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"Dort findet die Abzocke statt"

Der Chef des Energieversorgers Vattenfall, Klaus Rauscher, verteidigt sich gegen den Vorwurf, höhere Strompreise seien die Folge von Preisabsprachen der Stromkonzerne. Dafür liege kein einziger Beweis auf dem Tisch, sagte er. Für die steigenden Preise seien allein Steuern und Abgaben verantwortlich.

    Irmler: Herr Rauscher, der Klimawandel scheint ja auch bei Vattenfall schon angekommen zu sein. Auf jeden Fall haben Sie ein begrüntes Dach, auf dem Sie sitzen, über dem Sie thronen. Aber ernsthaft: Inwieweit ist denn der Klimawandel in der Vorstandsetage von Vattenfall angekommen?

    Rauscher: Es ist ein Thema, das natürlich auch unsere Industrie ganz vital berührt, denn wir gehören ja neben dem Verkehr zu den großen Emittenten von Treibhausgasen, vor allem von Kohlendioxyd aus unseren Kohlekraftwerken. Das ist ein ganz wichtiges Thema für uns, an dem wir arbeiten. Wir reden nicht nur drüber, wir tun auch was. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir bauen das erste – weltweit das erste – kohlendioxidfreie Kohlekraftwerk.

    Irmler: Sie werden gerne, als Kulturmäzen porträtiert, als einer, der etwas anders ist unter den knallharten oder als knallhart geltenden Strommanagern. Dass Sie aber auch gut rechnen können, dass Sie kalkulieren können, strategisch planen können, beweisen die üppigen – manche sagen sogar die allzu üppigen – Gewinne, die Sie einfahren. Was machen Sie eigentlich mit dem vielen Geld? Überweisen Sie einen großen Teil an Ihre Muttergesellschaft, die staatlich-schwedische Vattenfall?

    Rauscher: Zunächst ist richtig, dass wir ordentliche Erträge erwirtschaftet haben, auch mit zunehmender Tendenz. Das ist auch wichtig, weil wir diese Erträge in Investitionen in Deutschland stecken wollen. Der schwedische Anteilseigner bekommt eine Dividende, seit fünf Jahren unverändert. Das sind im letzten Jahr fünf Prozent des operativen Ergebnisses gewesen. Das ist sicher nicht zuviel. 95 Prozent bleiben in Deutschland, davon zahlen wir Steuern. Und davon investieren wir in neue Kraftwerke.

    Irmler: Aber wie bewerten Sie die Tatsache, dass ein staatlicher schwedischer Konzern und zum Beispiel auch die staatlich kontrollierte französische EdF, die sich bei ihrem Mitbewerber EnBW eingekauft hat, hier, auf einem angeblich weitgehend liberalisierten Markt, tummeln können, tummeln dürfen?

    Rauscher: Zunächst ist festzuhalten, dass die Liberalisierungsschritte in Europa mit unterschiedlicher Geschwindigkeit vorangegangen sind. Das ist wohl war. Wir haben in Deutschland weitgehend entstaatlicht. Es gibt natürlich noch Unternehmen, teilweise oder überwiegend in kommunaler Hand, aber die Länder haben sich im Wesentlichen aus den großen Energieversorgern zurückgezogen. In anderen Ländern, zum Beispiel Frankreich oder Schweden, ist das noch anders, wird sich im Zuge der europäischen Vereinheitlichung aber ändern. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass unser Mehrheitsaktionär, die schwedische Vattenfall AB, sich verhält wie ein privater Investor, wie ein privates Unternehmen. Sie merken da sehr, sehr wenig von staatlichem Einfluss.

    Irmler: Als in Deutschland unter einer CDU/FDP-Regierung der Strommarkt weitgehend liberalisiert wurde – in Wahrheit handelte es sich ja um eine Privatisierung von regionalen Monopolen –, hat man darauf verzichtet, den Netzbetrieb, also die Durchleitung des Stroms, von der Produktion zu trennen. Viele Fachleute, inzwischen auch viele Politiker sagen, das sei ein schwerer Fehler, das sei ein Irrtum gewesen. Damit habe man nämlich den vier großen Stromkonzernen in Deutschland, die 75 bis 80 Prozent des Marktes kontrollieren, den Hebel an die Hand gegeben, überhöhte Preise zu nehmen, den freien Wettbewerb zu behindern. Und in der Tat: Die Lebenserfahrung lehrt einen ja doch, dass ein Stromkonzern, der das Netz beherrscht, nicht gerade ein Interesse daran hat, einen Mitbewerber in dieses Netz mit hinein zu nehmen, der ihm womöglich die Preise kaputt macht.

