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Drei Kommissariate unter einem Dach

Von außen sieht das ehemalige Schulhaus in Baden-Baden unscheinbar aus. Doch drinnen verbergen sich drei Kommissariate, eine Zelle, ein Abhörraum, ein Labor, eine Pathologie und eine Wohnung. Um Kosten zu sparen, hat der SWR die Sets seiner drei Tatort-Kommissariate unter einem Dach vereint.

Von Elena Gorgis | 06.09.2011
    "Ok, dann sind wir so weit. Achtung, wir drehen und bitte!"

    Ein Mann läuft unruhig in seiner Küche auf und ab. Hektisch setzt er sich an den Tisch, durchblättert ein Telefonbuch. Er sieht besorgt aus. Hastig und mit gerunzelter Stirn tippt er eine Nummer in sein Telefon ein:

    "Kopper hier, Kripo Ludwigshafen, sagen Sie, ist meine Kollegin bei ihnen?"

    Es ist Mario Kopper, Kommissar der Ludwigshafener Kriminalpolizei. Seine Kollegin Lena Odenthal ist verschwunden. Womöglich entführt. Natürlich nicht im realen Leben - sondern in der ARD-Serie Tatort. Das lässt sich aber leicht vergessen. Denn das Set ist realistisch eingerichtet. Auf dem Holzküchentisch stehen eine Thermoskanne und eine Schale mit bunten Früchten. Naja, mit Plastikfrüchten. Eine hellgrüne Einbauküche im Hintergrund, ein Regal mit Pfannen, Töpfen und Weingläsern seitlich an der Wand.

    "Das machen wir noch mal. Aus!"

    Doch ganz perfekt ist die Illusion nicht. Die Küche geht über in einen abgedunkelten, engen Raum, der voller Menschen ist. Das Drehteam. Dicht nebeneinander drängen sich Kamera- und Tonmann, Regisseur und Assistent, Redakteurin mit Drehbuch, Aufnahmeleiterin und Maskenbildner.

    "Da müsste man dann hier auch Lesík sagen und nicht Lesig."

    In der Küche wird eine weitere Folge des Ludwigshafener Tatorts gedreht. "Der Wald steht still und schweiget", heißt er. Mario Kopper, seit 15 Jahren gespielt von Andreas Hoppe, trägt wie immer nackenlange Haare, Jeans und Cowboystiefel. Es bilden sich kleine Schweißperlen auf seiner Stirn.

    "Kurt? Kannst Du mir bitte noch einmal das Handtuch geben?"

    Die vielen Leute am Set machen die Luft warm und stickig. Einfach so das Fenster aufreißen geht beim Drehen aber nicht. Schließlich sind die Lichtverhältnisse genau abgestimmt. Dennoch spielt Andreas Hoppe die Szene geduldig, immer wieder - bis der Regisseur zufrieden ist.

    "Manchmal ist das auch ein bisschen so, dass man ein bisschen Ruhe braucht. Mir geht das so, ich bin da manchmal ein bisschen empfindlich. Wenns dann zu laut wird und man wirklich sich konzentrieren muss und das eine Weile geht oder der Raum sehr eng ist, dann ist das manchmal schon echt schwierig. Das kostet sehr viel Konzentration, auch Disziplin, sich da Ruhe zu bewahren, ja sein Temperament im Zügel zu halten."

    Im Ludwigshafener Tatort wohnt Kommissarin Lena Odenthal mit ihrem Kollegen Mario Kopper zusammen. Küche und Zimmer sind über einen engen Flur verbunden. Folgt man ihm, steht man plötzlich im Treppenhaus einer ehemaligen Schule. Vor fünf Jahren wurde der Neubau mit Spitzdach in Baden-Baden umfunktioniert. Er beherbergt jetzt die Sets für alle drei Tatort-Kommissariate des SWR: Stuttgart, Ludwigshafen und Konstanz. Produktionsleiter Jens Weißenrieder und Setbildner Klaus-Peter Platten haben an der Entstehung des Tatort-Hauses mitgewirkt. Platten hat die Kulisse, die sogenannten Sets entworfen. Weißenrieder ist als Produktionsleiter für die Finanzen verantwortlich. Er schließt eine kleine unscheinbare Tür im dritten Stock auf. Sie öffnet sich in einen lichtdurchfluteten, großen Raum.

