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Drei Jahre Friedensbemühungen um das Kosovo

Es ist still geworden um das Kosovo. Heute vor drei Jahren endete der Krieg der NATO gegen serbische Einrichtungen in Jugoslawien. Um das in den drei Jahren Erreichte mit anderen Regionen zu vergleichen, muss man mancherorts eine Zeitspanne anlegen, die mitunter zehnmal so groß ist. Besonders krass wird der Unterschied, wenn man den Vergleich zu Bosnien zieht, zum anderen großen Kriegsschauplatz der neunziger Jahre, das auch nach fast sieben Jahren Waffenruhe immer noch wirkt, als sei es wie Dornröschen in einen hundertjährigen Schlaf versetzt worden. Wenn denn einst der Prinz kommt und es aufweckt, geht alles genau da weiter, wo es seinerzeit unterbrochen wurde.

Norbert Mappes-Niediek |
    Meistens, ja fast immer ist im Kosovo die Dynamik positiv. Fliegt man etwa mit dem Hubschrauber von der Hauptstadt Pristina im Osten nach Peja im Westen des Landes, sieht man unten am Boden Hunderte und Tausende gleichfarbene, hellrote Flecken – neue Dächer aus den Ziegeln, die Hilfsorganisationen herbeigeschafft haben. Es wird rapide aufgebaut, Ruinen sind wenigstens auf dem Lande kaum irgendwo zu entdecken. Pristina wächst mit jedem Jahr um einige Quadratkilometer ins Land hinein, illegal zwar, aber doch respektabel, und an den Ausfallstraßen stehen neben den stolzen Wohnhäusern nun immer mehr Werkstätten, selbst kleine Fabriken.

    Die Sicherheitslage hat sich dramatisch verbessert. In den ersten fünf Monaten dieses Jahr haben sich im Kosovo nur noch 25 Morde ereignet, viermal weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs. In Pristina oder Prizren kann man heute auf der Straße wieder serbische Worte hören, man fürchtet offenbar nicht mehr, dafür umgebracht zu werden. Die albanischen Parteien, noch vor wenigen Monaten tödlich zerstritten, arbeiten in der neu gebildeten Regierung kooperativ zusammen. Sogar die Serben wollen jetzt mitmachen.

    Schritt für Schritt, so ist es geplant, sollen die internationalen Verwalter der UNO-Mission nun Kompetenzen an das im letzten Herbst gewählte Kosovo-Parlament abgeben. Bisher funktioniert es – beide Seiten sind im großen und ganzen zufrieden.

    Allerdings leidet auf diplomatischem Feld auch das Kosovo unter dem Dornröschensyndrom wie Bosnien. Auch hier steht noch eine weitere Runde bevor – vielleicht keine kriegerische, aber doch eine schwierige politische. Der völkerrechtliche Status der UN-verwalteten Provinz ist nämlich noch immer ungeklärt – die Resolution des Weltsicherheitsrats, die für die internationale Verwaltung das Grundgesetz bildet, verrät nicht, was aus dem Kosovo einmal werden soll. Nur eine, wie es heißt, "substanzielle Autonomie" soll die Provinz erhalten, was immer das genau bedeuten soll.

    Seit heute vor drei Jahren die NATO ins Kosovo eingerückt ist, hat sich in der Frage nichts bewegt. Alle albanischen Parteien kämpfen nach wie vor für die volle Unabhängigkeit des Kosovo. Eine Rückkehr zum weiter zerfallenden und inzwischen sogar umbenannten Jugoslawien können sie sich nicht vorstellen. In Belgrad hat man zwar längst andere Sorgen, und es glaubt auch niemand mehr ernsthaft, dass das Gebiet dort unten tatsächlich wieder ein Teil Serbiens werden könnte. Aber keines der beiden zutiefst zerstrittenen Lager um Vojislav Kostunica und um Zoran Djindjic kann es sich leisten, in der Frage des Kosovo das kleinste Zugeständnis zu machen, ohne sofort vom Gegner gestellt zu werden. So passiert eben einfach nichts.

    Das Problem ist nach bewährter Sitte auf unbestimmte Zeit vertagt. Schon Bernard Kouchner, der erste internationale Verwalter des Kosovo, entwickelte in seiner Not schon 1999 die Formel "Standards vor Status": Erst sollten die Kosovaren beweisen, dass sie in der Lage sind, einen demokratischen Rechtsstaat zu organisieren; dann erst sollte die Frage des Status wieder aufs Tapet kommen. Inzwischen haben Kommunal- und Parlamentswahlen stattgefunden, ein Präsident und eine Regierung wurden gewählt, aber vom endgültigen Status ist noch immer keine Rede. Unter dem Dänen Hans Haekkerup, dem zweiten Verwalter, passierte wenig.

