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Drei Mal Müller

Heiner Müller gilt als einer der großen Dramatiker, Regisseure und Theaterleiter der Gegenwart. Die Stücke des 1995 gestorbenen Künstlers werden trotzdem selten gespielt. Umso mehr fällt es auf, dass in Berlin nun gleich drei Mal Müller gegeben wird: Anfang des Monats zeigte das Maxim Gorki Theater "Die Korrektur", im September wird die Volksbühne "Zement" herausbringen. Gestern wurde in den Sophiensälen "Der Lohndrücker" gezeigt.

Von Hartmut Krug |
    Nur sein Geschlechterkampf-Stück "Quartett" steht noch auf den Spielplänen in Deutschland, sonst sind Heiner Müllers Stücke von den Bühnen weitgehend verschwunden. Nun aber versuchen sich in Berlin in diesem Monat gleich drei Bühnen an den frühen Stücken Heiner Müllers: Erst zeigte das Maxim Gorki Theater Anfang der Woche "Die Korrektur", dann wird Ende des Monats die Volksbühne mit "Zement" folgen und gestern kam an den Sophiensälen "Der Lohndrücker" heraus.

    Es scheint, als ob Müllers lange vergessene frühe Stücke aus der Aufbauzeit der DDR, die von der Produktion sozialen Bewusstseins und von gesellschaftlichem Aufbau handeln, gerade in unserer von Globalisierung und Neoliberalismus beherrschten Zeit wieder Interesse erwecken. Nicht gleich als Gegenmodell, aber immerhin als geschichtliches Untersuchungsmodell.

    Heiner Müllers gemeinsam mit seiner Frau Inge 1957 geschriebenes Lehrstück "Der Lohndrücker" handelt von Hans Garbe, dem ersten Helden der Arbeit der DDR. Hermann Claudius und Karl Grünberg haben über den Feuerungsmaurer, der einen Ringofen bei laufender Produktion reparierte und eine neue Norm aufstellte, Romane geschrieben, und Brecht plante über ihn das Lehrstück "Büsching".

    Bei Heiner Müller geht es in "Der Lohndrücker" um das Wie des Aufbaus einer neuen Gesellschaftsordnung. Indem der Held der Arbeit als Normtreiber und Lohndrücker angegriffen wird, fragt Müller nach den Menschen, mit denen und für die ein neues Bewusstsein geschaffen werden soll. Indem er sie auch als vom Nationalsozialismus geprägt und als Verunsicherte zeigt, berührt er damalige gesellschaftliche Tabus.

    Die jungen Theatermacher um die Regisseurin Kerstin Lenhart und den Bühnenbildner Michael Böhler, die sich jetzt an diesem Stück versucht haben, sind alle Mitte dreißig. Sie kommen aus Österreich, der Schweiz und vor allem aus den alten Bundesländern des vereinigten Deutschlands. Vor zwei Jahren brachten sie mit Ingo Niermeyers Roman "Minusvisionen" eine Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Lebenssituation auf die Bühne, also der von freiberuflichen Künstlern der Berliner Kreativ- und Ich-AG-Szene.

    Nun versuchten sie mit Müllers "Der Lohndrücker" quasi eine Art Gegenmodell zu erforschen. Doch es ist deutlich zu merken, dass ihnen Müllers Text fremd ist und bleibt. Das Publikum schaut von allen Seiten herunter auf eine aus Pappe gebaute Arena, in der die Schauspieler mit ausufernder mimisch-gestischer Energie und viel veräußerlichenden spielerischen Ideen Müllers Sätze verfehlen. Wo Müller in seinem nur 15-seitigen Stück Figuren sozial, politisch und auch emotional so knapp wie prägnant charakterisiert, da umspielen die Darsteller die Sätze und Figuren nur mit Einfällen.

    Viele Moden des modernen Regietheaters kommen zur Anwendung, doch der Kern des Stückes wird mit Gesang, Gebrüll und Getobe völlig verfehlt. Wer hier gerade welche Figur spielt, wird bei den einheitlich, in rote Arbeitskleidung gesteckten Darstellern ebenso wenig deutlich, wie die unterschiedlichen Haltungen der Figuren. So erleben wir Müllers realistisches Denk- und Lehrstück nur als ausgestelltes und gelegentlich ungeschickt ironisiertes Spielmaterial.

    Ganz anders geht Armin Petras mit Inge und Heiner Müllers "Die Korrektur" von 1958 im Maxim Gorki Theater um. Er zeigt das Lehrstück über den Aufbau des Kohlekraftwerks "Schwarze Pumpe", uraufgeführt vor fünfzig Jahren an gleichem Ort, als Lehrstunde. Es beginnt im Theater mit Vorträgen und Lesungen über die Geschichte des zunächst als Hörspiel nach Recherchen der Autoren vor Ort entstandenen Stückes. Die Geschichte eines Brigadiers, der sich der üblichen Schummelei bei den Normen widersetzt, zeigt vor allem auch die Fehler und Widersprüche beim Kampf ums Bewusstsein der alten Menschen, die neue werden sollen. So musste Müller nach einer Probevorstellung vor heftig kritisierenden Funktionären eine Korrektur seiner "Korrektur" durchführen. Müller schrieb seinen Text um und fügte außerdem einen erklärend verharmlosenden Prolog sowie einen hohl jubelnden Epilog hinzu. Auf dem Parkplatz im Garten des Maxim Gorki Theaters wurde die ursprüngliche, die erste Fassung gespielt. Unten mauern die Arbeiter, hoch oben auf dem Dach steht der Parteifunktionär an seinem Pult, und an die Hauswand werden historische Filmbilder geworfen.

    Die Aufführung untersucht das Stück im Spiel und zeigt uns alte offene Fragen neu. Sichtlich engagierte und animierte Schauspieler präsentieren mit Witz und Schwung das alte Lehrstück als sinnliches Lehrmaterial: Das ist bestes politisches Theater. So verdeutlicht diese Inszenierung spielerisch das Spielzeitmotto des Maxim Gorki Theaters, das da lautet: "Korrekturen. Die Geschichte ist nicht zu Ende."