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Dosierte Wiederbelebung

Staatschef Fidel Castro verabreicht seinem Land wohldosierte Injektionen Kapitalismus und betreibt damit eine ständige Gratwanderung zwischen Öffnung und rigider Kontrolle. Inzwischen ist diese vorsichtige Kapitalisierung auf Kuba überall sichtbar, vor allem im Tourismus-Geschäft. Dabei lautet die Strategie: Lerne vom Klassenfeind und schicke ihn dann nach Hause. Aber wohin führt der kubanische Schlingerkurs zwischen Repression und Liberalisierung?

Von Achim Gutzeit |
    "Ich habe für die Küken noch nicht das ideale Futter gefunden, ich habe einiges ausprobiert, aber sie sind nicht so groß, wie sie mit drei Wochen sein sollten. Also habe ich noch eine andere Art gekauft, ich halte sie im Haus. Sie sind erst drei Tage alt, aber viel lebendiger als diese hier. Mal sehen, wie es mir mit ihnen so ergeht."

    Enma Leyva González züchtet in ihrem kleinen Hinterhof Hühner und Kaninchen. Sie lebt in Cojímar, einem Stadtteil Havannas und ist eine von 700 Kleintierhaltern in der kubanischen Hauptstadt. Früher zog sie die Tiere für den Eigenbedarf auf, um überhaupt über die Runden zu kommen. Heute landet höchstens ein Drittel der Produktion noch auf dem eigenen Teller. Den Großteil verkauft sie, der Gewinn geht in die eigene Tasche. Enma Leyva González ist so eine Art Kleinkapitalistin, Kollegen von ihr züchten auch schon mal Schweine auf dem Dach.

    Die Unternehmer in Sachen Gemüse und Frischfleisch verdienen gut - teilweise das Mehrfache eines Arztes oder Beamten. Fidel Castros Bruder Raúl Castro, die Nummer Zwei in der Partei und offiziell Fidels designierter Nachfolger, gilt als Förderer und Protegé des Kleinkapitalismus in den Hinterhöfen. Er ist ein Pragmatiker, heißt es, der weiß, dass die Bevölkerung nicht mehr anders zu ernähren ist.

    Das kapitalistische Pflänzchen blüht nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch - streng reglementiert und überwacht - in anderen Wirtschaftsbereichen. In Havannas Straßen bieten auf eigene Rechnung arbeitende "cuentas propistas" - also selbständige Kleinstunternehmer - ihre Waren an. An Hauswänden weisen Schilder auf private Zimmervermietung hin, die so genannten "casas particulares" und abends können Touristen in "paladares", familiär geführten Privat-Restaurants, essen gehen - gegen harte Währung versteht sich.

    Aber das ist nur Kleingeld: Motor der kubanischen Wirtschaft ist der Hotel-Tourismus, er bringt jährlich über zwei Milliarden Dollar ein. Hier lautet die Strategie: Lerne vom Klassenfeind und schicke ihn dann nach Hause. Ausländische Unternehmer, ihr Know-how und ihr Kapital sind willkommen. In der Regel laufen die Kooperations-Verträge aber nur so lange, bis man überzeugt ist, es selber zu können. Der obligatorische kubanische Co-Direktor seines ausländischen Chefs steht dann zur Übernahme bereit. Bert Hoffmann, Kuba-Experte von der Universität Hamburg:

    "Man hat einen Boom an Hotelgewerbe auf der Insel in den letzten 15 Jahren gehabt, der ganz massiv von den Auslandsinvestitionen getragen worden ist. Große Konzerne, zum Beispiel Sol Melia aus Spanien, sind da groß engagiert. Das wären die nicht, wenn sich das nicht rechnen würde. Das andere stimmt aber, der kubanische Staat sieht das als notwendig, aber eigentlich eine Abweichung. Das läuft mit bestimmten Abweichungen, zum Beispiel, dass immer ein kubanischer Co-Direktor da sein muss und wenn Kuba das Geld hätte, würden die sicherlich versuchen, mehr davon in Eigenregie zu übernehmen. Aber bis jetzt sind solche Sachen, - wo es Konflikte gab, - von der kubanischen Seite relativ großzügig geregelt worden. "

    Das kubanische Personal wird an das ausländische Unternehmen zum Dollarpreis vermietet. Eine Servierdame wird mit rund 800 Dollar im Monat in Rechnung gestellt, sie erhält rund 300 nationale Peseten als Gehalt - das entspricht rund 12 Dollar. Die Differenz fließt in die kubanische Staatskasse.

