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Drehtür ABM

Eifrig hacken die 15 jungen Frauen auf ihren Personalcomputern, bunte Websites lassen sie fürs Magdeburger Jugendamt entstehen - bereiten zum Beispiel das Kindergartenangebot fürs Internet auf. "Eine gute und nachahmenswerte Qualifizierungs-ABM" sagt Heidi Brosza vom Verband der Arbeitsförderungsgesellschaften Sachsen-Anhalt stolz: Die jungen Frauen könnten doch später den Einstieg der mittelstädnischen Wirtschaft ins Netz organisieren. Hat das neue ABM-Zeitalter begonnen - werden sich die begehrten Informationstechnologie-Experten auch aus dem zweiten Arbeitsmarkt rekrutieren? - Im Gespräch mit der Verbandschefin geben sich die jungen Frauen skeptisch:

Anke Petermann |
    Das glaube ich nicht, dass wir in Arbeit kommen, wir machen Praktikum in Schulen, aber die können uns später nicht einstellen. Die Wirtschaft will ausgebildete Web-Designer ... aber Sie sagen doch nicht von vornherein, es ist zwecklos ... nein, nein, wir sind nur realistisch.

    Realistisch genug, um zu sehen, dass es für den ersten Arbeitsmarkt kaum reichen dürfte, wenn man die Anforderungen der Wirtschaft nur aus zweiter Hand vermittelt bekommt - von Lehrern eines Weiterbildungsinstituts und vom Projektleiter, der selbst ABM-Kraft ist. Praktika in einem Wirtschaftsunternehmen sind innerhalb dieses Programms nicht erlaubt, sagt bedauernd Ursula Fahtz, Chefin der zuständigen Magdeburger Beschäftigungsgesellschaft AQB, die zur Zeit Arbeit für 800 Menschen organisiert.

    Ursula Fahtz: 50 Prozent ist Qualifizierung, 50 Prozent Beschäftigung, bei Träegern, Vereinen oder Kommunen, ... ein Praktikum in der Wirtschaft ist nicht vorgesehen bei diesem Programm.

    ... das Teil der Regierungs-Offensive gegen Jugendarbeitslosigkeit ist. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen müssen flexibler organisiert werden - das ist eine Lektion, die der Kanzler auf seiner Sommerreise gelernt haben will. Für die jungen Frauen in der Internet-ABM dürfte diese Einsicht nicht mehr rechtzeitig kommen.

    Die angehenden Internetspezialistinnen um die 20, haben eine abgeschlossene Lehre und pendeln zwischen ABM, Weiterbildung und Arbeitslosigkeit, auf Hunderte von Bewerbungen haben sie Absagen kassiert: "Zu jung, zu wenig Berufserfahrung" heißt es meist:

    Ich bin 1995 nach der Lehre nicht übernommen, halte mich mit so was über Wasser, hab auch schon mal gearbeitet bei 'ner Zeitarbeitsfirma , war nicht das Richtige.. möchte dann auch 'n schönen Arbeitsplatz, 'n vernünftigen.

    Und bis der schöne komfortable Arbeitsplatz gefunden ist, scheint ABM auch unter jungen Leuten attraktiver zu sein als Zeitarbeit, die ja häufig einen Absprung ins "richtige Berufsleben" ermöglicht. Macht ABM der Wirtschaft die Arbeitskräfte abspenstig? Teilweise ja, sagt Helge Fänger, Vorstand der Serumwerk AG in Bernburg und Chef der Landesvereinigung der Arbeitgeberverbände Sachsen-Anhalt:

    Helge Fänger: Die Bereitschaft zur Arbeit wird dadurch nicht gefördert ... wir stellen ja auch ein ... wird ganz offen diskutiert, bei dem bisschen Lohn bleibe ich lieber in ABM, so lange Geld kommt, macht man sich keine großen Gedanken darum in Beschäftigung zu kommen ... flexibler zu sein.

