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"Double Sexus"

Hans Bellmer und Louise Bourgeois könnten Geschwister sein - zumindest was ihre Kunst angeht. Bellmers Gliederpuppen mit Kugelgelenken und Bourgeois' teils derbe Motive haben etwas gemeinsam. Nichts ist so wie man es kennt, alles ist irgendwo anders - oder doppelt.

Von Carsten Probst |
    Obwohl Hans Bellmer, geboren 1902, und Louise Bourgeois, Jahrgang 1911, ihren Lebensmittelpunkt teilweise zur gleichen Zeit in Paris hatten, sind sie einander doch nie begegnet. Ihre Arbeiten erscheinen auf den ersten Blick manchmal so ähnlich, dass man meinen könnte, sie seien miteinander verwandt. Die Ausstellung steigert manchmal noch absichtlich den Moment der Verunsicherung, indem sie ähnliche Formen von Bellmer und Bourgeois direkt nebeneinander stellt. Doch am Ende weiß natürlich auch die Kuratorin Kyllikki Zacharias, wie groß die Unterschiede zwischen beiden Künstlern sind. Die Ausstellung sei kein Dialog, sondern ein Nebeneinander zweier Monologe, sagt sie, doch am Ende scheinen auch die getrennten Wege der beiden sich wieder miteinander auf seltsame Weise zu verschlingen.

    Hans Bellmers künstlerisches Interesse für alles Sexuelle und seine figürlichen Experimente damit standen fraglos unter dem Einfluss der Surrealisten. Mit seinen Puppenskulpturen betreibt die Erforschung des Unergründlichen und Abseitigen, aber zugleich versteht er seine künstlerische Arbeit auch als Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Nach deren Machtübernahme 1933 beschloss er, keine nützliche gesellschaftliche Arbeit mehr zu leisten. Er siedelt von Berlin nach Paris über und erfindet eine Welt aus visuellen Scheinwesen, Puppen mit Gesichtsmasken, echten Haaren, und verschiedenen Gliedmaßen in natürlicher Größe, die er dann in verschiedenen Posen immer wieder fotografiert und die Bilder schließlich in künstlichen Rot-, Rosa- oder Grüntönen von Hand koloriert.

    Umgekehrt fragmentiert er reale Körper optisch dadurch, indem er sie mit Bändern verschnürt und fotografiert, so dass sie wie abstrakte Fleischskulpturen wirken. Seine Lebensgefährtin, die Dichterin Unica Zürn, stand ihm dafür Modell. Mit Louise Bourgeois teilt Bellmer eine Faszination für das obsessiv-erotische Werk von Georges Bataille, dessen unter Pseudonym veröffentlichter Roman "Histoire de L'OEil"/"Geschichte des Auges" von 1928 er in den 40er-Jahren illustrierte und dazu auch eine Fotoserie anfertigte, deren pornografische Anmutung die Ausstellungsmacher auch heute noch dazu veranlasst, sie unter Metallklappen zu verbergen und die Besucher davor zu warnen, dass ethische Auffassungen durch Betrachten dieser Bilder verletzt werden könnten. Schließlich sind Touristen die Hauptkundschaft der Staatlichen Museen zu Berlin.

    Louise Bourgeois bezieht sich mit einigen Stoffobjekten ebenfalls auf die Metapher des Auges bei Georges Bataille. "Le Regard" von 1966 ist eine aus Latex geformte Vulva, die zugleich wie eine blinde Augenhöhle erscheint. Ähnlich ein an einem Faden aufgehängtes, rotes Stoffobjekt "Le Maladie d'Amour"/"Die Krankheit der Liebe" von 2008, das an offene Schamlippen erinnert, zugleich aber auch Züge eines Gesichts trägt, während sich daneben ein Phallus mit blutrotem Schaft in die Höhe reckt. Während in Bellmers Puppenbauten eine Obsession von realen Frauen und fast eine art erotischer Ersatzhandlung zum Vorschein kommt, die er mit den Mitteln der Künstlichkeit zu beherrschen versucht, fokussiert Louise Bourgeois in ihren Arbeiten seit den 60er-Jahren immer wieder auf ein verletztes, zerstörtes, zweifelhaftes weibliches Selbst, das mit den Mitteln der Kunst fragmentarisch wieder zum Vorschein gebracht und geheilt werden soll. Sie baut die Verletzte und penetrierte Weiblichkeit zu einem Gegenmythos gegen die Ur-Figur des phallischen Vaters auf und wirkt dabei weniger besessen, als entlarvend, auf einer ständigen Spurensuche nach den zerstörerischen Folgen eines unausgesetzten Liebesverlangens, das nie an sein Ziel kommt.
    Bourgeois' Vorgehensweise, obgleich sie jegliche Psychologie ablehnt, ist doch von einer analytischen Selbstbeobachtung geprägt, die besonders in ihren Zeichnungen zutage tritt. Doch Bourgeois' Zeichnungen spielen in dieser Ausstellung leider kaum eine Rolle, während von Hans Bellmerneben den Puppenskulpturen überaus exquisite Zeichnungen zur Entwicklung von Körperfantasien zu bestaunen sind.

    Diese Einseitigkeit bei den Zeichnungen ist vielleicht der einzige Mangel dieser Ausstellung, die eine erstaunlich lapidare Alchimie zweier künstlerischer Körperobsessionen vorführt, und zwar weit jenseits des Skandalösen, dass viele der Werke in der Zeit ihrer Entstehung noch umweht haben mag. Bellmer und Bourgeois zielen auf jeweils eigene Weise auf Abgründe des Sexuellen mit einer Ausschließlichkeit, die in der Kunstgeschichte seit dem Marquis de Sade bis heute ihresgleichen sucht.