    Mit seinen qualifizierten Arbeitskräften verfügt das sozialistische Regime über eine weitere Einnahmequelle. Denn das Ausbildungssystem ist vor allem im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern immer noch gut. Mit diesem Pfund wuchert Castros Kuba auch international. Die verbesserten außenpolitischen Beziehungen machen es möglich, denn Kuba treibt nicht mehr wie in den 90er Jahren isoliert durch die Weltpolitik. Neuer Hauptverbündeter ist Venezuela: Dorthin entleiht Kuba in großem Stil Arbeitskräfte, - schätzungsweise rund 13.000 Ärzte, Pfleger und Sicherheitskräfte arbeiten dort. Die venezuelanische Regierung zahlt rund 1000 Dollar pro Arzt an Kuba. Bert Hoffmann von der Universität Hamburg:

    "Die Ärzte in Venezuela sind in jeder dritten Nachrichtensendung dabei, - als Helden des Internationalismus. Diese Kehrseite, dass der Staat dafür relativ viel Geld kriegt und die Entsandten nur 50 Dollar, die wird so natürlich nicht thematisiert. 50 Dollar ist immer noch sehr viel mehr als der normale kubanische Arbeiter auf der Insel in Dollar bekommt und die große Differenz dazwischen, die der Staat absorbiert, rechtfertigt der Staat damit, dass er damit das ganze Gesundheitssystem, das Schulsystem – all die Errungenschaften der Revolution für das Volk – finanzieren kann. Natürlich ist da viel Unzufriedenheit drin, aber im Prinzip sagt man dann: Na, ihr müsst ja nicht gehen, ihr könnt ja auch hier bleiben. Nee, nee, ich geh schon, weil da hab ich ja was von. "

    Kubas neue Freundschaft zu Venezuela ist gleichzeitig ein ideologischer Sieg des Regimes, denn zum ersten mal seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat Fidel Castro mit Hugo Chavez, dem Präsidenten Venezuelas, auch wieder einen Partner, der ideologisch auf ähnlicher Frequenz funkt, erklärt Bert Hoffmann von der Universität Hamburg:

    "Es ist das ölreichste Land Lateinamerikas. Das ist nicht irgendein Verbündeter, sondern der ist so, dass sich die wirtschaftliche Situation vergleichsweise entspannt darstellt für den Staat. Und in der Hinterhand deutlich verbesserte Beziehungen zu China und anderen Ländern Lateinamerikas, das heißt, man hat keine Isolation mehr und gerade mit Hugo Chavez und Venezuela gibt es auf der Führungsebene in Kuba nachgerade einen Triumphalismus: Die Geschichte ist wieder auf unserer Seite. Hugo Chavez ist erst der Anfang. Diese Stimmung macht im Prinzip diese ganzen Reformen, die als Zugeständnisse an den Kapitalismus gesehen wurden, - nimmt den völlig den Wind aus den Segeln und es geht da in vielen Bereichen graduell, vorsichtig – aber zurück."

    Dabei gilt das Experiment ideologisch als abgesichert, denn der Sozialismus dürfe sich in schweren Zeiten durchaus des Kapitalismus bedienen, sagt Dr. José Sánchez Súarez, Professor für Marxismus/Leninismus an der Universität Holguín. Súarez durfte seine Thesen auch in der Parteizeitung "Granma" veröffentlichen. Súarez sitzt im Freiluft-Café eines kleinen marktwirtschaftlichen Gemüse-Produzenten in Holguín. Sein Urteil über die kapitalistischen Kleinbetriebe ist positiv:

    "Sie haben bewiesen, dass sie effizienter sind als die staatlichen Großbetriebe und sie beweisen, dass es noch andere Möglichkeiten gibt. Aber man muss ihnen Zeit geben, denn die äußeren Bedingungen verändern sich ständig, - wir müssen das Endergebnis abwarten. "

    Aber wie viel Kapitalismus verträgt Kuba? Súarez Antwort könnte aus einem marxistischen Lehrbuch stammen...

    "Solange die wesentlichen Produktionsmittel in der Hand des Volkes bleiben, kann der Sozialismus soviel Kapitalismus aushalten, wie kommt."

    Es erscheint paradox, dass ausgerechnet der Erfolg des Kapitalismus auf Kuba dem Staat ermöglicht, den Kapitalismus selbst klein zu halten - denn er stärkt das Regime. Allerdings wächst mit ihm auch die Ungleichheit auf der Insel und einige haben offenbar auch den Mut, Missstände anzuprangern: Beispielsweise wird eines der größten Krankenhäuser Havannas gerade renoviert und umgebaut. Es soll später für zahlungskräftige Kunden aus dem Ausland wiedereröffnet werden. Eine leitende Ärztin hat aus Protest dagegen ihren Posten niedergelegt.