    Mit dem deutschen Top-Diplomaten und früheren Berater von Bundeskanzler Schröder, Michael Steiner, steht nun seit Februar wieder ein ehrgeiziger und dynamischer UNO-Sondergesandter an der Spitze des Landes. Aber am Status des Kosovo kann auch Steiner nichts ändern – über ihn entscheidet irgendwann einmal der Weltsicherheitsrat. Steiner hat Kouchners Formel "Standards vor Status" wieder aufgegriffen und klar präzisiert:

    Dieser Vorschlag, den ich detailliert habe in acht Benchmarks, ist vom Sicherheitsrat mit fünfzehn zu null Stimmen angenommen worden. Darüber bin ich sehr froh. Aber ich bin noch froher darüber, dass das gesamte Parlament, alle politischen Führer hier diesen Vorschlag auch endossiert haben. Das heißt: Wir haben einen internationalen und Kosovo-weiten Konsens über genau diese Schritte, und diese Schritte entsprechen auch haargenau dem Interesse der Menschen hier.

    "Benchmarks" sagt Steiner im hier üblichen Diplomatenenglisch – was etwa soviel heißt wie Eckpfeiler und sich im Zusammenhang gut mit "Standards" wiedergeben lässt. Gemeint sind Standards für eine funktionierende Gesellschaft: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, vollständige Bewegungsfreiheit für alle, persönliche Sicherheit. Die Flüchtlinge, Serben und andere Minderheiten, sollen eine rechtliche und tatsächliche Rückkehrmöglichkeit haben, ein Dialog mit Belgrad soll beginnen.

    Das deckt sich in der Tat nicht ganz, aber doch sehr weitgehend mit dem, was die Kosovaren ohnehin wollen. Ihre Politiker haben in ihrer bisherigen Karriere allesamt bloß für Freiheit und Unabhängigkeit gekämpft und Reden geschwungen – in der Regierung eines Gemeinwesens haben sie keinerlei Erfahrung. Pathos allein reicht nicht mehr, jetzt ist Effizienz gefragt. So sieht es auch der Verleger Blerim Shala, ein sehr genauer Beobachter des politischen Lebens im Kosovo, der zu entscheidenden Gelegenheit auch immer wieder selbst in die Politik eingegriffen hat.

    Wir müssen konkrete Probleme anpacken, sehr konkrete Probleme. Zum Beispiel die illegale Bautätigkeit in Pristina. Wenn ich der Bürgermeister von Pristina bin und ich setze dem ein Ende, glauben Sie mir, dann bin ich für meine Bürger der Held. Wenn ich politische Probleme anpacken will, muss ich keinen Streit anfragen und auch nicht immer wiederholen, dass wir die Unabhängigkeit verdient haben. Das wissen meine Wähler ja sowieso.

    Persönliche Sicherheit, Rechtssicherheit, eine gute, nicht korrupte Verwaltung – das ist es in der Tat, was die Wähler wollen. Wenn es darum geht, im Kosovo ein funktionierendes Gemeinwesen zu schaffen, dann hat Steiner die Bevölkerung hinter sich. Aber an den inneren Zusammenhang zwischen der Erfüllung der so genannten "Benchmarks" und dem endgültigen Status des Kosovo glauben die Kosovaren weniger. Blerim Shala:

    Wir sind jetzt in der zweiten Phase. Wir müssen eine starke Demokratie aufbauen, und diese Benchmarks haben ja auch alle mit dem Aufbau einer normalen, demokratischen Gesellschaft zu tun – mit dem Zweck, das Kosovo für eine Debatte über den endgültigen Status vorzubreiten. Andererseits waren die Reaktionen auf die Standards aus Brüssel, New York und sogar aus Washington nicht allzu gut. Die sagen: Selbst wenn die Kosovaren die Standards alle erfüllen, werden immer noch wir über den endgültigen Status entscheiden.

    Gut, sagt man sich in den westlichen Hauptstädten: Demokratie und Rechtsstaat sind per se wichtig und richtig. Und wenn wir mit unserer Entscheindungsgewalt über den endgültigen Status ein Mittel in der Hand haben, die Kosovaren auf diesen Weg zu locken, warum es dann nicht einsetzen? Allerdings ist der feste Zusammenhang von Demokratie auf der einen und Unabhängigkeit auf der anderen Seite von niemandem festgeschrieben worden.

