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Doping fürs Gedächtnis

Neurologie. - Erinnerungslücken sind weit verbreitet. Manchem wären daher Gedächtnispillen lieb. Bisherige Ansätze zielten darauf, das Abspeichern von Informationen zu verbessern. In der Zeitschrift Science berichten Forscher, dass sie bei Ratten fast vergessene Informationen wiederbeleben konnten.

Von Volkart Wildermuth | 04.03.2011
    Der Stoff, der alte Erinnerungen wachküssen kann, nennt sich PKM zeta. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein Enzym, das Todd Sacktor vom Downstate Medical Center in New York schon vor 20 Jahren entdeckt hat.

    "Diese Enzym hat Eigenschaften, die darauf hindeuteten, dass es für den Gedächtnisspeicher im Gehirn wichtig ist, dass es Erinnerungen stabil hält. "

    PKM zeta reguliert die Funktion der Synapsen, der Verbindungen zwischen Nervenzellen. Es gibt eine Menge verwandter Regulatoren, doch nur PKM zeta ist über lange Zeit stabil, arbeitet tagein, tagaus ohne Unterlass. Dass es dabei tatsächlich das Langzeitgedächtnis festigt, konnte Todd Sacktor in Experimenten mit Ratten zeigen. Die Nager durften eine süße Lösung trinken, erhielten aber gleich darauf einen Wirkstoff, der heftige Übelkeit verursacht. Eine solche Erfahrung merken sich Ratten normalerweise über Monate. Als Todd Sacktor aber das Enzym PKM zeta im Gehirn hemmte, konnte er diese eigentlich stabile Erinnerung komplett löschen. Die Ratten tranken ohne jede Furcht von der Saccharinlösung. Diese Entdeckung zählte die Zeitschrift "Science " 2006 zu den zehn Durchbrüchen des Jahres. Im nächsten Schritt wollte Todd Sacktor die Erinnerungen nicht beeinträchtigen, sondern stärken. Dazu musste er die PKM zeta Aktivität im Gehirn der Ratten erhöhen.

    "Wir haben ein Virus konstruiert, das Nervenzellen infiziert, ohne sie zu schädigen. In den Zellen produziert das Virus dann zusätzliche PKM zeta. "

    Unterm Strich befindet sich in den Synapsen deutlich mehr PKM zeta. Dort stabilisiert das Enzym tatsächlich Erinnerungen. Das konnte Todd Sacktor mit dem Gedächtnistest für Ratten zeigen. Wieder bekamen die Tiere eine süße Saccharinlösung, die diesmal aber nur mit einer ganz niedrigen Dosis des Übelkeit auslösenden Wirkstoffs kombiniert wurde. Das leichte Unwohlsein hinterlässt kaum einen Eindruck, die meisten Ratten haben es nach zwei Wochen fast vergessen. Sacktor:

    "Wir haben die Ratten also trainiert und ihnen eine Woche später das Virus in eine Hirnregion gespritzt, die für Geschmack zuständig ist. Noch einmal eine Woche später hatte sich dort zusätzliches PKM zeta gebildet und wir haben den Ratten Saccharinlösung vorgesetzt. Die behandelten Tiere reagierten viel, viel stärker, sie konnten das Saccharin wirklich nicht leiden. Das Enzym kann also fast vergessene Erinnerungen wiederbeleben. Das ist noch nie zuvor gelungen. "

    Andere Leistungen des Gehirns blieben im Übrigen unverändert. PKM zeta stärkt ganz spezifisch die Gedächtnisspuren, das steht jetzt fest. Todd Sacktor arbeitet nur mit Ratten, als Pharmakologe hofft er aber, dass seine Experimente auf lange Sicht auch Menschen mit Gedächtnisproblemen helfen werden.

    "Niemand denkt daran, Menschen ein Virus ins Gehirn zu spritzen. Aber vielleicht lässt sich die Produktion von PKM zeta im Gehirn mit Medikamenten dauerhaft anregen. Das wäre nichts für Menschen mit gutem Gedächtnis, schließlich ist auch das Vergessen sehr, sehr wichtig. Aber Patienten mit einer Demenz, deren Erinnerungen zerfallen, könnte so ein Medikament helfen ihr Gedächtnis zu stärken damit sie weiter ihr Leben führen können. "

    Das aber ist Zukunftsmusik, es ist noch nicht einmal klar, welche Wirkstoffklasse die Bildung von PKM zeta fördern könnte. Nichts desto trotz, Todd Sacktor ist froh, einen Ansatzpunkt für ein Doping fürs Gedächtnis gefunden zu haben.

    "Niemand hat erwartet, dass sich so Erinnerungen stärken lassen. Das war wirklich eine Überraschung. "