    Rauscher: Das Problem bei den Netzen besteht darin, dass sie so genannte Monopole sind. Es gibt im Netz kein Alternativnetz, das wäre zu teuer – im übrigen nicht nur in Deutschland, sondern europaweit. Es sind in der Tat Monopole. Und die Frage ist jetzt doch die: Wie kann man garantieren, dass diese Monopole, diese Netze, diskriminierungsfrei von anderen als den Eigentümern, also von Dritten, genutzt werden können. Muss dazu der heutige Eigentümer dieses Netz hergeben, muss er enteignet werden – Klammer auf: Wer hätte das Geld? Hat der Staat dafür das Geld? Ich glaube es nicht. Aber muss das auf dem Wege einer Zwangsenteignung, eines Zwangsverkaufs gehen, oder reicht es aus, was wir in Deutschland haben und was sich meines Erachtens bewährt hat, nämlich die gesetzliche Verpflichtung der Netzbetreiber, jeden Dritten diskriminierungsfrei durch dieses Netz zu lassen, und eine scharfe Aufsicht durch die Regulierungsbehörde darüber? Reicht das nicht aus? Muss man wirklich mit dem Folterinstrument der Enteignung winken, obwohl doch der Staat dafür wirklich kein Geld hat?

    Irmler: Aber diese Diskussion ist doch inzwischen vom Tisch. Dieses martialische Wort von der Zerschlagung, das die Stromkonzerne in diesem Zusammenhang gerne gebrauchen, ist doch gar nicht mehr aktuell und entspricht nicht den Intentionen der Politik. Mittlerweile diskutiert man ja darüber, inwieweit man die Netze einem unabhängigen Betreiber geben kann und die Stromkonzerne dafür entschädigt werden.

    Rauscher: Was Sie jetzt sagen, zeigt, dass unsere Argumente eben doch in gewisser Weise Gehör finden und dass das Ganze, wie in anderen Fragen im übrigen auch, ein Dialog ist zwischen Politik und der betroffenen Industrie, wo sich auch Meinungen fortentwickeln. Diese Idee jetzt eines Independent System Operators, eines unabhängigen Netzbetreibers, ist auch eine denkbare Idee. Da gibt es, wie immer, natürlich unterschiedliche Meinungen. Aus Eigentümersicht muss man sagen: Na ja, das ist eine suboptimale Lösung. Denn wenn ich Eigentümer bin und mit meinem Eigentum nicht machen kann, was ich will, dann hab ich nichts davon. Das ist so, als wenn Sie ein Auto haben, aber niemals damit fahren dürfen. Wir überlegen immer: Was soll eigentlich das Ziel der ganzen Debatte sein? Das Ziel soll doch sein, Wettbewerb auch in den Netzen herzustellen, ein fairer Zugang für jene, die eben nicht Eigentümer des Netzes sind. Und dieser Wettbewerb muss europaweit organisiert werden. Kann man also nicht mit klaren gesetzlichen Regelungen, mit einer scharfen Überwachung durch – vielleicht auch eine europäische Behörden - und durch grenzüberschreitende Regelungen Wettbewerb herstellen? Muss man wirklich solche krampfhaften Lösungen seitens der Politik immer wieder ins Gespräch bringen?

    Irmler: Die vier deutschen Stromkonzerne werden von Kritikern ihrer Preispolitik inzwischen "Das Kartell" genannt. Einen förmlichen Nachweis gibt es zwar noch nicht oder wird es vielleicht auch nicht geben – gerichtsfeste Beweise dafür, dass es Preisabsprachen gibt. Aber, es besteht der Verdacht. Kein Geringerer als Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hat ja eine Novelle des Wettbewerbsrechts in Arbeit, nach der die Beweislastumkehr eingeführt werden soll und Sie beweisen müssen, dass Sie keine überhöhten Preise nehmen. Herr Böge, der Präsident des Kartellamtes sagt, es bestehe in der Tat der Verdacht, dass es Preisabsprachen zwischen den Konzernen gibt. Und der hessische Wirtschaftsminister Alois Rhiel, geht sogar noch einen Schritt weiter. Er möchte die Konzerne zerschlagen.

