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Dr. Epo ist zurück

Der Doping-Arzt Michele Ferrari hat wieder Kunden im Profiradsport gefunden. Dies belegt eine Ermittlung der italienischen Polizei. Zehn aktuelle Profis aus fünf Teams sowie der zurückgetretene Lance Armstrong sind von den Vorwürfen betroffen. Die Hälfte der Fahrer ist beim kommenden Giro d' Italia gemeldet.

Von Tom Mustroph | 30.04.2011
    Radsportliebhaber wunderten sich bereits vor zwei Jahren. Damals begegneten ihnen auf den Straßen rund um St. Moritz einige Profis in ungewohnter neutraler Trainingskleidung. Gewöhnlich müssen die Ritter der Landstraße in der Kluft ihres Arbeitgebers die Trainingskilometer abspulen. Dass sie ausgerechnet in der Nähe des Wohnsitzes des berüchtigten Präparators Michele Ferrari in Tarnkleidung auftauchten, erregte den Verdacht, dass sie dessen Dienste trotz Verbots erneut in Anspruch nähmen.

    Mittlerweile hat sich diese Ahnung zu einer polizeilichen Ermittlung verdichtet. In der letzten Woche suchten einige uniformierte Ordnungshüter den Giro-Mitfavoriten Michele Scarponi und einen Mannschaftskollegen vom Team Lampre im Trainingslager am Vulkan Ätna auf. Sie stellten dort Medikamente und medizinische Aufzeichnungen sicher. Am Ätna wird am 15. Mai eine der spektakulärsten Etappen des diesjährigen Giro ausgetragen. Zeitgleich wurden Carabinieri am Gardasee im Quartier des russischen Rennstalls Katusha vorstellig.

    Den überraschendsten Fall stellt der amtierende italienische Meister Giovanni Visconti dar. Der 28jährige galt bisher als junges, neues und unbelastetes Gesicht. Doch auch ihm werfen die Ermittler laut italienischer Medien Kontakte mit Ferrari vor. Ins Visier geraten sind ebenfalls Viscontis Teamgefährte von Farnese Vini, Diego Caccia, und der Sky-Profi Morris Possoni. Alle drei sollen am Giro teilnehmen.

    Für Renndirektor Angelo Zomegnan ist das eine brisante Situation. Zwar ist noch kein offizielles Ermittlungsverfahren gegen die Verdächtigen eingeleitet. Auch die Sportjustiz hält sich noch zurück. Aber seit dem Jahr 2002 droht jedem von der UCI lizensierten Radprofi eine Sperre von drei bis sechs Monaten, wenn er sich mit Ferrari einlässt.

    Der selbst sehr unscheinbar wirkende Mediziner ist seit 27 Jahren im Radsport aktiv. Er führte zunächst Francesco Moser zum Stundenweltrekord. Er half dann Abraham Olano und Tony Rominger, aber auch Mittelklasse-Profis wie den einstigen T-Mobile-Angestellten Patrik Sinkewitz und Eddy Mazzoleni. Ferraris wichtigster Klient war Lance Armstrong. Ausgerechnet zum Höhepunkt ihrer Zusammenarbeit packte allerdings der Italiener Filippo Simeoni aus. Er erklärte, von Ferrari Epo erhalten zu haben und über Methoden zur Vermeidung positiver Tests aufgeklärt worden zu sein.

    Ferrari wurde 2004 wegen Dopings zu einem Jahr Haft verurteilt. Die Berufungsinstanz sprach ihn zwei Jahre später wegen Verjährung frei. Das Betätigungsverbot im Spitzensport blieb aber erhalten. Umso stärker ins Gewicht fällt daher die Information, dass Ferrari und Armstrong sich vor der letzten Tour de France trafen. Armstrongs Sprecher Mark Fabiani bezeichnete diese Zusammenkunft als ein privates Treffen. Die italienischen Ermittler untersuchten aber auch die Geldflüsse aus Übersee und aus Europa zu Ferrari. Es handele sich um mehr als private Kontakte, hieß es aus Ermittlerkreisen. In manchen Fällen gebe es auch Hinweise auf verbotene Medikamente, versicherten Ermittler auf Nachfrage. Giro-Direktor Zomegnan sieht dennoch keinen Anlass zum Einschreiten. Er schützt die verdächtigen Fahrer. Wer am nächsten Samstag eine gültige Lizenz hat, dürfe beim Giro starten, erklärte er dem Deutschlandfunk.

    Diese Linie verfolgt er auch bei der Personalie Alberto Contador. Erst nach dem Giro wird am Internationalen Sportgerichtshof CAS darüber entschieden, ob es sich bei dem Fund von Clenbuterol im Körper des Spaniers um ein Dopingvergehen handelt. Die Liste der Fahrer, die unter Verdacht stehen, wird wieder länger. Es zeichnet sich eine Renaissance der alten schlechten Sitten im Profiradsport ab.