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Dopingsumpf Türkei

Der türkische Leichtathletikverband fährt mit einem der kleinsten Teams der vergangenen Jahre zur Leichtathletik-WM nach Moskau. Ein Grund dafür: Fast alle Topstars sind wegen Dopings gesperrt oder stehen unter Verdacht.

Von Hendrik Maaßen | 10.08.2013
    "Und sehr gut ist sie raus gekommen, vorne ist auf jeden Fall jetzt Carolin Nytra, kann sie das durchhalten? Die Türkin auf Bahn drei läuft genauso gut. Jetzt fällt sie ein bisschen zurück, Carolin Nytra. Kann sie auf den letzten Metern noch kommen? Ja das kann sie, ja das schafft sie, jetzt wirft sie sich nach vorn, aber es reicht nicht. Die Türkin gewinnt! Die Türkin gewinnt! In unglaublichen 12,63 Sekunden! Carolyn Nytra holt eine Medaille, aber welche es ist, wahrscheinlich ist es doch nur die Bronze-Medaille… 12,63 - das ist eine Explosion in der Leistungsentwicklung von Nevin Yanit, ich hatte es erwähnt, das ist die gefährliche, die Türkin auf Bahn drei und sie hat es tatsächlich geschafft."

    Es sind Leistungssprünge wie dieser bei der Leichtathletik-EM in Barcelona, die auffallen. Ob Carolyn Nytra 2010 um einen fairen Wettkampf gebracht worden ist, kann man heute nicht genau sagen. Nur, dass Nevin Yanit später gleich bei mehreren Kontrollen positiv getestet wurde. Spektakulär sind die Dopingfälle um die 1500-Meter-Olympiasiegerin Asli Cakir Alptekin und ihren Teamkollegen Esref Apak, Olympiazweiter von Athen im Hammerwurf. Beide sind zum zweiten Mal in ihrer Karriere positiv getestet worden. Insgesamt sind es mehr als 30 türkische Athleten, die allein im vergangenen Jahr mit positiven Dopingtests auffielen.
    Erst vor wenigen Tagen sperrte der türkische Verband 31 Sportler für zwei Jahre und ihr Präsident, Mehmet Terzi, trat zurück. Schadensbegrenzung - weniger als einen Monat vor der Olympiavergabe 2020. Der Lauftrainer der österreichischen Leichtathleten und langjährige Anti-Doping-Kämpfer Wilhelm Lilge beobachtet das türkische Lager kritisch. Er meint, eine Aberkennung von Alptekins Überraschungssiegs wäre nicht ausreichend:

    "Wenn jetzt konsequenterweise ihr die Goldmedaille abgenommen wird und der dort Zweitplatzierten überreicht wird, dann ist das ihre Mannschaftskollegin Bulut. Und das ist genau die, die viel größere Leistungssteigerungen gezeigt hat und die absolut unglaubwürdig ist für alle Insider in der Szene."

    Bulut steigerte sich innerhalb eines Jahres über die 1500 Meter um 17 Sekunden. Für Lilge ist es fast noch der größere Skandal, dass sie weiterlaufen darf. Die Indizien hätten auch den Verbänden und Dopingfahndern auffallen müssen, meint der Lauftrainer.

    "Dazu kommen noch auffällige körperliche Veränderungen, wie wir sie vom klassischen Anabolika-Missbrauch kennen und andere Dinge. Es gibt ganz einfach Fakten wie ein sehr instabiles Leistungsverhalten, eine längere Wettkampfabstinenz, also mehrere Monate keinen Wettkampf, dann der Hauptwettkampf und auf einmal eine sensationelle Leistung."

    Gamze Bulut setzt ihre zweifelhafte Erfolgsgeschichte fort. Die Europameisterin 2012 gewinnt in diesem Jahr die 5000 Meter bei der U23-Leichtathletik-EM mit neuer persönlicher Bestleistung. Der Türkische Leichtathletik Verband äußert sich auf Anfrage gar nicht. Der Internationale Leichtathletikverband IAAF will erst nach der WM über das Sorgenkind Türkei sprechen. Allein sechs Athleten wurden im Mai bei den türkischen Studenten-Meisterschaften in Bursa positiv auf die verbotene Substanz Stanozolol getestet. Bei drei von ihnen konnte man das Anabolikum Oral-Turinabol nachweisen, das am häufigsten verwendete Dopingmittel in der DDR. Die Athleten sind international nahezu unbekannt. Nur ein Läufer konnte sich im vergangenen Jahr für einen internationalen Wettkampf qualifizieren. Erschreckend ist: Zwei der überführten Athleten sind noch minderjährig. Das sei keine Besonderheit in der Türkei, meint Wilhelm Lilge. Auch nicht das breite Spektrum an Sportarten:
    "Gerade das Beispiel Türkei zeigt, dass also auch keine Hemmungen bestehen, das in Sportarten, in Disziplinen durchzuführen, wo es überhaupt nicht um Geld geht, sondern höchstens um Ruhm und Ehre, wie auch das Beispiel der zwei erwischten Nachwuchs-Bergläufer zeigt, von der Berglauf-Europameisterschaft, die man disqualifizieren musste."

    Beim Trend zu härteren Doping-Strafen setzte der Weltverband jetzt ein Zeichen. Die IAAF will schwere Doping-Erstvergehen wieder mit einer vierjährigen Sperre bestrafen. Aber wird das reichen? Wilhelm Lilge fordert eine Doping-Quote vor Großveranstaltung:

    "Da gibt es keinen Grund, nicht in die Teilnahmebedingungen reinzuschreiben, dass nur jene nationale Verbände teilnehmen dürfen, wo ein Jahr vor der Veranstaltung nur eine bestimmte Höchstzahl an Dopingfällen vorgekommen ist, vielleicht eine Zahl, die irgendwie in der Relation zur Größe des Landes steht, und dann sind die einzelnen Länder, die nationalen Verbände natürlich gezwungen, in ihren eigenen Reihen wirklich darauf zu achten, dass das Doping minimiert wird. Man wird’s ja nicht ganz ausschalten können. Aber damit zumindest dieses staatliche Wegschauen, um nicht zu sagen Fördern, einmal ein Ende hat."

    Eine ähnliche Regel gibt es bereits beim Internationalen Gewichtheber Verband. Dort trat Anfang des Jahres nach einer Vielzahl an Positivtests eine komplette Verbandsspitze zurück. Richtig: die des türkischen Verbands.