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Drehscheibe für den nordeuropäischen Film

1979 startete eine Gruppe von Studenten ein Filmfestival in Göteborg mit nur 3 Kinos und 3000 Besuchern. Heute ist das Göteborger Filmfestival das renommierteste Filmfest Nordeuropa und zieht mittlerweile über 100000 Besucher im Jahr an. 400 Filme werden in diesem Jahr gezeigt, 140 geladene Gäste werden erwartet. Auch wenn über 400 Filme aus allen Ländern der Welt gezeigt werden, im Wettbewerb konkurrierend nur nordischen Filme.

Von Daphne Springhorn |
    Was die geladenen Gäste und die Besucher am Göteborger Filmfestival so schätzen ist, dass es in Göteborg keine Trennung zwischen Schauspielern, Regisseuren und Publikum gibt. Auch ins Festzelt, wo jeden Abend eine andere Band spielt, kommt jeder rein. In der täglich erscheinenden Festivalzeitung stehen, der neueste Klatsch und Tratsch aktuelle Termine und Hinweise zum Seminarprogramm. Zum Filmfest ein Seminarprogramm anzubieten, das ist schon eine skandinavische Besonderheit: Veranstaltungen über Dokumentarfilme, Frauenförderung im Filmgeschäft, regionale und globale Filmmärkte, und übers Drehbuchschreiben, – selbstverständlich für jeden zugänglich, Schwedisch-Kenntnisse vorausgesetzt. Mit dem Seminarprogramm sollen aber auch kulturpolitische Akzente gesetzt werden: Beispiel: Soundtrack. Bisher ein Stiefkind der schwedischen Filmbranche, aber das soll sich jetzt ändern:

    Wir haben eine Musikindustrie, sagt Organisatorin des Seminarprogramms Mia Erikson, die bisher wenig mit der Filmbranche zusammengearbeitet hat. Deshalb wollen wir jetzt beide zusammenbringen. Die Musikindustrie wurde in Schweden politisch sehr gefördert und ist zwischenzeitlich sehr erfolgreich ist. Die Dänen haben umgekehrt vor allem in die Filmindustrie investiert und - wie man sieht - ebenfalls mit Erfolg.

    Was auch Anders Refn bestätigt, der als Produzent und Co-Regisseur mit Lars von Trier zusammenarbeitet:

    Hauptaufgabe des dänischen Filminstituts ist es seit Jahren, keine kommerziellen Filme, sondern Kunstfilme und Regisseure zu fördern. Deshalb sind die Filme so erfolgreich, deshalb konnten sich die Dogma-Filme, die ja eigentlich Low-Budget Filme sind, durchsetzen.

    Die Zahlen sprechen für sich: In Dänemark sehen sich 30% der Kinogänger dänische Produktionen an. Zahlen, von denen Deutschland nur träumen kann. Neben experimentellen Dogma-Filmen und Geschichten von charmanten Verlierern thematisieren die dänischen Produktionen, die in Göteborg laufen, neuerdings auch Immigrantenschicksale:

    Wir haben ziemliche Auseinandersetzungen mit unserer Regierung wegen der Integration unserer Immigranten und das zeigt sich eben auch in den Filmen, erklärt Anders Refn den neuen Trend.

    Sucht man nach Gemeinsamkeiten in den Filmproduktionen Dänemarks, Finnlands, Schweden und Norwegens, dann sind das die Filme rund um und über Mädchen. In dem Film "Suburban Virigins" erzählt die finnische Regisseurin Hanna Maylett, beispielsweise von einem Mädchen, dass unbedingt ihre Jungfräulichkeit loswerden will und sich deshalb in große Gefahr begibt.

    Der norwegische Regisseur Petter Naess hat ebenfalls die Nöte weiblicher Teenager im Blick, doch er hat daraus eine gelungene Komödie mit Tiefgang gemacht. Kein Wunder, dass Naess seine nächsten drei Filme in Hollywood drehen wird. Norwegen hat dann einen talentierten Nachwuchsregisseur weniger. Dabei hat Norwegen gerade erst begonnen seine eigene Filmsprache zu entwickeln: die Filmhochschule ist erst fünf Jahre alt.

    "Film wurde bei uns lange Zeit gar nicht als Kunst angesehen" , erzählt die Filmproduzentin Elin Sander, " das ändert sich nur langsam. Elin Sander hat in Bergen ihre eigene Produktionsfirma und ist auf dem Festival mit einem sehr persönlichen Dokumentarfilm im Wettbewerb vertreten. Überhaupt sind Dokumentarfilme in Norwegen sehr beliebt, weil sie so realitätsnah sind. Sie laufen nicht nur im Fernsehen, sondern auch in fast allen Kinos. 500.000 Besucher, immerhin ein Achtel der norwegischen Bevölkerung, haben beispielsweise letztes Jahr "Cool and Crazy" gesehen. Das Thema: ein Männerchor in Nordschweden.

    Wir dann mal etwas Gutes machen ist jeder überrascht, wir sind wie Underdogs und Underdogs haben mehr Freiheit, resümiert Sander den Stand der Filmproduktion in Norwegen. Für sie ist es jetzt wichtig, Filme zu machen, die auch außerhalb von Norwegen gesehen werden.

    Während die Norweger politische, problemorientierte Filme meiden, sind gerade solche Filme bei den jungen Regisseuren in Schweden derzeit wieder in Mode: "Risse in der Mauer" heißt die Filmadaption des gleichnamigen Romans von Lars Gustafsson. Wie kann der Einzelne festgefahrene gesellschaftliche Strukturen verändern?

    Vor 20 Jahren da gab es nur eine Vorstellung davon, was es bedeutet schwedisch zu sein, jetzt fängt eine neue Generation von Filmemachern an, verschiedene Lebensstile und Kulturen in Schweden zu thematisieren," resümiert Mia Erikson, Leiterin des Seminarprogramms in Göteborg.

    Um das ganze Film- und Seminarprogramm bewältigen zu können haben sich viele Schweden 10 Tage Urlaub genommen. 300 freiwillige Helfer halten den Festivalbetrieb am Laufen und sorgen dafür, dass das Göteborger Filmfest auch weiterhin eine Veranstaltung fürs Publikum bleibt. Und die Regisseure, Schauspieler und Produzenten geniessen es, einmal nicht im Rampenlicht zu stehen.