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Don Luigi gegen die Mafia

Eine Stadt voller Gegensätze: grelle Sonne und dunkle enge Gassen.. Glückliche Pizzabäcker, bittere Armut. Seelenvolle Lieder und verbrecherische Machenschaften. Dolce far niente und malavita. Mythos und Wirklichkeit verschwimmen nicht in der drittgrößten Stadt Italiens, sondern stehen nebeneinander in permanentem Wechselspiel. Erst 10 Jahre ist es her, dass Neapel nach der Sanierung der Innenstadt wieder zu einem touristenfreundlichen Pflaster wurde - da macht die Camorra, die neapolitanische Mafia, blutige Schlagzeilen: fast 150 Menschen wurden allein im Jahr 2004 ermordet, die meisten von ihnen auf offener Straße erschossen. Zeugen gab es trotzdem so gut wie nie. In die Bandenkriege mischt sich die neapolitanische Öffentlichkeit lieber nicht ein. Genausowenig wie die Polizei.

Von Karl Hoffmann |
    Das Altstadtviertel Forcella, hinter dem Hauptbahnhof, ist noch nicht renoviert worden: dunkle Gassen und verkommene Fassaden erinnern an das alte Neapel - und die Müllberge auf den Straßen, sagt man, sind ein Zeichen für das Lauern der Camorra-Clans. Denn die städtische Müllabfuhr wird zum großen Teil von der Camorra organisiert - genau wie die Immobilienwirtschaft und der Straßenbau in Neapel. Die dicksten Gewinne wirft allerdings der Drogenhandel ab. Den Kampf gegen die Bosse der Unterwelt aufzunehmen, wagen nur wenige.

    Wie ein katholischer Priester sieht er nicht gerade aus: groß, hellhäutig, blonde kurz geschnittene Haare. Ein Gesicht wie ein Halbwüchsiger, ein starker neapolitanischer Akzent. Doch Don Luigi ist Hausherr in S. Giorgio Maggiore, einer der größten Barockkirchen Neapels mitten im Herzen der Stadt. Wenn er predigt, dann sieht das aus, als wäre ein Seminarist am Werk, wenn man ihn reden hört, dann klingt das, als sei ein Gassenjunge mal schnell über die Bibel gekrochen. Aber wenn man seine "Schatten" bemerkt, dann ist das Ganze überhaupt nicht mehr komisch. Don Luigi hat drei Leibwächter, die ihn überall hin begleiten, nur nicht auf die Toilette und ins Schlafzimmer. Sie stehen am Fuße der Kanzel und am Ausgang der Sakristei, sie fahren sein Auto und eskortieren ihn bis zu seinen Gemeindemitgliedern. Don Luigi hat sich gegen die Camorra gestellt und seither trachten die Killer des organisierten Verbrechens nach seinem Leben. Man hat es ihm unverblümt mitgeteilt. Mitten in der Kirche.

    Seit vier Jahren bin ich hier in Forcella, genau genommen seit dem 1.Oktober 2000. Und seither habe ich mich dem Kampf gegen die Drogen gewidmet. Ich habe dafür gesorgt, daß 25 Drogenhändler ins Gefängnis gewandert sind. Ich habe versteckte Kameras installieren lassen und habe mit der Polizei zusammengearbeitet, so dass sie erfolgreich eine Razzia machen konnte. Und das ist der Grund, warum die Polizei mich heute beschützt. Mein Drama ist, dass das eigentlich alles geheim bleiben sollte. Aber dann hat doch wieder irgendwer geplaudert und so kam meine Beteiligung ans Tageslicht. Und in einem Stadtviertel wie diesem hier, wo es jede Menge Kriminelle gibt, da genügt es, wenn einer was sagt und schon wissen es alle. Um die Camorra auszurotten, müsste man viel mehr im Verborgenen arbeiten.

    Es geschah, was unbedingt hätte vermieden werden müssen. Don Luigi wurde verpfiffen. Von wem, weiß er nicht. Aber sein Leben hat sich seither radikal verändert.

