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Drei Farben: blau

Was der Golfclub für den stilvollen Outdoor-Sportfreund ist, ist der Rohkunstbau für Kunstliebhaber. Das Wasserschloß Groß Leuthen, ohne Frage ein Juwel, eine Stunde von Berlin entfernt, erlaubt es - so ein Einladungstext - sich "in vollkommen entspannter Atmosphäre auf den Ausstellungsparcours durch das Schloss zu begeben". Gestellt werden 12 Internationale Künstler und ein Ausstellungsthema: "Drei Farben Blau".

Von Carsten Probst |
    Immer noch hat man das Gefühl, die Bewohner des kleinen Dorfes Groß Leuthen zu stören, wenn man mit dem Auto aus Berlin hierherkommt. Was aber treibt eigentlich einen Mann wie Mark Gisbourne hierher? Gisbourne ist Historiker und vor allem ein international bekannter Kunstkurator. Normalerweise trifft man ihn auf den Biennalen dieser Welt. Als er im Jahr 2003 erstmals die Ausstellungsreihe Rohkunstbau im ausgedienten Wasserschloß von Groß Leuthen besuchte, war er, wie er sagt, sofort derart fasziniert von diesem Ort, dass er von 2004 an selbst die Ausstellungen als Kurator übernahm.

    Man scheut sich ein wenig, hier von einem "genius loci" zu sprechen, aber für Gisbourne hat dieses Schloß und seine Lage am stillen Groß Leuthener See etwas, das es zu einer gebauten Metapher macht. Zu DDR-Zeiten befand sich hier ein Kinderheim: Grund genug, die gequälten Kinderseelen von einst durch eine Reihe von internationalen Künstlern beschwören lassen, wie im letzten Jahr. In der Nähe befindet sich der riesige Soldatenfriedhof von Halbe, einem der größten Schlachtfelder des Zweiten Weltkriegs, seit der Wiedervereinigung alljährliche Aufmarschstätte von Neonazis. Der gesamte Boden ist historisch kontaminiert. Die verträumte Fläche des Sees und des Schloßparks liegt darüber wie ein spätromantischer Seelenspiegel eines erschütterten kollektiven Gedächtnisses. Kein Künstler ihn hätte es listiger und hintergründiger arrangieren können.

    Schon früher hat sich die Ausstellung Rohkunstbau um international renommierte Künstler bemüht. Unter Mark Gisbournes Kuratorschaft aber ist etwas Einzigartiges entstanden, eine Vielbezüglichkeit von Themen und ästhetischen Umsetzungen, die in Deutschland mittlerweile ihresgleichen sucht und inzwischen weit mehr ist, als ein Kunstfestival für Sommerfrischler aus Berlin. Manchmal scheint es, als plane Kurator Mark Gisbourne ganz bewußt am sommerlichen Festival-Charakter vorbei, um den eigenständigen Charakter dieses Kunstproduktes Rohkunstbau zu bewahren. Die Ausstellungstrilogie für die nächsten beiden Jahre, die in diesem Jahr beginnt, hat es jedenfalls thematisch in sich und wirkt eigentlich schon für eine normale Museumsschau unerhört abstrakt, auch wenn wieder Künstler mit klangvollen Namen beteiligt sind wie Mona Hatoum, Gregor Schneider oder Monica Bonvicini. Hier in der ostdeutschen Einsamkeit kann man noch experimentieren, scheint sich Gisbourne zu denken. Der Erfolg gibt ihm recht.

    Gisbourne hat seine Trilogie an dem berühmten Filmprojekt "Drei Farben: Blau-Weiß-Rot" des polnischen Regisseurs Kryzstof Kieslowski orientiert, die die französische Trikolore als Symbol der Aufklärung: Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit. Die Farbe Blau, als erste in dieser Trilogie, steht also für die Freiheit. Gisbourne selbst sieht die Markmechanismen des globalisierten Kapitalismus als größte zeitgenössische Bedrohung individueller Freiheit, obwohl gerade der so genannte Liberalismus natürlich das Gegenteil suggeriert. Nur eine einzige Installation gleich im Schloßeingang zeigt aber eine etwas aufbrausende skandalisierende Geste. Der Schweizer Künstler Costa Vece hat hier einen stacheldrahtbewehrten Sicherheitsbereich, eine Art militärischer Schutzzone aufgebaut, die vorgibt, die Freiheit zu schützen.

    Ansonsten überrascht die intellektuelle Intimität dieser Schau, die dem Publikum einiges an Feinsinn abverlangt. Jene Vogelkäfige, die Mona Hatoum gemeinsam mit Kindern in Tel Aviv gebaut hat, Käfige aus Gabeln oder wie Paläste, die kindliche Vorstellungen von häuslicher Gefangenschaft verbildlichen, sind Objekte, die man in ihrer Schauerlichkeit erst wirken lassen muss, obgleich sie so handhabbar daherkommen. Oder jene wassertropfengleichen Linsen, die Sylvie Barré in einem der Zimmer ausgelegt hat, dessen Fenster direkt auf den See hinausgehen. Einzelne Worte, halbe Sätze tauchen unter diesen Linsen auf wie Assoziationen, in denen Freiheit als ewiger Traum erscheint. Erst mit der Zeit versteht man, dass man sich an diesem Ort ohnehin wie in einem Traum bewegt. Die Wasserfläche assoziiert den freien Blick, man möchte am liebsten Schwimmen gehen oder mit dem Boot hinausfahren, ohne zu bedenken, wie unendlich einsam es dort auf dem Wasser sein kann. Das mag einer der Gründe sein, weshalb die Künstlerin Monica Bonvicini direkt vor den prächtigen Ausblick eine blinkende Leuchtschrift installiert hat, auf der es lakonisch heißt: "Not for you".