    Über den Status des Kosovo entscheidet der Weltsicherheitsrat, und dort sitzen auch die Gesandten von Moskau und Peking, beide mit Vetorecht. Wer sagt den Kosovaren, dass am Ende das erfolgreiche Lobbying der Belgrader Regierung in Moskau weit wichtiger für ihren endgültigen Status sein kann als die Mustergültigkeit ihres Gemeinwesen? Michael Steiner spürt diesen Widerspruch sehr wohl und trachtet entsprechend danach, die beiden Ziele, Demokratie und Unabhängigkeit, auch inhaltlich miteinander zu verbinden.

    Eins ist aber klar. Erst mal wird es keine Rückkehr zum Status quo ante geben. Zweitens ist auch klar, dass es um eine substanzielle Autonomie geht, wie immer man die dann ausformuliert. Diese substanzielle Autonomie, d.h. substanzielle Selbstregierung, können Sie nur ausfüllen, wenn Sie ein regierungsfähiges Gebilde haben. Also müssen wir erst regierungsfähige Institutionen schaffen, müssen wir erst ein funktionierendes Rechtswesen schaffen, müssen wir hier erst Sicherheit in die Straßen bekommen und die Ökonomie aufs Gleis setzen. Ich stelle Ihnen einfach die Gegenfrage: Wenn Sie einen normalen Kosovaren fragen, es mag immer Verrückte geben, einen normalen Kosovaren: Was willst du lieber? Willst du jetzt die Unabhängigkeit auf dem Papier - was heißt, dass der Steiner geht -, oder willst du, dass erst mal die Internationalen beim Aufbau einer respektablen Gesellschaft helfen, in der es auch Zukunftschancen gibt, und dann adressieren wir die Statusfrage?

    ...dann, da wird man Steiner zustimmen dürfen, wird er sich dafür entscheiden, dass der Steiner bleibt, vorerst wenigstens. Das sieht auch Blerim Shala so. Nur bezweifelt er, dass der Plan "erst Demokratie, dann Unabhängigkeit", tatsächlich funktionieren kann.

    Steiner hat ein Problem mit den Vereinten Nationen und der Europäischen Union. Sie wollen Erfolg im Kosovo, aber sie halten ihm meistens mehr oder weniger die Hände gebunden. Was immer Steiner auch tut, ob es uns gefällt oder nicht, immer rührt er an die Frage des endgültigen Status.

    Steiners Konzept beruht jedoch auf der Annahme, dass demokratische Entwicklung auf der einen und Unabhängigkeit auf der anderen Seite sich zueinander verhalten wie der Weg zum Ziel. Das Ziel steht fest, und die Läufer suchen den Weg, der am schnellsten dorthin führt. Er gibt ein erhellendes Beispiel:

    Nur da, muss ich sagen, ganz ähnlich wie bei der EU-Erweiterung: So wie dort die Kandidatenländer es in erster Linie in der Hand haben, wie schnell sie der EU beitreten können, so haben auch die Kosovaren und ihre gewählten Vertreter es vor allem selbst in der Hand, wann sie den Status erreicht haben und einer der entscheidenden Gradmesser wird natürlich die Freizügigkeit und die Rückkehrfrage sein.

    Aber dass sie es wirklich in der Hand haben, bestreiten die Kosovaren ganz entschieden. "Dialog" mit Belgrad etwa ist eine der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, bevor über die Unabhängigkeit des Kosovo geredet werden kann. Ein solcher Dialog ist unter den Albanern im Kosovo weder populär, noch zeigen ihre politischen Führer dazu irgendeine Bereitschaft. Aber: Selbst wenn, gehören zu einem Dialog doch immer zwei.

    Ein anderes, aktuelles Beispiel für den vertrackten Zusammenhang ist die anstehende Privatisierung. Damit die Wirtschaft aus der Phase des Neubaus von Videotheken und Internet-Cafés herauskommt, müssen die öffentlichen Betriebe mit ihren ausgedehnten Grundstücken privatisiert werden. Aber solange der Status des Kosovo nicht geklärt ist, wird kein Investor kommen. Steiner hat in seiner Not entschieden, mit der Privatisierung trotzdem zu beginnen – Investoren sollen den Kaufbetrag auf ein Sperrkonto zahlen und bekommen den Betrag zurück, wenn am Ende doch die Republik Serbien das Eigentum am erworbenen Grund zugesprochen bekommt. Aber unter solchen Bedingungen baut kein Käufer eine Produktion auf – er wird höchstens die Räume vermieten und das Land verpachten, um Miete einzustreichen.

