gestreut: Intermezzi, Tänze - in Innsbruck entschied sich René Jacobs für nur ein Ballett - im Flamencostil.

    Am Ende überrascht Stephen Lawless jedoch durch eine zu banale Schlussdeutung seiner Inszenierung. Wo man einstürzende Bücherstapel vermutet hätte, vielleicht auch übereifrige Linguisten als böse Magier, entzaubert Lawless die sympathischen Phantasiegestalten zwischen den Buchdeckeln als Krankenhauspersonal. Die zerfledderten Seiten entschweben in den Bühnenhimmel, zurück bleibt ein kahler weißer Raum, mittendrin der hilflose Don Chischiotte in Morgenmantel und Pyjama. Das Personal singt dazu im Chor "Don Chischiotte ist kein Einzelfall". Also doch nur ein Spinner, ein Verrückter mehr im Hospital ? Die Metaphernebene hatte der Oper gut getan, man hätte sie konsequent weiterentwickeln sollen. So wie die Ideenwelt des Illusionisten Don Chischiotte in Sierra Morena.