    "Das ist jetzt ein ganz anderes Kommissariat mit ganz anderer Ausstattung. Angepasst an Stuttgarter Verhältnisse, Stuttgarter Außenanbindungen. Hier sitzen die Kollegen Lannert und Bootz, Richy Müller und Felix Klare."

    Hohe Fenster, hellgrün gestrichene Wände, Holztische, Parkett, zur Linken liegt eine gemütliche Teeküche, nach hinten öffnet sich eine Flucht in einen langen Flur. Das Stuttgarter Kommissariat soll aussehen, als wäre es in einem Haus der Gründerzeit angesiedelt. Hier scheint die Illusion perfekt. Zumindest auf den ersten Blick. Auf den Zweiten sind die Holztische doch aus Plastik und das Parkett im warmen Sonnenlicht sieht eher nach PVC aus. Plattner blickt gequält:
    "Da wir finanziell uns auch einschränken müssen, kann man kein echtes Parkett hier verlegen, sondern ist auf PVC oder ähnliches Material angewiesen."

    Im Fernsehen ist das nicht zu erkennen. Die Kamaras lassen alles edler als in echt aussehen. Und als Glamourserie ist der Tatort sowieso nicht bekannt. Er wird gerade wegen seiner Bodenständigkeit geliebt: In deutschen Kommissariaten gibt es nun einmal nicht immer die neuesten Computer oder die schicksten Büromöbel.

    Die drei Tatort-Kommissariate unter einem Dach stehen immer bereit. Scheinwerfer vor den Fenstern simulieren den Sonnenschein und sind immer angeschaltet, auch bei gutem Wetter. Einige Räume teilen sich die drei Tatorte sogar. Labor und Pathologie sind immer gleich.

    Die Pathologie liegt im Erdgeschoss. Jens Weißenrieder steigt die Treppen hinab, bis er vor einer großen Schiebetür steht, die aussieht, als gehöre sie zu einem Kühlraum. Er zieht sie auf:

    "Jetzt sind wir in der Pathologie."

    Auch hier sieht alles realistisch aus. Zwei Tische mit einer Oberfläche aus Stahl. Es sind gebrauchte Exemplare aus der Pathologie in Leipzig. Dahinter emaillierte Waschbecken und zahlreiche braune Gläser, Pipetten, Glaskolben - teilweise mit Substanzen gefüllt. Ein wenig gruselig sieht es schon aus. Aber es ist lange nicht so gruselig wie zu der Zeit, als die Tatorte tatsächlich noch in einer Pathologie gedreht wurden, erzählt der Produktionsleiter.

    "Echte Pathologie ist krass. Die Pathologen, die sind manchmal ein bisschen Hardcore drauf. Also das heißt, für die ist es ganz normal, dass die neben einem aufgesägten Kopf stehen und dass auf dem Tisch ein bisschen Knochenstaub von irgendwelchen Sägemaßnahmen da herumliegt. Das kann durchaus sein, dass die dann ihr Vesper-Brot nebendran aufbauen und dann ganz normal frühstücken."

    Manchmal ist es also ganz gut, in einer Kulisse und nicht am Originalschauplatz zu drehen. Weißenrieder geht zur Wand mit den Einschubfächern, wo in einer echten Pathologie Leichen gekühlt werden:

    "Da ist gar nix dahinter. Da ist nur die Wand zu sehen. Also das ist alles Fake."

    Nur das mittlere Fach lässt sich öffnen. Dahinter liegt ein herausfahrbarer Wagen. Dass die Leichen im Tatort immer aus derselben Tür gezogen werden, das sei laut Produktionsleiter Jens Weissenrieder noch niemandem aufgefallen. Dafür seien die Tatorte ja auch viel zu spannend, sagt er, und lächelt verschmitzt.