    Die demokratischen Institutionen schließlich funktionieren nur dann auch unter Einschluss der Serben, wenn Belgrad wenigstens still hält. Einfach ausklammern und vertagen lässt sich das Statusproblem in den seltensten Fällen. Je weiter das Kosovo zur Normalität zurückkehrt, desto stärker wird das Problem. Blerim Shala:

    Steiner wird sich ständigen Anschuldigungen des serbischen Kosovo-Beauftragten Covic, des Präsidenten Kostunica und anderer ausgesetzt sehen, die vielleicht täglich in Brüssel, New York und Washington anrufen und sagen: Der Typ geht zu schnell voran und er geht zu weit. Wenn er dies oder das tut, dann präjudiziert er die Unabhängigkeit des Kosovo. Andererseits braucht Steiner unbedingt den Erfolg. Er ist nicht der Mann, der herumsitzt, Kaffee trinkt und auf die neuesten Nachrichten von CNN wartet. Er will den Erfolg.

    So läuft Steiner Gefahr, zum natürlichen Verbündeten der Kosovo-Albaner zu werden, wenn sie nach der Unabhängigkeit streben: Wer hier Erfolg haben will, darf die komplizierte Entwicklung des Landes nicht auch noch mit Belgrad abstimmen, das an einem solchen Erfolg gar kein besonderes Interesse hat. Dass das Kosovo wieder serbisch dominiert sein wird wie zur Milosevic-Zeit, glaubt auch dort niemand. Aber mit der völkerrechtlichen Oberhoheit über das Kosovo hat man in Belgrad immerhin ein Pfand in der Hand, das sich zu gegebener Zeit gegen etwas anderes eintauschen lässt.

    Eine Idee, die von serbischer Seite immer wieder ventiliert wird, ist die Teilung des Kosovo: Der vorwiegend serbisch besiedelte Norden und vielleicht auch der wegen seiner Geschichte und seiner Klöster emotional besetzte Nordwesten soll an Serbien fallen, die Stadt Mitrovica am Rande des Gebiets würde endgültig geteilt, der Rest würde unabhängig oder gar ein Teil Albaniens.

    Solange die Frage der Teilung offen bleibt, können im Kosovo kaum Entscheidungen getroffen werden – nichts behindert die UNO so sehr wie diese Aussicht. Um sein Konzept dagegen zu stellen, geht Steiner bis an die Grenze dessen, was ein Gesandter des UNO-Generalsekretärs sagen darf – und über das hinaus, was er den Kosovaren eigentlich versprechen kann:

    Erst einmal: Kosovo wird eine Einheit sein auf dem Weg nach Europa. Zweitens: Sie wird ungeteilt sein, es wird keine Teilung geben, und drittens: Es wird keinen Status quo ante geben. Es wird nie mehr so sein wie es war bis 1999. Und das ist, was die Menschen wirklich wollen. Sie wollen keine Fremdherrschaft, keine Unterdrückungsherrschaft aus Belgrad – und dieses können wir ihnen schon heute sagen. Wir wissen nicht wie die substanzielle Autonomie aussehen wird, das ist wahr, aber wir können sagen, wie sie nicht aussehen wird.

    Ein wichtiges Kriterium für den Weltsicherheitsrat wird in jedem Falle sein, was aus den Zehntausenden Serben wird, die nach dem Juni 1999 aus Angst vor Mord und Raubüberfällen das Land verlassen haben und zum Teil gezielt vertrieben worden sind. Bisher ist kaum jemand zurückgekehrt. Michael Steiner, der vor seiner Zeit als Berater des Bundeskanzlers zweiter Mann beim Hohen Repräsentanten in Bosnien war, gibt sich optimistisch:

    Wir können hier eine Parallele ziehen zu Bosnien. In Bosnien sah die Rückkehr von Flüchtlingen in Minderheitengebiete am Anfang zappenduster aus. Ich habe selbst meine Zweifel gehabt, dass das möglich sein wird. Heute, nach ein paar Jahren, können wir feststellen, dass 200.000 Menschen in Minderheitengebiete zurückgekehrt sind.