    Ein Eindruck , der sich mit den Wissenschaftlichen Erkenntnissen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, kurz IWH, deckt. Unsere Untersuchungen haben ergeben, so Hilmar Schneider, Arbeitsmarkt-Experte am IWH:

    Hilmar Schneider: .. dass Teilnehmer einer ABM eher geringere Chancen haben, in Beschäftigung zu kommen, als vergleichbare Nicht-Teilnehmer ... das gibt zu denken.

    "9 Mark in ABM sind mir lieber als 7 Mark Stundenlohn auf dem ersten Arbeitsmarkt", bekennt ein ehemaliger Maschinenbauer, der in Magdeburg Grünanlagen pflegt. Ins Mikrofon möchte er das lieber nicht sagen.

    Auch Hans Bönigk kommt aus dem Maschinenbau, heute dirigiert der 59jährige Ingenieur einen Trupp ABM Kräfte. Sie gestalten das Gelände eines Magdeburger Reitsportvereins so um, dass behinderte Kinder hier demnächst reiten können, auch zu therapeutischen Zwecken. Die meisten Teilnehmer an dieser ABM sind über 50 und langzeitarbeitslos. Warum er und seine Mitarbeiter keine Chance auf eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt sehen, begründet Hans Böhnigk so:

    Weil man im Kapitalismus davon ausgeht, dass der Mensch mit 40, spätestens 45 kaputt ist, ich sehe das anders, aber das muss man so hinnehmen.

    Muss man nicht, kontert der Arbeitsmarktexperte Hilmar Schneider.

    Hilmar Schneider: Es würde für diese Menschen Arbeit geben, in GB, USA bekommen auch 60 jährige eine Tätigkeit . Es sind Gründe, die in Deutschland hausgemacht sind..

    Zu den "hausgemachten Gründen" später mehr. Zunächst bleiben wir bei der ABM im Reitsportverein und bei Projektleiter Hans Böhnigk. Selbst wenn der lieber eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt hätte - die Vorzüge der öffentlich geförderten Beschäftigung weiß er auch zu würdigen.

    Hans Böhnigk: Bei uns ist das Geld pünktlich auf dem Konto von der Bezahlung her ist ABM ein sicherer Job.

    Zwar liegt der ABM-Lohn bei 80 Prozent des Tarifgehalts, da in Ostdeutschland aber kaum Tarif gezahlt wird, trägt eine ABM-Kraft oft mehr nach Hause als die Berufskollegen in der freien Wirtschaft. Und angesichts der vielen existenzbedrohten Betriebe nimmt sich eine befristete Tätigkeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt oft vergleichsweise stabil aus. Hilmar Schneider vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle kommentiert:

    Wenn ich im zweiten Arbeitsmarkt bequemere Bedingung schaffe als im ersten, darf ich mich nicht wundern, wenn die Leute nur noch in den zweiten wollen ... aber auch nicht darüber, dass die Arbeitslosigkeit steigt.

    Denn, so Schneider, die ABM-Finanzierung aus der Arbeitslosenversicherung verhindert die Senkung von Lohnnebenkosten, macht Arbeit teurer und verschärft damit die Beschäftigungsprobleme:

    Und wenn wir jetzt übertrieben gesagt ABM abschaffen und Lohnnebenkosten senken, entstehen Arbeitsplätze... das sind dann aber Arbeitsplätze , die am freien Markt entstehen.

    ABM in großem Umfang treiben die Lohnnebenkosten in die Höhe - das ist das eine Problem. Als weiteres Problem sehen Kritiker der flächendeckenden ABM-Versorgung in den neuen Ländern die Inhalte der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Von der Bundesanstalt für Arbeit gefördert wird nur die Umsetzung sogenannter "zusätzlicher Aufgaben", staatliche Pflichtaufgaben dürfen nicht von ABM-Kräften ausgeführt werden. Damit soll sicher gestellt werden, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen keine öffentlich subventionierte Konkurrenz zur freien Wirtschaft werden. Nach der Einheit fanden Tausende befristete Beschäftigung im Abriss von maroden Industrieanlagen und der Sanierung von Altlasten. Heute sind ABM-Kräfte hauptsächlich im Tourismus, Garten- und Landschaftsbau, in der Denkmalpflege und im sozialen Bereich für Kommunen, Vereine und Wohlfahrtsorganisationen aktiv. Der Anspruch ist, so Heidi Brosza vom Landesverband der Arbeitsförderungsgesellschaften Sachsen-Anhalt:

    Es soll marktorientiert gearbeitet werden, für den Markt fit gehalten werden.

