Alles ist ziemlich klein dimensioniert an diesem Musiktheaterabend. Nur die zentralen Fragen sind groß: Sowohl in der Farce mit der besonders intelligenten Taube wie in der knapp gefassten Tragödie vom Spätheimkehrer, die mit dem Hammer entschieden wird. In beiden Fällen geht es um hartnäckige Liebe, die auf die Probe gestellt wird. Zugleich verknüpfen die aus schroffem ökonomischem Gefälle resultierenden Konflikte die zwei ansonsten höchst unterschiedlichen Werke.
Der Orchestergraben ist kammermusikalisch bestückt für die kurz gehalten fünf Akte des Doppel-Abends - zwei wurden von Gounod mit leichter Hand 1860 für die Sommerfrische in Baden-Baden komponiert, drei noch viel kürzere 1927 von Milhaud in Paris aufs Papier geworfen. Das Resultat war eine zunächst sehr elegische, dann motivisch scharf pointierte neoklassizistische Montage-Musik, die nach all den wuchtigen Wagner-Bekundungen und gewichtigen Verdi-Produktionen der vorigen und der laufenden Spielzeit ausgesprochen erholsam wirkt.
Musikalisch anspruchsvolle Partien
Die Mitglieder des in Colmar angesiedelten Studios der Rheinoper haben ihre Feuer- und Liebesproben in den musikalisch anspruchsvollen Partien allesamt respektabel oder gut bestanden - vornan, bei Gounods Opéra-comique, Gaëlle Alix als liebesbedürftige reiche Gräfin Sylvie, die auch im kleinen Format mit den größten Koloraturen aufzuwarten hat, und Jean-Christophe Born mit einem leicht in Anschlag gebrachten Tenor als junger Florentiner Edelmann, der um der Liebe willen völlig verarmt und noch das Letzte zu geben bereit ist - seine geliebte Taube.
Erotische Bilder und ein massakrierter Papagei
Zur Charakterisierung der Lebensverhältnisse von Horace zeigte Stéphane Vérité einen sparsam möblierten Raum vor einer Wand mit verblichenen und ramponierten Fresken und einer Flügeltür, deren Lack abblättert. Raffinierter Video-Einsatz lässt den Grad der Verkommenheit eskalieren und dann erotische Bilder des 19. Jahrhunderts aufscheinen - Damen mit Strapsen und Herren in liebestötender Badebekleidung. Alles mit Patina. Die Taube, die mit einem Flügel schon in der Bratröhre war, bleibt aber doch am Leben - der zufällig zugeflogene Papagei der Gegenspielerin wird massakriert und serviert.
Einfache Theatermittel als Stilmittel
Die Rückkehr des in fünfzehn Jahren in der Fremde zu einem Vermögen gelangten Matrosen in die Hafenspelunke seiner Frau präsentiert Stéphane Vérité vorm Ausblick auf riesige Wellenbrecher, einen Kran und einen Leuchtturm: Einfache Theatermittel machen die Arme-Leute-Welt an der Wasserkante und die Zwischenkriegszeit drastisch. Jean Cocteaus Moritat befleißigt sich einer demonstrativ lakonischen Sprache - und die Tonspur korrespondiert ihr mit den sparsamen Linien und Klangflecken, aus denen (wie Strandgut) melodische Motive aus den wohlklingendsten Sphären einer mit dem Ersten Weltkrieg versunkenen Musikkultur auftauchen.
Der Versuch des inkognito zurückkehrenden Seemanns, die in treuer Liebe sich verzehrende Ehefrau aus nächster Nähe zu beobachten, endet tödlich. Indem er sie wissen lässt, der Mann sei - völlig überschuldet - auf dem Weg zu ihr, schleicht sie nachts in sein Zimmer, erschlägt ihn kurz und knapp und raubt ihn aus, um sich mit dem so lange sehnlich Erwarteten eine lichte Zukunft zu ermöglichen.
Die Colmarer Doppel-Produktion geht jetzt nach Mulhouse, Strasbourg und Paris. Auch an geeigneten Häusern rechts des Rheins könnte sie ihren Charme entfalten und sich gegen das Gewichtige als Frühlings-Diät des Musiktheaters profilieren.