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Don Giovanni im Nachkriegsspanien

Eine spanische Starbesetzung eröffnete die Spielzeit im Madrider Teatro Real mit Mozarts "Don Giovanni". Die Inszenierung spielt zur Zeit Francos in den 40er Jahren. Don Giovanni ist auch in dieser Aufführung kein Widerstandskämpfer, aber er verspottet die Moralvorstellungen seiner Zeit und legt die Widersprüche seiner Gesellschaft offen.

Von Hans-Günter Kellner |
    Eines der großen Missverständnisse in der Theatergeschichte ist wohl, der Mythos des Don Juan erzähle nur von verführten Frauen und einem besonders attraktiven Mann, der am Ende seiner gerechten Strafe zugeführt wird - oder der, je nach Autor, sein Treiben bereut und die christliche Vergebung erlebt. Doch schon Tirso de Molinas "Burlador de Sevilla" erlaubt weitaus komplexere Lesarten des Mythos. Und so ist für Opern-Regisseur Luis Pasqual auch "Don Giovanni" mehr als Mozarts schönste Oper.

    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mozart diese schöne Oper nur geschrieben hat, um uns mitzuteilen, dass die Guten in den Himmel und die Bösen in die Hölle kommen. In Don Giovanni steckt eine starke Kritik an Politik, Moral und Religion. Aber mit der Zeit wurde nur noch die Schönheit der Komposition gesehen, die Kritik ging vergessen."

    Lluis Pasqual betont zwar, kein Anhänger spektakulärer Regieeingriffe zu sein, die Kunst der Opernregie sei, aus Libretto und Musik eine Einheit zu formen. Seine Regie ist dennoch nicht zurückhaltend. So tötet Don Giovanni den Komtur in der Eröffnungsszene im Scheinwerferlicht zweier alter Limousinen vor im spanischen Bürgerkrieg zerbombten Häusern.

    "Ich habe die Handlung in unsere 40 Jahre gelegt, weil diese Zeit uns noch heute bewegt. Aber gleichzeitig sind die 40er Jahre längst Geschichte. Das sind Bilder in schwarz-weiß. Das sind nicht mehr wir, aber es bewegt uns noch. Das war der Grund dafür, in die 40er Jahre zu gehen."

    Das Franco-Regime ist in der Madrider Aufführung weit mehr als nur ein Bühnenbild. In einer von der Restauration längst überholter Moralvorstellung geprägten Zeit lädt Don Giovanni zu seinem Fest ein und singt, "hoch lebe die Freiheit". Die von ihm betrogenen Donna Anna und Donna Zerlinda sind fast während der gesamten Aufführung in Schwarz gekleidet. Sie sind Betschwestern, Don Ottavio ist ein Offizier des Regimes - Fromme Repräsentanten der katholischen Moral.

    Zum Ende des ersten Aktes gleichen sie gar einem national-katholischen Tribunal. Sie stehen auf einem Tisch, der mit den spanischen Nationalfarben geschmückt ist, und drohen Don Giovanni mit der göttlichen Bestrafung.

    Lluis Pasqual macht aus Don Giovanni nicht mehr, als Mozarts Oper tatsächlich hergibt. Don Giovanni ist auch in der Madrider Aufführung kein Widerstandskämpfer, aber er verspottet die Moralvorstellungen seiner Zeit, und legt die Widersprüche seiner Gesellschaft offen.

    Am Ende erscheint der Komtur auf einem Pferd, und sieht darauf in jedem Detail einem Reiterstandbild Francos zum Verwechseln ähnlich, das erst in diesem Jahr in Madrid entfernt worden ist. Auf diesem Pferd nimmt er Don Giovanni mit sich. Während der Schlusschor noch singt "also stirbt, wer Böses tat", laufen im Hintergrund alte Filmaufnahmen aus der Franco-Zeit.

    "Ganz zum Schluss der Oper gibt es ein musikalisches Lächeln des Orchesters. Die Oper hört als Komödie auf. Irgendetwas teilt uns Mozart hier mit."

    In der Madrider Aufführung taucht hier noch einmal Don Giovanni, der ja eigentlich in der Hölle schmoren müsste, auf. Er hält eine Filmklappe in der Hand, schlägt sie laut zu, und blickt lachend in's Publikum. Erst dann fällt der Vorhang.

    Es ist bezeichnend für das heutige Spanien, dass sich das Madrider Premierenpublikum von einer solchen Verhöhnung des Franco-Regimes und seiner Moral getroffen sah, und mit einem Sturm der Entrüstung reagierte, der auch die brillante Starbesetzung und die unauffällige musikalische Leitung von Víctor Pablo Pérez nicht verschonte. Fast möchte man meinen, auch dieser wütende Protest gehöre zur Regie von Lluis Pasqual. Seine Inszenierung eines Don Giovanni in den 40er Jahren des Franco-Spaniens ist somit hochaktuell geworden.