    Rauscher: Sie haben zu Recht gesagt, es wird immer wieder der Verdacht geäußert, wir würden Kartellabsprachen treffen. Ich kann für mein Unternehmen definitiv sagen: Wir treffen keine Kartellabsprachen. Wir stimmen uns mit den Konkurrenten nicht ab, was Preise angeht. Natürlich reden wir miteinander, natürlich reden wir über Energiepolitik zum Beispiel. Und das ist auch legitim. Dafür haben wir Verbände, wo wir uns regelmäßig treffen. Das lasse ich mir auch nicht kaputtmachen, wiewohl Kartellbehörden europäischer Art bereits darin Verdachtsmomente sehen, wenn wir über Energiepolitik , wenn wir über gemeinsame Brancheninteressen reden. Wir sind da an einem kritischen Punkt. Leider, leider wird von Politikern oder auch Behördenvertretern immer wieder der Verdacht in die Welt gesetzt, wir würden uns kartellrechtswidrig verhalten. Das geschieht jetzt schon seit einigen Monaten, ohne dass auch nur ein einziger Beweis auf den Tisch gelegt wurde. Das finde ich nicht in Ordnung. Die andere Frage, die Sie ansprechen – Zerschlagung der Konzerne - ich halte es für eine ziemlich populistische Äußerung. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass so etwas in Deutschland, in einer von Vernunft geprägten politischen Debatte letztlich mehrheitsfähig ist. Ernster muss man dagegen nehmen, was der Bundeswirtschaftsminister vor hat, nämlich eine Änderung des Kartellrechts, wo er – wie Sie sagen – eine Beweislastumkehr vorschreiben will, wo er aber vor allem eines hinein schreiben will, nämlich dass es als Missbrauch gelten soll, wenn die Preise deutlich höher als die Kosten sind. Dies läuft natürlich im Ergebnis auf eine Preisregulierung hinaus. Mit marktwirtschaftlichen Regularien hat dies wenig zu tun. Die Preise bilden sich am Markt, auch am Strommarkt, nach Angebot und Nachfrage und nicht an Kosten.

    Irmler: Wie erklären Sie sich , dass Sie parteiübergreifend – wir reden von CDU-Politikern und nicht von einigen wenigen vielleicht noch existierenden anti-kapitalistischen Sozialdemokraten – so sehr unter Beschuss geraten sind? Ist das ein Missverständnis? Fühlen Sie sich unverstanden?

    Rauscher: Es haben – ich sage jetzt mal ganz bewusst – Populisten aller Parteien erkannt, dass es relativ einfach ist, auf die vier großen Stromversorger in Deutschland – na ja, einzudreschen ist vielleicht ein bisschen hart formuliert –, aber die vier großen Unternehmen in Deutschland anzugreifen. Das schafft Applaus. Doch was verschwiegen wird, was leider immer wieder verschwiegen wird, ist, dass der eigentliche Preistreiber in den letzten Jahren der Staat war. Sie als Stromkunde könnten heute noch den selben Strompreis haben wie vor zehn Jahren, wenn nicht der Staat so gewaltig mit Steuern und Abgaben zugeschlagen hätte.

    Irmler: Das ist ein Steuerungsinstrument.

    Rauscher: Dann darf man sich aber nicht beklagen, dass am Ende der Strom teurer ist als vor zehn Jahren, wenn sich die Komponenten des Strompreises unterschiedlich entwickelt haben. Unser Anteil vom Strompreis ist niedriger als vor zehn Jahren. Der Staatsanteil ist gewaltig gestiegen. Und das Ergebnis ist in der Summe ist ein leicht gestiegener Strompreis. Sie als Kunde, Sie als Bürger merken nur, es ist teuerer als vor zehn Jahren. Wir als Energieversorger, wir haben weniger. Der Staat profitiert davon, dort findet die Abzocke statt.

    Irmler: Sie verdienen weniger, machen aber mehr Gewinn. Wie geht das?

