Samstag, 20. April 2024

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Doping-Skandale und Olympia
"Nicht den ganzen Sport nach unten ziehen"

Angesichts des Ausschlusses von Sportlern bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang betont der frühere Biathlon-Olympiasieger Sven Fischer die Bedeutung von Anti-Doping-Recherchen. "Die wenigen, die halt immer noch glauben, betrügen zu können, die müssen erwischt werden", sagte Fischer im Dlf. Aber er glaube auch, dass in Einzelfällen Unschuldige betroffen seien.

Sven Fischer im Gespräch mit Sarah Zerback | 09.02.2018
    Das Foto zeigt den ehemaligen Biathleten und Fernsehkommentator Sven Fischer.
    Der ehemalige Biathlet und Fernsehkommentator Sven Fischer: "Ich bin sowieso immer gegen Boykott." (picture-alliance / dpa / Matthias Balk)
    Sarah Zerback: Und wir hören es immer wieder, Doping also bis kurz vor dem Start noch. Juristische Entscheidungen und die Debatte darüber, ob die Spiele zu groß, zu teuer sind. Das sind sicher keine einfachen Startbedingungen für die Athleten, für das deutsche Team auch. Schließlich sind die ja dort, um in den nächsten zwei Wochen sportliche Höchstleistungen zu zeigen.
    Darüber können wir in den nächsten Minuten sprechen mit Sven Fischer, ehemaliger Biathlet, und zwar nicht irgendeiner, sondern einer der erfolgreichsten, unter anderem vierfacher Olympiasieger ist er, siebenfacher Weltmeister auch. Und ihn erreichen wir in Südkorea, in Pyeongchang. Dort ist es als Mitglied des ZDF-Olympiateams als Experte. Hallo, Herr Fischer!
    Sven Fischer: Hallo!
    Zerback: Wie ist das denn für Sie persönlich, jetzt mal wieder Olympialuft zu schnuppern? Kommen da Erinnerungen hoch an Ihre eigenen Erfolge bei Olympia damals?
    Fischer: Ja, und nicht nur an die Erfolge, sondern auch einfach an die Zeit. Und ich durfte ja bei vier Olympischen Spielen dabei sein, von 1994 an, und das ist halt immer wieder schön, wenn man in diese Familie kommt, nicht nur einfach im Biathlon jetzt, sondern dass man mit anderen Sportarten zusammen ist. Und dadurch, dass viele ehemalige Aktive auch in weiterer Arbeit sind, ob das jetzt Physiotherapeuten, Mediziner, Trainer, auch Techniker sind, da trifft man halt viele wieder, und das ist halt schön. Unter den Reporterkollegen sind auch viele Ehemalige, mit denen ich ja dann auch eng zusammenarbeite.
    Zerback: Also Sie sind mittendrin. Wie erleben Sie denn da die Stimmung unter den Biathletinnen und -athleten?
    Fischer: Die Stimmung ist auf alle Fälle jetzt erst mal so, dass schon dieses spannende Gefühl da ist. Jeder ist noch in so einer Situation, okay, ich weiß nicht, wo ich jetzt genau stehe, es geht wieder von Null los, und mal gucken, wie ich jetzt die Tage überstanden habe. Und diese Anspannung vor dem ersten Wettkampf, die ist richtig zu spüren, und das wird sich aber im Lauf der olympischen Tage dann auch sicherlich legen, dass der eine oder anderer wieder etwas ruhiger, normal, lockerer wird. Aber das gehört dazu, und so muss das auch sein.
    Zerback: Ja, da sprechen Sie natürlich aus eigener Erfahrung. Jetzt ist es ja so, in keiner Disziplin sind die deutschen Goldhoffnungen so groß wie ausgerechnet beim Biathlon. Der sportliche Leiter des Teams hat da sogar schon konkrete Vorgaben gemacht. Fünf sollen es werden. Ist das in Ihren Augen realistisch?
    "Ich bin dagegen, jetzt zu sagen, so und so viele Medaillen müssen geholt werden"
    Fischer: Im Sport ist vieles möglich. Viel ist möglich, dass man einen Durchmarsch hat. Wir hatten auch aus deutscher Sicht sehr erfolgreiche Olympische Spiele in der Vergangenheit gehabt, und dann gibt es aber auch mal Situationen, wo man sagt, als Favorit kommst du da nicht ins Stadion, ins Rennen, und es reicht nicht. Es ist halt im Sport vieles möglich. Ich bin dagegen, jetzt zu sagen, so und so viele Medaillen müssen geholt werden. Ich bin der Meinung, dass im Vorfeld, im Training im Sommer diese Prognose sein muss, damit man motiviert ist und auch die einen oder anderen harten Trainingsprogramme fahren kann und auch die Athleten motiviert. Aber jetzt, direkt vor den Spielen, erhöht man sogar noch den Druck und auch die Anspannung, und das ist kontraproduktiv. Und deshalb sag ich, die, die jetzt ordentlich trainiert haben, müssen das abrufen, was sie leisten können und dann gucken, was die Konkurrenz noch macht. Also insofern, Medaillenhoffnung ist natürlich da, aber die Anzahl der Medaillen, das möchte ich hier nicht prognostizieren.