    Es kamen Drohungen. Hör auf damit. Am Anfang erschien mir alles noch ein schlechter Scherz zu sein. Doch das letzte Mal war es heftig. Ein Mann kam hier in die Sakristei und er sagte zu mir: mach weiter den Priester, aber gefälligst in der Kirche, nicht außerhalb. Sonst werden wir über dich unser Urteil sprechen. Und als ich fragte: was soll das heißen? Da hat er mit der Hand das Kreuz geschlagen.

    Mit Don Luigi zu plaudern, ist alles andere als einfach. Er hat wenig Zeit. Die Eskorte ist immer am Drängen, das Handy klingelt ständig und der junge Geistliche hat jede Menge Termine, seit er ganz vorne steht im Kampf gegen die Mafia.

    Macht doch mal die Türe zu ….. ciao Andrea ich habe 15 Minuten Verspätung, also lass dir Zeit…

    Die Kirche ist seine Heimat. Mit 13 ging er ins Seminar zu Missionaren, um sein Leben in den Dienst der Armen zu stellen. Mit 23, sagt er stolz, war er schon geweihter Priester. Jetzt ist er 31 und wirkt wie ein jugendlicher Held, der gegen das Böse kämpft. Jeden Morgen sitzt er in seinem Büro, eine Art Korridor, offenbar ein früherer Seiteneingang der Kirche. Er bespricht sich mit seinen freiwilligen Gemeindehelfern, organisiert eine Tagesstätte für 80 Kinder aus dem Camorraviertel, denn, so sagt er, die Kinder sind unsere Zukunft. Dann hetzt er zu Vorträgen, zu Besprechungen mit dem Bürgermeister und Polizeipräfekten. Er ist jung und voller Idealismus.

    Ich wünsche mir, dass dieses Viertel Vorbildcharakter für andere hat, für die Vorstädte, in denen die Camorra herrscht, Scampia oder Secondigliano. Ich hoffe, dass man da das gleiche schafft wie hier. Denn dort spielt sich ein wahres Drama ab. Seit Jahren sind dieses Viertel völlig in der Hand der Camorra. Dort haben die Bosse Straßensperren errichten, Mauern hochziehen und sogar Überwachungskameras anbringen lassen. Wie konnten die Ordnungshüter das nur jahrelang tolerieren?

    Auch in seiner eigenen Pfarrei Forcella etwas nördlich vom Hauptbahnhof, hat sich jahrelang niemand um die öffentliche Ordnung gekümmert. Dank Don Luigi werden jetzt zum ersten Mal Gehsteige angelegt. Die Straßenbeleuchtung wurde endlich repariert und hat die nächtlichen Drogendealer verscheucht.

    Ich habe noch zwei Minuten Zeit - Anordnungen…

    Die alte Ordnung der Camorra ist zusammengebrochen, sagt Don Luigi, jetzt sind viele "cani sciolti" unterwegs, streunende Hunde, krimineller Nachwuchs, den niemand in den Griff bekommt. Daher die Morde und das Blutvergießen in Neapel. Und die Angst des jungen Priesters.

    Ich habe Angst, vor allem nachts im Bett. Da überlege ich mir, ob ich mich in meiner Begeisterung nicht zu weit vorgewagt habe. Und ich frage, ob mein Enthusiasmus das durchsteht. Oder ob das alles ein schlimmes Ende nimmt und die Unterstützung von oben plötzlich aufhört. In Neapel sind schon viele Unschuldige gestorben, nach denen heute kein Hahn mehr kräht.

    Die Eskorte wartet, sie beschließt, durch welchen Ausgang Don Luigi die Kirche verlassen soll. Ist er leicht zu bewachen? Nun, meint einer der Polizisten in Zivil, das hängt davon ab, ob er sich seinen Bewachern anpasst. Und? Passt sich Don Luigi an? Na ja, wir bringen ihn schon dazu. Und dann eilen sie im Laufschritt zu den Autos auf der belebten Via Duomo.