    Rauscher: Das geht unter anderem deswegen, weil wir in den letzten Jahren ganz massiv an unseren Kosten gearbeitet haben. Ich habe zum Beispiel, als ich bei Vattenfall angefangen habe, gesagt: Im Zuge der Fusion müssen wir unsere Jahreskosten um 550 Millionen reduzieren – 550 Millionen Euro ist eine Menge Holz. Die Kollegen in den anderen Unternehmen sind ähnlich herangegangen. Sie dürfen nicht vergessen, dass seit dem Beginn der Liberalisierung, also sagen wir mal in den letzten zehn Jahren, die deutschen Energieversorger insgesamt fast 150.000 Arbeitsplätze abgebaut haben. Das ist nicht lustig, das macht keiner gerne. Aber das spart natürlich Kosten. Und deswegen steigen auch die Erträge.

    Irmler: Dennoch, was sagen Sie zu dem Argument, dass an der Leipziger Strombörse die Preise künstlich hochgehalten würden? Wie errechnet sich denn der Strompreis, ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen?

    Rauscher: Die erste Frage: Wird an der Strombörse manipuliert? Die Antwort ist ein klares "Nein". Es gibt an der Börse weit über 100 Teilnehmer. Das sind nicht nur die Stromversorger, das sind Banken, das sind Händler, das sind Inländer, das sind Ausländer. Und bei dieser Menge an Teilnehmern können Sie nicht manipulieren. Was vielfach nicht verstanden ist, ist, wie sich dieser Preis bildet. Es ist nämlich die letzte verkaufte Kilowattstunde, die den Preis bestimmt, und nicht irgendwelche Durchschnittskosten. Das sind Grenzkosten. Wenn sich Angebot und Nachfrage, wenn sich diese beiden Kurven sich in einem Punkt schneiden, dann bestimmt dies den Preis – nicht nur beim Strom, sondern auch bei Aktien oder bei anderen Gütern. Wenn die Nachfrage hoch und das Angebot niedrig ist, dann steigt eben der Preis. Das ist so an den Börsen.

    Irmler: Die Verbraucher, Herr Rauscher, auch das muss man in diesem Zusammenhang erwähnen, zeigen wenig Neigung, ihren Stromanbieter zu wechseln. Andererseits ist die Aufregung über hohe Energiepreise groß. Und noch eine andere paradoxe Situation ist in diesem Zusammenhang zu beobachten: Einerseits kämpfen Politiker für billigeren Strom, da die hohen Preise Verbraucher und Wirtschaft zunehmend belasten. Anderseits sind Energiepreise ja auch politische Preise. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass der Staat kräftig zulangt, weil damit ja auch das Ziel "Energieeinsparungen" durchgesetzt werden kann. Wie kommentieren Sie diese offensichtliche Widersprüchlichkeit?

    Rauscher: Zunächst einmal geringe Wechselneigung bei den Kunden: Ich glaube, da muss man differenzieren. Das hängt auch ein bisschen davon ab, wie viel Energie, wie viel Strom Sie verbrauchen. Wenn die Stromrechnung nur ein kleiner Anteil an Ihrem jährlichen Budget ist, sind Sie sich nicht so preissensibel, wie ein Unternehmen, das sehr stromintensiv ist. Wenn Sie ein paar Millionen jährlich für den Strom zahlen, schauen Sie natürlich sehr viel schärfer hin, als wenn Sie – sagen wir mal – 300 Euro zahlen. Auf der anderen Seite ist beim Verbraucher noch ein weiteres Argument zu beachten. Strom muss zuverlässig da sein. Man muss sicher sein, dass er jederzeit vorhanden und sicher da ist. Kein Mensch kann ausschließen, dass nicht irgendwann eine Havarie passiert, dass mal ein Baum einen Mast umknickt oder ein Bagger ein Kabel beschädigt. Dann muss der Kunde wissen, das wird schnellstmöglich repariert. Und diese Sicherheit, diese Versorgungssicherheit, ist vielen Menschen einiges wert, so dass sie nicht immer auf den letzten Cent gucken. Das Kundenverhalten ändert sich allerdings. Insgesamt treten die Wettbewerber, auch wir, inzwischen ganz aggressiv an, nicht nur in den angestammten Gebieten, sondern auch darüber hinaus. Unsere Beobachtung ist, dass der Wettbewerb in Deutschland anzieht. Wir sind in den beiden größten deutschen Metropolen Berlin und Hamburg tätig. Hier merken wir einen ganz scharfen Wettbewerb.