    Zerback: Beim letzten Mal in Sotschi waren es ja zwei Silbermedaillen, da war die Enttäuschung relativ groß. Und in diesem Jahr eben, die Hoffnungen liegen da ja vor allem bei den Frauen auf Laura Dahlheimer, die gilt da als Top-Favoritin. Und bei den Herren? Wer ist das, auf wen würden Sie da setzen?
    Fischer: Die Laura Dahlmeier ist natürlich eine Favoritin, aber auch aus der Mannschaft heraus, Denise Hermann hat ja schon gewinnen können. Also auch da liegt natürlich die Hoffnung. Und bei den Herren, wenn man bedenkt, dass alle vier WM-Gewinner, -Weltmeister ja auch schon Einzelweltmeister geworden sind, das zeigt auch, dass in der Männermannschaft genug Potenzial drin steckt, dass auch da olympische Medaillen purzeln können. Und da denke ich, dass angefangen über Simon Schempp, Arnd Peiffer, Benedikt Doll und Erik Lesser das auch draufhaben können, wenn der Tag passt. Klar, die großen Favoriten sind Martin Fourcade und Johannes Thingnes Bø, aber die müssten es auch erst mal zeigen. Wenn die sich selbst ein Bein stellen und nicht ihre Tagesform abrufen können, dann ist die Tür auf, und dann müssen die anderen Aktiven hellwach sein und dann die Chance nutzen.
    Zerback: Das ist also die sportliche Seite von Olympia. Aber im Vorfeld vor allem wurde die ja überlagert von Skandalen vor allem eben rund um Doping. Wie gehen denn die Sportler vor Ort jetzt damit um?
    Fischer: Unterschiedlich. Natürlich belastet das sowohl den, der selbst aktiv involviert ist in das ganze Doping, dem darf das ruhig schlimm an die Nieren gehen. Und der andere, der Unschuldige, an dem geht das auch nicht spurlos vorüber. Meine Devise war immer, und da richte ich immer den Gruß auch an alle Athleten, einfach zu sagen, okay, sich auf sich selbst zu konzentrieren und zu sagen, ich will sauber bleiben, ich bleib sauber, und damit kümmere ich mich gar nicht um diese ganze Problematik und lege damit auch ich viele Dinge auch in die Hände der Verantwortlichen und in Hoffnung, dass alles bestens funktioniert.
    Und wenn man die Dopingproblematik auch von journalistischer Seite, auch von meiner Seite sieht, dann muss man sagen, es ist gut, dass weiter recherchiert wird, dass Leute festgestellt werden, die gedopt haben, dass man in dem Kampf schneller ist. Und wenn man es so salopp sagt, man ist vielleicht immer einen Schritt hinterher, dann ist das aber ein kurzer Schritt, und man ist den Dopingsündern auf den Hacken. Und das ist eigentlich gut so, und deshalb darf man nicht traurig sein um diese Dopingproblematik, sondern muss eigentlich froh sein, dass viele erfolgreiche Dinge jetzt ans Tageslicht gebracht wurden, und dass man für den sauberen Sport weiter in Zukunft ist. Und ich denke mal, auf einem guten Weg sind wir, und man darf jetzt nicht, nur weil die eine oder andere Diskussion jetzt aufbricht, den ganzen Sport nach unten ziehen, sondern das gehört mit dazu, dass man Regeln einhält. Und die, die die Regeln nicht einhalten, die werden oder müssen bestraft werden.
    Zerback: Um die Frage dreht es sich ja vor allem, ob russische Athleten teilnehmen dürfen oder nicht, darum wurde ja bis zuletzt juristisch gerungen. Die standen da also sehr im Fokus. Wir wissen jetzt kurz vor dem Start der Spiele, 169 Sportler aus Russland haben grünes Licht bekommen, und seit heute Morgen ist klar, insgesamt 60 Athleten und Betreuer dürfen das nicht. Das ist eben eine neue Entscheidung des CAS. Ist das fair in Ihren Augen?
