Archiv


Drahtseilakte im Netz

Netzpolitik. - Karten sind eine eminent politische Sache, vor allem wenn Staatsgrenzen auf ihnen eingetragen sind. Das bekommt auch ein Weltunternehmen wie Google zu spüren, wenn es sich in politisch heiklen Grenzgebieten festlegt. Beispiele dafür gibt es einige, und nicht alle stammen aus exotischen Weltgegenden.

Von Achim Killer |
    Am 20. Oktober 2010 ging geht bei der nicaraguanischen Regierung in Managua eine äußerst scharf formulierte Protestnote aus dem Nachbarland Costa Rica ein. In den Tagen zuvor hatten nicaraguanische Truppen unter Eden Pastora, genannt Commandante Cero, den Grenzfluss San Juan überschritten und auf costa-ricanischem Staatsgebiet, der unbewohnten Halbinsel Calero, die nicaraguanische Flagge gehisst. Aus solchen Anlässen entstehen für gewöhnlich Kriege. Dass dies in dem Fall nicht so war, dürfte wohl vor allem dem Umstand geschuldet sein, dass Costa Rica 1949 seine Armee abgeschafft hatte. Im Detail lässt sich nur schwer rekonstruieren, was vergangenen Oktober im Tropenwald am San Juan wirklich geschehen ist. Commandante Cero sagte der costa-ricanischen Tageszeitung La Nacion, er habe überhaupt keine Staatsgrenze verletzt, schließlich weise Google Maps die besetzte Halbinsel als nicaraguanisches Gebiet aus. Und die Regierung in Managua forderte Google auf, den in seinen Karten eingezeichneten Grenzverlauf so zu belassen. Google hat ihn inzwischen trotzdem geändert. Denn das Kartenmaterial, das der Suchmaschinenkonzern verwendet hat, war falsch.

    So etwas kommt öfters vor. Erst vergangenen Juli musste Google über 60 Grenzlinien auf seinen Karten ändern. Das Bild- und Landkarten-Material, das der Konzern von Spezialfirmen ankauft, ist verschieden hoch aufgelöst. Und manchmal stimmt es auch einfach nicht. So wie im Fall von Nicaragua und Costa Rica. Da hatte das US-Außenministerium eine falsche Grenze eingezeichnet. "Laufend verbessern wir all unsere Produkte", überschrieb der Konzern vergangenen Sommer die Mitteilung, dass viele Grenzen jetzt berichtigt seien. Und Google wird wohl chronisch nachbessern müssen. Drei Monate nach dem Großreinemachen überschritt Commandante Cero den San Juan.

    Und in diesem Frühjahr war Google dann noch in den deutsch-niederländischen Grenzkonflikt verwickelt. Den gibt es, seit Kaiser Friedrich III. 1464 den Reichsgrafen Ulrich I. mit Ostfriesland belehnte. Jener war ein schwacher Fürst, dem es nie gelang, seine Herrschaft auf sein ganzes Lehen auszudehnen. Und deswegen ist noch heute der Grenzverlauf zwischen den Niederlanden und Deutschland bei Emden umstritten. Dort mündet die Ems in eine Nordseebucht, den Dollart. Deutschland reklamiert nahezu den ganzen Dollart für sich. Und die Niederlande vertreten die Auffassung, die Grenze verlaufe in der Mitte der Bucht.

    Google Maps nun verwendet Karten der niederländischen Firma Tele-Atlas. Und die betrachtet – völkerrechtlich höchst eigenwillig - die gesamte Wasserstraße als niederländisches Hoheitsgebiet, einschließlich des örtlichen Binnenhafens, der mitten in Emden liegt. Als das entdeckt wurde, empörten sich dort wochenlang die örtlichen Lokalpatrioten. Vor ein paar Tagen zog Google dann eine neue Grenzlinie ein. Diese endet jetzt kurz hinter dem Dollart-Ufer und lässt – diplomatisch - deren weiteren Verlauf offen.

    Diplomatisch geht Google auch in Asien vor. Die Region Arunachal Pradesh ist zwischen China und Indien umstritten. Deshalb zeigen die lokalen Versionen von Maps, also die, die man unter der jeweiligen Landesdomain erreicht, auch verschiedene Grenzverläufe an. In der indischen Version gehört die Region zu Indien, in der chinesischen zu China, und in der internationalen Version sind die Grenzen gestrichelt eingezeichnet. Ebenso Kaschmir. Ditu, das chinesische Google Maps, weist einen Teil Kaschmirs als chinesisches Staatsgebiet aus, das indische Google Maps die gesamte Region als Teil des indischen Hoheitsgebiets. Eine pakistanische Version des Landkartendienstes gibt es nicht. Und in der internationalen Version sind die Linien gestrichelt eingezeichnet, entsprechend den jeweiligen Besatzungszonen. Man kann sich also auf Grenzverläufe, wie Google Maps sie zeigt, wirklich nicht verlassen.

    Nach dem Grenzkonflikt zwischen Nicaragua und Costa Rica bekam man beim marktbeherrschende Kartendienst denn auch kalte Füße. Und in der Zeitung La Nacion warnte Google, kein Staat solle die Karten verwenden, um in ein anderes Land einzufallen.