    Aber für welchen Markt?: die Baubranche in Sachsen-Anhalt schrumpft in Rekordgrößen, der Garten- und Landschaftsbau hat keine Jobs zu vergeben. In der Denkmalpflege haben nur bestens ausgebildete Spezialisten eine Chance. Fit halten für den Markt? Für das, was er beruflich tun will, gibt es keinen Arbeitsmarkt, weiß Frank Lucke, der für den Naturschutzbund Sachsen-Anhalt die Landschaftswacht in den geschützten Elbauen bei Magdeburg leitet - auf ABM Basis:

    ...Im Naturschutz auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ist unmöglich.

    Und wer Naturschutz zum Beruf machen will, der bewirbt sich deshalb auch gar nicht erst aus der Arbeitsbeschaffungsmaßnahme heraus, sondern setzt seine Energie darauf , die ABM zu verlängern und nach kurzer Unterbrechung wieder eine zu bekommen. Das ist der eine Haken an der Zusätzlichkeit von ABM. Der andere: Wo zwar notwendige, aber nicht unabdingbare Aufgaben erfüllt werden, schleichen sich Schlendrian und Wildwuchs vielleicht schneller ein. Das Bild von ABM-Kräften, die sich in den Grünanlagen am Straßenrand auf die Harke stützen und plauschen, ist wohl ein Klischee mit Wahrheitsgehalt. Gerade im "grünen Bereich", so kritisiert der Naturschutzbund in Sacchsen-Anhalt, werden zweifelhafte, ja schädliche Aktivitäten mit Geldern der Bundesanstalt für Arbeit gefördert. Winfried Lippoldes und Frank Lucke erläutern:

    Zum Beispiel das Putzen von Gräben und Gewessern, Abholzen von Staudenflora, Natur geschädigt wird.

    Legen die für den Osten typischen großen Beschäftigungsgesellschaften die Inhalte von ABM aus dem Bauch heraus fest? Heidi Brosza nimmt die Organisationen im Land Sachsen-Anhalt in Schutz.

    Heidi Brosza : ...ich denke, es ist notwendig, dass die Trägergesellschaften, für viele Menschen Beschäftigung organisieren. Die Arbeitsfördergesellschaften sind die, die schnell Sonderprogramme umsetzen ... auf Gesetzesänderungen reagieren.

    Zusätzlichkeit von ABM heiße auch, so betont Ursula Fahtz, Chefin der größten Magdeburger Beschäftigungsgesellschaft AQB: Wenn Radwege und Spielplätze nicht mit Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeit gebaut würden, dann gäbe es kaum neue:

    Die Kommunen wären mit ihrem Geld nicht in der Lage, es ist nur mit Förderung überhaupt zu realisieren.

    Augenwischerei, meint Hilmar Schneider vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle:

    Zu sagen diese Radwege würden nicht entstehen, ist nicht richtig. Die Frage muss lauten: warum soll die BA zuständig für den Bau von Radwegen für die Allgemeinheit sein .. das belastet die Lohnnebenkosten ... und ist ein Beitrag zur Entstehung von Arbeitslosigkeit.