    Im Unterschied zu den Bosniern aber, die meistens im Krieg und von einem Augenblick zum anderen vertrieben wurden, haben die Kosovo-Serben in der Regel ihr Eigentum an Grund und Boden verkauft, bevor sie gingen, und in nicht wenigen Fällen auch noch danach. Schon lange vor dem offenen Konflikt zeigten die meisten Serben wenig Neigung, in albanischer Umgebung und unter albanischer Regierung im Kosovo wohnen zu bleiben. Wer irgend konnte, verließ das Land schon in den achtziger Jahren. Im dicht besiedelten Kosovo sind die Grundstückspreise weit höher als in Serbien. Wer also jetzt sein Haus im Kosovo an einen Albaner verkauft hat, konnte sich danach in Serbien ein viel größeres kaufen. Niemand will diese Verträge rückgängig machen, auch die Uno nicht. Die Flüchtlingsrückkehr in den Kosovo hat also gute Chancen, zu einer Geisterdebatte zu werden.

    Steiner vermeidet es als erfahrener Diplomat zu sagen, wann die Standards im besten Falle erreicht werden können. Blerim Shala hat eine klare Meinung dazu: Es könnte schnell gehen, glaubt er – aber es wird nicht schnell gehen, weil das ganze Konzept so nicht funktionieren kann:

    Die Standards ließen sich unter normalen Umständen in einem oder zwei Jahren erreichen, aber mit dem zu erwartenden Widerstand aus Belgrad und selbst aus Brüssel werden sie nie erreicht. Das ist das Problem. Denken wir nur an die Frage der Flüchtlingsrückkehr, die ja sehr wichtig ist und eine absolute Verpflichtung für Steiner, für UNMIK, für die kosovarischen Regierungsstellen. Aber die Dinge hängen ja bekanntermaßen nun mal zusammen. Drei Fragen stellen sich, wenn es um die Serben geht: Nord-Mitrovica mit dem Nord-Kosovo, die serbischen Enklaven und die Rückkehr der Flüchtlinge, alles sehr wichtig. Steiner kann nur dann erfolgreich sein, wenn er alle drei Probleme zur gleichen Zeit löst. Versuchen wir, nur eines davon herauszugreifen, so werden wir scheitern. Wir werden nur dann erfolgreich Flüchtlinge zurückbringen können, wenn Mitrovica wieder vereinigt wird und wenn die Serben in den Enklaven sich frei bewegen können. Dieses Problem wird Steiner dauernd umkreisen, denn Belgrad will dabei gar keinen Erfolg. Dort denkt man: Erfolg bedeutet Unabhängigkeit. So werden sie die Frage der Teilung offen halten und wenig hilfreich sein, wenn es gilt, die Probleme der Enklaven zu lösen.

    Behält Shala recht, so erlebt das Kosovo zur Zeit wohl nicht mehr als eine kurze Atempause zwischen der chaotischen ersten Nachkriegszeit und einer Phase des politischen Stillstands und daraus resultierender Konflikte. Dass sich nämlich dann, wenn politisch nichts voran geht, eine Ruhe über die ganze Gesellschaft legen würde, darf man im wilden Kosovo noch viel weniger erwarten als in Westeuropa, wo diese Rechnung ebenfalls nicht aufgeht. Wenn die gemäßigten und oft nur mühsam ins Boot geholten Parteiführer keine Erfolge vorzeigen können, profitieren sofort die zahlreichen kriminellen Banden und Kartelle im Lande, die sich gern und meistens erfolgreich als patriotisch und national maskieren – übrigens nicht nur auf der albanischen, sondern auch auf der serbischen Seite. Steiner ist sich der Gefahr bewusst:

    Ich glaube nicht, dass die internationale Gemeinschaft gegenüber der UCK am Anfang ausreichend energisch aufgetreten ist – wie sie das auch nicht ist in Mitrovica, und es ist natürlich sehr schwer, danach die Entwicklungen zurückzuholen. Das ist unser Problem, mit dem wir uns hier herumschlagen, ich gebe zu, das ist nicht einfach, und hier kämpfen wir immer gegen einen Strom im Kosovo. Das ist nun mal die Lage und das können wir nicht anders machen.

    Inzwischen hat das Problem eine neue Facette bekommen: Sobald die Autonomie-Einrichtungen der Kosovaren zu funktionieren beginnen, werden sie interessant für das organisierte Verbrechen. Öl- und Zigarettenschmuggler, Frauen-, Drogen- und Waffenhändler, die hier wie überall sonst auf dem Balkan frei agieren. Sie sehen die Chance, in einen entstehenden Apparat einzudringen, ihn sich gefügig zu machen und ihre Geschäfte weiterzutreiben.

    Bleibt den sauberen Kosovo-Politikern der Erfolg versagt, so haben sie gegen die kriminelle Szene schon gar Chance. Spätestens, wenn die Szene in München, Stuttgart oder Berlin ihr Unwesen treibt, wird Europa begreifen, dass das bloße Abwarten sich wieder einmal nicht gelohnt hat.