    Irmler: Um den CO2-Ausstoß, den Klimakiller Nummer 1 zu verringern, hat die EU, das Instrument des Handels mit Verschmutzungsrechten eingeführt. Das Prinzip ist, theoretisch zumindest, relativ einfach: Wer mehr CO2 ausstößt als er darf, der muss sich bei anderen, die die Umwelt weniger belasten, Verschmutzungsrechte zukaufen. Diese Rechte wurden von der Bundesregierung kostenlos zugeteilt. Sie aber – die Stromkonzerne, nicht Sie persönlich – stellen das ihren Kunden in Rechnung. Das heißt doch, Sie kassieren für etwas, wofür Sie gar nichts bezahlt haben.

    Rauscher: Zunächst einmal ist dieser Emissionshandel ein vernünftiges, ein taugliches, ein marktwirtschaftliches Instrument, um Klimagase zu reduzieren. Vom System her ist das schon ein ganz vernünftiger Ansatz. Den Aspekt, den Sie jetzt ansprechen, dass diese Zertifikate, diese Rechte kostenlos zugeteilt werden, aber letztlich Eingang in die Preise finden, ist ein komplexer Vorgang, den nicht jeder gleich versteht. Natürlich sagt mancher: "Das kann doch nicht sein. Die bekommen etwas geschenkt, und hinterher kriegen sie es dann über die Preise bezahlt." Der Sinn dieses Systems ist es jedoch, dass Umweltverschmutzung ihren Preis hat, dass CO2-Zertifikate ihren Preis haben . . .

    Irmler: . . . da wären wir wieder beim Steuerungsinstrument . . .

    Rauscher: …. und man kann natürlich darüber diskutieren, wie man diesen Zuteilungsmechanismus ausgestaltet. Dabei darf man aber nicht nur Preise im Auge haben, es geht auch um Systemstabilität. Oder die Tatsache, dass wir mit der Braunkohle einen heimischen Energieträger haben, der vergleichsweise zuverlässig und preiswert ist im Vergleich zu anderen Energien und den man mit einem solchen System nicht aus dem Wettbewerb drängen kann. Solche Steuerungsinstrumente greifen in ein sehr komplexes System ein. Und da muss man alle Aspekte bedenken.

    Irmler: Sie sagten, die Braunkohle sei zuverlässig und vergleichsweise billig. Sie ist aber auch der größte Umweltverschmutzer und Klimakiller, den wir haben.

    Rauscher: Die Braunkohle stößt, das ist richtig, spezifisch mehr Kohlendioxyd aus als zum Beispiel Steinkohle oder Gas. Auf der anderen Seite dürfen Sie nicht vergessen, dass wir gerade in Ostdeutschland sehr viel in den letzten Jahren getan haben, um diese Braunkohle umweltfreundlicher zu machen. Der eine Ansatz war, die alten – ich sage es mal bewusst – Dreckschleudern der DDR außer Betrieb zu setzen und dafür neue hocheffiziente, hochmoderne Kraftwerke zu bauen, die deutlich weniger Kohlendioxyd ausstoßen als die alten Anlagen. Wir haben ja insgesamt in Ostdeutschland gegenüber 1990 über 50 Millionen Tonnen CO2 weniger, und das sind unsere Anstrengungen. Da ist zwar ein Teil Rückgang der Wirtschaftsleistung aus der Ex-DDR mit dabei, aber mindestens die Hälfte ist eben auch der Tatsache geschuldet, dass wir in umweltfreundliche Braunkohle investiert haben. Der zweite Ansatz, den wir jetzt verfolgen, ist, eine neue Technologie zu installieren, eine Braunkohleverstromung, die eben kein Kohlendioxyd mehr in die Atmosphäre emittiert – das berühmte kohlendioxydfreie Kohlekraftwerk, an dem wir arbeiten, wo wir nächstes Jahr die erste Pilotanlage in Betrieb nehmen werden, wo wir allerdings auch noch gut zehn Jahre brauchen, um diese Technologie in großindustrielle Serienreife zu bringen. Und bis dahin müssen wir Übergangslösungen finden.

    Irmler: In der kommenden Woche, Herr Rauscher, findet in Brüssel der Frühjahrsgipfel statt. Thema: Energie- und Klimapolitik. In einem Entwurf der deutschen EU-Ratspräsidentschaft heißt es: Die EU solle den Treibhausgasausstoß bis 2020 um 20 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 verringern. Deutschland ist als größte Volkswirtschaft, als größter Industriestandort, in diesem Zusammenhang besonders gefragt, und es ist sogar die Rede von 30 Prozent, wenn beispielsweise die USA mitziehen.