    Drehtür ABM - dass die Vermittlungsquoten schlecht sind, bestreiten auch die großen Beschäftigungsgesellschaften nicht. Unter 3 Prozent Prozent liegt in der Magdeburger AQB der Anteil derer, die nach Abschluß der Maßnahme einen festen Job finden. Kein Wunder, dass die Chefin jeden der 800 der das schafft, mit einem Blumenstrauß verabschiedet. "Wir bauen ja eine Brücke sagt sie, nur - das andere Ufer, der erste Arbeitsmarkt, der fehlt. Und genau deshalb dürfe die Effizienz von ABM nicht allein an Vermittlungsquoten gemessen werden. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sind letzter Rettungsanker gerade für viele ältere Menschen, meint auch Gerlinde Kuppe, SPD-Sozialministerin von Sachsen-Anhalt:

    Die haben keine Chance, und es geht nicht dass eine ganze Generation ausgeklinkt wird... da muss ein anderes Maßnahmebündel greifen, eine 5 Jahre währenden Strukturanpassung mit Überbrückungsgeld.

    Der zweite Arbeitsmarkt, das ist wohl unbestritten - hilft im krisenge-schüttelteten Osten, den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten. Aber er gerät deshalb in die Nähe eines Tabus, an dem nicht gerüttelt werden darf. Sachsen-Anhalts DGB-Landesverband empört sich öffentlich über die Zitat "Statistik-Jongliererei" des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, das die aktive Arbeitsmarktpolitik diffamiere. Bei den Gewerkschaften und im SPD-geführten Landessozialministerium argwöhnt man, dass Bundesfinanzminister Eichel als Auftraggeber der IWH-Studie sozusagen auch Drahtzieher der Ergebnisse ist, die seine Sparpläne so wunderbar untermauern. Die SPD-Landesregierung verkündet brav, dass man im nächsten Jahr mit weniger Geld genau so viele ABM-Stellen finanzieren wolle wie in diesem. Und Heidi Brosza vom Landesverband der Arbeitsförderungsgesellschaften merkt an:

    Ich habe mit solchen Studien mein Problem... letztendlich seien die Arbeitslosen selbst schuld ...ist nicht produktiv.

    Doch der IWH-Arbeitsmarkt-Experte Hilmar Schneider ist davon überzeugt, dass man in Deutschland, insbesondere in den neuen Ländern, nur vorankommt, wenn man am Tabu ABM rüttelt und damit auch am Niveau der sozialen Sicherung sprich Sozialhilfe und Arbeitslosengeld.

    Wenn wir ein hohes Niveau haben ... zerstören wir Arbeit ... gerade die Arbeitslosigkeit gering Qualifizierter, ist drastisch angestiegen... müssen diskutieren welches Niveau sozialer Sicherung wir haben wollen und wieviel Arbeitslosigkeit wir bereit sind zu tolerieren... Wer meint , beides haben zu können , hohes Niveau und geringe Arbeitslosigkeit .. soll sagen wie das geht. Der Staat als Arbeitgeber ist nicht die Lösung.

    ABM-Gehälter weiter herunterzufahren oder ABM-Teilnahme als öffentliche Beschäftigung analog der Gemeinschaftsarbeiten von Sozialhilfeempfängern zu organisieren - das sind die umstrittenen Vorschläge des Instituts für Wirtschaftsforschung. Das im Anschluss an ABM gezahlt Arbeitslosengeld würde dann reduziert oder wegfallen. Davon versprechen sich die Wissenschaftler einen stärkeren Anreiz, als Alternative auch schlechter bezahlte Jobs anzunehmen. Eine Unverschämtheit, meinen Betroffene:

    Wenn das Geld abgesenkt würde, wäre das eine Schweinerei... wir bekommen ohnehin nicht so viel weil wir nie Tarif bezahlt bekommen haben. Ich fühle mich da verscheißert.

    Ein möglicher Mittelweg? Unlängst hat das Bundeskabinett grünes Licht für einen Modellversuch gegeben , der die Forderungen nach Niedriglohnsektoren einerseits und nach sozialer Abfederung andererseits unter einen Hut bringen soll. In vier Bundesländern sollen Niedriglöhne für Langzeitarbeitslose befristet subventioniert werden - ein neuer Ansatz in der Beschäftigungspolitik, den Arbeitgeber und Gewerkschaften im Bündnis für Arbeit mit tragen.