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Drachen im Pop
Und er spie Feuer

Drachen sind faszinierende Wesen. Aber unser Bild der schuppigen Ungeheuer hat sich über die Jahrhunderte stets gewandelt. Der schwedische Illustrator Peter Bergting zeigt in seinem neuen Bildband das ganze Spektrum des Drachens in der Popkultur.

Von Tim Baumann | 23.07.2020
Ein Drache spuckt Feuer
Ein Ungeheuer, das Menschen zum Fressen gern hat: Drachen tauchen in der Popkultur in unterschiedlichem Gewand auf (Peter Bergting/Cross Cult )
"My teeth are swords, my claws are spears, my wings are a hurricane", prahlt der Drache Smaug in Peter Jacksons Verfilmung von J.R.R. Tolkiens Roman "Der Hobbit", als er den Helden in seiner Schatzkammer entdeckt. Und seine nadelspitzen Zähne, meterlangen Klauen und ledrigen Schwingen sind wahrlich furchterregend. Auch im Animationsfilm "Drachenzähmen leicht gemacht" nach der Buchreihe von Cressida Cowell scheinen Drachen geradezu zum Töten gemacht zu sein: "Verbrennt seine Opfer. Vergräbt seine Opfer. Erstickt seine Opfer. Kehrt das Innere seiner Opfer nach außen." Der Drache Ohnezahn aber wird hier zum Freund des Helden – und entspricht mit seinen großen, Augen, der hohen, runden Stirn und dem verletzten Schweif eher dem Kindchenschema.
Aber ob Bestie oder Schoßtierchen: Beide Drachenformen haben ihren Platz in Peter Bergtings reich illustriertem Buch "Drachen – Die geflügelten Bestien" gefunden. Dass Drachen so verschieden dargestellt werden, erklärt der schwedische Illustrator so: "Drachen wurden immer und immer wieder neu erfunden. Tatsächlich sahen sie bis vor Kurzem noch überhaupt nicht so aus, wie wir sie uns heute vorstellen. Sogar der Smaug aus dem Original-Hobbit sah überhaupt nicht so aus, wie wir ihn uns jetzt denken."
Scharfe Krallen, lederige Schwingen
Im Buch skizziert Bergting den Smaug in verschiedenen Varianten – unter anderem so, wie ihn sich Tolkien selbst vorgestellt hat, als er 1937 seinen Roman veröffentlichte. "Tolkien war auch ein wirklich guter Zeichner. Aber sein Smaug, der sah eher aus wie ein kleiner Fuchs. Na ja, ein ziemlich gewaltiger Fuchs natürlich, aber er hatte jedenfalls fuchsartige Züge."
Zu den gigantischen, schuppenbedeckten, Feuer und Gift atmenden Ungeheuern mit scharfen Krallen und lederigen Schwingen wurden die Drachen aber endgültig erst in den 70er-Jahren, so Bergting: "Im Grunde stammen unsere heutigen Drachen aus Fantasy-Rollenspielen. Dungeons & Dragons hat das Design von Drachen nachhaltig geprägt." Vorher war den Drachen nur gemein, dass es sich durchweg um Mischwesen handelte – meistens mit Anteilen einer Schlange.
Drachen wüten seit mehr als 4.000 Jahren
Geschichten vom Drachen erzählen sich die Menschen in fast allen Kulturen schon lange – die älteste schriftliche Quelle ist mehr als 4.000 Jahre alt und stammt aus Mesopotamien. Bergting glaubt aber, dass die Drachen schon viel länger Teil unserer Welt sind: "Der Drache ist eine dieser gewaltigen Kreaturen, die es schon gibt, seit die Menschen sich überhaupt Geschichten erzählen. Am Anfang war es auch gar kein gefährliches oder böses Wesen, das ist eine relativ neue Erfindung – in unserem Teil der Welt durch das Christentum und im asiatischen Raum durch den Buddhismus. Denn die brauchten ein mächtiges Symbol als Gegenspieler ihrer Religionen. Und so repräsentiert der Drache in unserer Mythologie auch den Teufel."
Drachen werden oft als Ungeheuer dargestellt, häufig sind sie aber auch intelligent
Ein Drache wütet vor einer Wand aus Feuer (Peter Bergting/Cross Cult)
Die Konsequenz dieser Gegnerschaft ist das Motiv des Drachentöters – Frau Mahlzahn, der Drache aus Michael Endes Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, bringt es auf den Punkt: "Wir Drachen sind eigentlich nur so böse, damit jemand kommt und uns besiegt." Die Weisheit Frau Mahlzahns ist kein Einzelfall: Drachen werden in aller Regel als hochintelligente Wesen mit starker Persönlichkeit dargestellt – im Westen sind sie häufig arrogant und böse, im asiatischen Raum stehen sie für Weisheit und Glück.
Drachen aus Asien auf dem Vormarsch
Asiatische Drachen erfreuen sich hierzulande wachsender Beliebtheit – ein frühes Beispiel dafür ist der Glücksdrache Fuchur aus der "Unendlichen Geschichte", richtig Konjunktur hat der östliche Drache aber erst, seit Mangas auch im Westen ihren Siegeszug angetreten haben.
In der Folge wird das Bild vom Drachen differenzierter. Das aktuellste Beispiel für ein komplexes Drachenbild finde sich in der Serie "Game of Thrones": "Wenn man sich Game of Thrones anschaut, kann man die Entwicklung von kleinen, süßen Drachenbabys hin zum großen, furchterregenden Drachen miterleben. Es macht Spaß dabei zuzusehen, wie sie immer größer und größer und immer hungriger und gemeiner werden."
"Game of Thrones" macht Drachen wieder populär
Der enorme Erfolg der Serie dürfte dazu führen, dass das uralte Konzept des Drachen noch lange Zeit Teil unserer Kultur bleiben wird. Umso erfreulicher ist das Erscheinen von Peter Bergtings "Drachen – Die geflügelten Bestien" - denn der Band enthält nicht nur eine fülle höchst gelungener Illustrationen, sondern bietet in kurzen Texten auch eine Einordnung der Porträtierten innerhalb des Fantasy-Genres. Die ist zwar nicht erschöpfend, inspiriert aber dazu, sich weiter mit den geschuppten Ungetümen auseinanderzusetzen, die die Menschheit von grauer Vorzeit an bis in die heutige Popkultur mal unterstützen, mal auffressen – aber immer begleiten.
Peter Bergting: "Drachen - Die geflügelten Bestien"
Cross Cult, Ludwigsburg.
128 Seiten, 25 Euro.