    Rauscher: Was hier politisch vorangetrieben wird, ist vom Grundsatz her schon richtig und auch unterstützenswert. Da muss auch die Industrie dahinter stehen, da muss auch die Industrie helfen. Das Problem dabei ist: Wir müssen etwas Obacht geben, dass wir nicht im Überschwang der Gefühle und in dem Wollen Vorreiter zu sein, Vorbild für andere, dass wir nicht in die Gefahr laufen, für bestimmte Industrien in Deutschland die Produktion so zu erschweren, dass sich Industrieproduktion in Deutschland oder in Europa nicht mehr rentiert. Im Wettbewerb der Erdteile müssen wir durchaus ehrgeizig sein. Hier hat die Bundesregierung recht. Aber es darf eben nicht zu Lasten von Industrieproduktion in Deutschland gehen. Und deswegen an dieser Stelle der Appell, alle Aspekte vernünftig und sorgfältig abzuwägen. Es ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, diese 20 Prozent. Es ist machbar, aber es muss fair und gerecht zugehen. Deutschland und Europa dürfen nicht benachteiligen werden gegenüber den USA oder China.

    Irmler: Eingangs habe ich es erwähnt: Sie werden als kunstsinniger, als kulturengagierter Mensch geschildert, und nicht nur das. Sie haben, wenn ich richtig informiert bin, auch Vorlesungen gehalten an der Berliner Humboldt-Universität zu Fragen von Management und Ethik. Nehmen wir mal den Fall Mannesmann/Vodafone/Ackermann, nehmen wir den Fall Hartz, nehmen wir den Korruptionsfall bei Siemens und vielleicht auch den jüngsten Kartellfall bei Rolltreppen und bei Fahrstühlen – die bisher größte Strafe, die von der EU-Kommission ausgesprochen wurde im Zusammenhang mit Thyssen und Krupp.
    Was sagen Sie denn Ihren Studenten, wenn Sie über solche Fragen sprechen und solche konkreten Beispiele vor Augen haben?

    Rauscher: Wenn Sie hier Einzelfälle zitieren, die ja auch vor Gericht gelandet sind, dann geht es um ein Minimum an ethischer Verantwortung, was hier verletzt wurde. Wer sich strafbar macht, wer Gesetze bricht, der handelt natürlich in hohem Maße unethisch oder unmoralisch. Dass auch wir Manager geltendes Recht zu beachten haben, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Schwieriger wird es in einer Grauzone jenseits des Strafrechts oder jenseits des Kartellrechts. Ich habe eigentlich nur einen Rat, auch an meinen jüngeren Kollegen hier im Hause: Ihr sollt bitte sagen, was ihr denkt, ihr sollt tun, was ihr sagt und ihr sollt halten, was ihr versprecht. Daran zeigt sich, ob jemand verantwortungsvoll handelt oder nicht.

    Irmler: Hat das auch damit etwas zu tun, dass in einer zunehmend globalisierten Welt die Sitten rauher geworden sind, dass die Verhältnisse brutaler geworden sind? Es geht ja so weit, dass man darüber diskutiert, dass Leute darüber nachdenken, ob man die soziale Marktwirtschaft, so wie wir sie in der Vergangenheit gekannt haben, nicht neu definieren muss, ob man sie umdefinieren muss. Einige gehen sogar so weit und sagen, sie sei ein Luxusgut, das wir uns heute gar nicht mehr leisten können.

    Rauscher: Globalisierung und soziale Marktwirtschaft – sind das Widersprüche, oder lässt sich das vereinen? Wir kommen aus einer abendländischen Tradition und damit aus einer Wirtschaftsform, die mehr ist als ein Raubtierkapitalismus. In China wird das ganz anders gesehen. Das liegt zum Teil aber auch am Stand der Entwicklung in diesen Volkswirtschaften. Wir können uns den Luxus der sozialen Gerechtigkeit einfach eher leisten als ein Chinese, der mit Macht zu Reichtum drängt. Wir sind schon wohlhabend. Die Globalisierung darf jedoch nicht als Ausrede gebraucht werden für unfaires oder ungerechtes Verhalten gegenüber Menschen.

    Irmler: Ich danke Ihnen für dieses Gespräch, Herr Rauscher.