    Fischer: Es ist aus Sicht eines Sportlers, eines ehemaligen Sportlers immer schwierig, okay, großpolitisch gesehen wäre das jetzt das Richtige oder die richtige Entscheidung. Man ist natürlich immer so ein bisschen auch auf der Seite der Athleten oder derjenigen, die als Athlet sauber waren und auch sauber sind und sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Und wenn die dann nicht starten, ist das blöd. Ich bin sowieso immer gegen Boykott. Die Frage ist sowieso, ob man damit das richtige Mittel zieht. Fakt ist, ich bin gegen das Doping, und ich bin gegen diese Machenschaften, und da muss man natürlich verschiedene Rechtsmittel ziehen. Und wenn das jetzt das einzige Mittel ist, dass man so viele dann aussperrt, wenn es dem sauberen Sport dient, dann muss der eine oder andere saubere Athlet, der nicht am Start ist, zähneknirschend … und sagen, okay, ja, das ist halt schwierig, aber man muss ja auch eine Lösung finden für die Zukunft. Und da ist es eine schwere Entscheidung, und es gibt Einzelschicksale, garantiert, wo Sportler sagen, ich habe hier nichts falsch gemacht und bin leider nicht dabei. Und für die Sportler tut es mir leid.
    "Negativ überrascht, dass der eine oder andere dann halt dopt"
    Zerback: Jetzt sprechen Sie von sauberen Spielen. Ist in Ihren Augen denn jetzt tatsächlich alles klar für saubere Spiele? Werden das welche? Ist das überhaupt möglich?
    Fischer: Ich rede über meinen Biathlonsport und rede immer über den Sport, den ich selber ausgeübt habe. Bei den anderen habe ich nicht so den Einblick, und da möchte ich jetzt hier weder eine Lanze brechen noch jemanden anfeinden. Aber im Biathlonsport wissen wir aus der Vergangenheit, das ist klar belegt, dass es Dopingsünder gab, und ich bin auch nicht so naiv zu sagen, das wird es in Zukunft nie geben. Ich hoffe, dass die meisten Athleten oder fast alle Athleten sich daran halten und fair sind und fair bleiben. Und die wenigen, die halt immer noch glauben, betrügen zu können, die müssen erwischt werden, und deshalb ist es wichtig, dass Aufklärung ist, auch jetzt der Journalismus, dass der ordentlich darüber spricht und auch hier und da auch den Finger in die Wunde legt und dann nicht jetzt sagt, okay, wir kehren das irgendwo unter den Teppich, sondern wir müssen offen damit umgehen. Aber mein Gefühl ist, wenn ich mit vielen Athleten so rede und wie sie reagieren – ich hab ein gutes Gefühl, und ich bin jetzt nicht immer bei allen Athletinnen und Athleten dabei, aber ich habe ein gutes Gefühl und bin auch immer wieder wie auch ein Fan überrascht und auch negativ überrascht, dass der eine oder andere dann halt dopt. Also von der Seite her finde ich das nicht in Ordnung. Aber ein gutes Gefühl habe ich für die Spiele, und das ist natürlich mit dabei, aber dennoch überwiegt bei mir die Freude und die Hoffnung.
    Zerback: Darf ich Sie da ganz kurz mal unterbrechen, Herr Fischer. Also trotzdem, mit all diesen Hypotheken, das hat Ihnen den Spaß an Olympia nicht verleidet?
    Fischer: Nein, überhaupt nicht. Wenn man das Ganze mal geschichtlich betrachtet und wirklich alles mal anguckt und analysiert, ist es ja in der Vergangenheit immer mal wieder vorgekommen. Und deshalb hat man ja trotzdem den Spaß an dem Sport. Und viele, viele Athleten waren durch viele Kontrollen gegangen, und denen ist nichts nachzuweisen, also bin ich der Meinung, okay, dann waren sie halt mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit alle sauber. Und genau das müssen wir selber, und deshalb hab ich ein gutes Gefühl für den Sport und freue mich immer noch und freue mich daran. Wenn das jetzt nicht so wäre, dass sozusagen die meisten oder fast alle sauber wären, dann würde mir das hier nicht Spaß machen, dann würde ich auch gar nicht hier arbeiten wollen und würde sagen, macht doch euer Zeug allein. Aber so hab ich noch die Hoffnung und Spaß, und ich freue mich auf die Spiele.
    Zerback: Das sagt Sven Fischer, ehemaliger Biathlet und vor Ort in Pyeongchang als Experte im ZDF-Olympiateam. Ihn haben wir dort vor etwa einer Stunde erreicht aus Termingründen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.